Ich gebe es ja zu. Ich habe Mathematik in der Schule immer gemocht. Wahrscheinlichkeitsrechnung war eines meiner Lieblingsthemen. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob meine Mathe-Lehrer da alles immer selbst kapiert haben.

Die Formel 1 ist ja heute auch nichts anderes als Mathematik. Die optimal gelöste Gleichung aus Hunderten Variablen wie Gewicht, Asphalttemperatur, Reifenabrieb, Standzeit in der Box oder Luftdruck ergibt am Ende eine glatte Eins - oder eben eine Nachschulung.

Daher wundert es mich, dass Michael Schumacher sich so offenherzig vom Titel verabschiedet hat. Denn seine Chance ist größer als er zugibt. Oder kann er sich nicht mehr an das WM-Finale 2003 erinnern, als er in der Alonso-Rolle war. Einen mickrigen Punkt musste er in Suzuka damals einfahren, falls Räikkönen gewinnen sollte. Wer damals sein erleichtertes Gesicht nach dem 8. Platz gesehen hat, der weiß: so "einhändig" wie er behauptet, fährt keiner in der Formel 1 einen 8. Platz ein.

Rechnen wir uns mal aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für den 8. Titel noch ist. Dazu müssen exakt zwei Ereignisse zutreffen, nämlich ein Sieg von Michael bei gleichzeitigem Nuller von Alonso. Die Kernformel lautet also:

(1 - P(ALO)) x P(MSC) = WM(MSC)

Dabei ist P(ALO) die Wahrscheinlichkeit, dass Alonso in Interlagos Punkte macht.
P(MSC) ist die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Michael Schumacher in Interlagos.
Das ergibt WM(MSC), die Wahrscheinlichkeit des WM-Titels für Schumacher.

Für die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeiten ziehen wir den Beobachtungszeitraum Magny Cours - Suzuka her. In diesem Zeitraum herrschten die derzeitigen Kräfteverhältnisse vor, also Renault ohne Schwingungsdämpfer, Ferrari mit endlich funktionierenden Bridgestones.

Wie wahrscheinlich holt Alonso nun Punkte? Die Formel lautet:

P(ALO) = R(ALO) : (1 - dR) x (1 - P(crash))

Zur Erklärung:

R(ALO) steht für reliability, also Zuverlässigkeit. Denn nur wegen mangelnder Zuverlässigkeit kann Alonso außerhalb der Punkteränge bleiben.
dR ist die vermutete höhere Zuverlässigkeit in Brasilien, da Alonso nicht mehr volles Risiko gehen muss und daher z.B. Motordrehzahl sparen kann.
P(crash) ist die Wahrscheinlichkeit, unverschuldet in einen Crash verwickelt zu werden.

In Zahlen ausgedrückt heißt das:
In den 7 Rennen seit Magny Cours war Alonso 2x nicht in den Punkten (Budapest und Monza), die Zuverlässigkeit beträgt daher 5/7, oder 71,4% (mathematisch 0.714).
dR müssen wir schätzen. Ich denke, dass ein moderner Formel 1-Motor durch geringere Belastung um locker 20% haltbarer wird. Also nehmen wir hier 0.20 als Wert an.
P(crash) ist schon schwieriger zu schätzen. Alonso wird sich aus allem Unsinn heraushalten, aber wer garantiert, dass er nicht wie Montoya einst von Monteiro oder Verstappen einfach über den Haufen gefahren wird? Nehmen wir hier ein Restrisiko von ca. 5% an, also 0.05.

Damit lautet die Formel:

P(ALO) = 0.714 : (1 - 0.20) x (1 - 0.05) = 0.714 : (0.80) x (0.95) = 0.848

Das heißt im Klartext: Alonso kommt zu 84,82% in die Punkteränge. Folglich beträgt die Wahrscheinlichkeit, nicht in die Punkte zu kommen 15,18% oder mathematisch ausgedrückt 0.1518.

Nun wenden wir uns dem Herausforderer zu. Die Siegwahrscheinlichkeit von Michael Schumacher errechnet sich so:

P(MSC) = PV(MSC) : (1 + S) x (1 + FIA)

PV(MSC) ist die Siegwahrscheinlichkeit im Beobachtungszeitraum. Von den 7 Rennen hat Michael Schumacher 4 gewonnen, also beträgt diese 4/7 oder 57,14 % (mathematisch 0.5714).
S ist der negative Stressfaktor im WM-Finale, der die Siegchancen beeinträchtigen könnte. Mechaniker können beim Stopp patzen, Michael Schumacher kann Fehler machen. Wir nehmen ihn mal mit 10 % an, also 0.10.
FIA haben wir aus den Erfahrungen der letzten Rennen in die Formel als Sicherheitsfaktor eingefügt. Sollte es für die FIA eine Möglichkeit geben, dem großen Michael Schumacher - selbstverständlich im Rahmen des gültigen Reglements - ein Abschiedsgeschenk zu machen, dann könnte dieser Faktor zutreffen.

Beispiel: Regenrennen, Alonso am Start abgeschossen, Schumi führt, es regnet gegen Ende heftiger und heftiger. Wann bricht die Rennleitung ab? Vor oder nach der 75%-Distanz? Man wird dann wohl eher längstmöglich warten, um den Fahrern volle Punkte zu garantieren... Nehmen wir diesen Faktor einfach mal mit 20% an, also 0.20. Dadurch lautet Schumis Siegwahrscheinlichkeit in Brasilien:

P(MSC) = 0.5714 : (1 + 0.10) x (1 + 0.20) = 0.5714 : 1.10 x (1-20) = 0.6233

Zu 62,33 % heißt der Sieger in Brasilien also Michael Schumacher. Damit lässt sich die Chance auf den 8. WM-Titel wie folgt berechnen:

WM(MSC) = (1 - P(ALO)) x P(MSC) = 0.1518 x 0.6233 = 0.0946

Unter dem Strich bleibt also eine Chance von 9,46 % für Schumacher, den Titel doch noch zu erringen. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich! Die Lösung des Problems aus Renault-Sicht ist relativ einfach: Fisichella muss das Rennen gewinnen. Er ist mein Geheimtipp für das nächste Rennen. Es ist das erste Rennen heuer, in dem er ganz für sich alleine fahren darf. Und er hat´s schon mal bewiesen, was er in Brasilien zuwege bringen kann. Aber in zwei Wochen sind wir ohnehin alle schlauer. Mit oder ohne höherer Mathematik...