Zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 ging Michael Schumacher in diesem Jahr nicht mit der Startnummer 1 in ein neues Formel 1-Jahr. Stattdessen trug sein neuer Ferrari bei der Präsentation in Mugello die Nummer 5. Also jene Startnummer, mit welcher der Deutsche 1994 zum ersten Mal Weltmeister wurde. Nachdem Schumacher zur Saisonmitte nach Kanada 25 Punkte Rückstand hatte, sich weigerte den WM-Titel abzuschreiben und seine unvergleichliche Aufholjagd startete, bot sich geradezu das Wortspiel "Nummer 5 gibt nicht auf" an.

Damit ist seit dem Großen Preis von Japan Schluss. Denn dort erzielte Fernando Alonso nicht nur seinen ersten Sieg seit Montreal, Michael Schumacher schied auch zum ersten Mal seit Juli 2000 mit einem Motorschaden aus. Flavio Briatore sah darin eine göttliche Fügung: "Es gibt irgendwo noch einen Gott", sagte er uns, "ich weiß zwar nicht in welcher Form, aber irgendwie..."

Nach dem Motorschaden und der Strafe von Monza sowie dem Verbot der legendären Masse-Dämpfer war dies der erste gelb-blaue Lichtblick der zweiten Saisonhälfte. Dabei hatte Alonso das rote Schicksal schon eine Woche vorher vorausgeahnt: "Man muss erst einmal ins Ziel kommen", sagte er nach seiner Pole in Shanghai. Dies gelang ihm bei beiden Asien-Rennen, seinem Titelrivalen gelang es hingegen nur in China.

Die erste Aufgabe von Nummer 5

Seit 1991 ist Michael Schumacher in der Formel 1. Seitdem hat der Deutsche noch nie aufgegeben - selbst in den auswegslosesten Situationen hat er immer an sich und den Erfolg geglaubt; manchmal hat er auch versucht ihn mit Gewalt zu erzwingen. Als der siebenfache Weltmeister rund eine Viertelstunde nach seinem Ausfall im vorletzten Saisonrennen, ja sogar dem vorletzten Rennen seiner gesamten Karriere, an die Box zurückkam, spielten sich dort Szenen ab, die schon zu diesem Zeitpunkt an Abschied und Resignation erinnerten: Schumacher bedankte sich bei allen seinen Mechanikern, baute seine Truppe auf und ging danach auch noch an den Kommandostand, um dort seine Ingenieure und Teamoberen abzuklatschen.

Aus und vorbei - oder doch nicht?, Foto: Sutton
Aus und vorbei - oder doch nicht?, Foto: Sutton

Dann trat er vor die Fernsehkameras und sprach das Unmögliche, absolut Unerwartete aus: "Es hat halt in diesem Jahr nicht sollen sein", gab er realistisch, aber völlig ungewohnt den Fahrertitel auf. "Auf den Funken Hoffnung, den es noch gibt, baue ich nicht. Ich weiß, dass es danach keine Möglichkeit für mich mehr gibt. Ich habe alles versucht in diesem Jahr. Wenn das jetzt hier nicht klappt, davon geht die Welt nicht unter."

Im ersten Moment sah das bei seinen Fans und Teammitgliedern jedoch anders aus. "Wir sind alle am Boden zerstört", fasste Michael Schumachers Renningenieur Chris Dyer die Stimmung im Team zusammen. "Der Sieg war heute in Reichweite, dann wären wir in einer guten Ausgangsposition für Brasilien gewesen; jetzt ist sie weniger gut." Selbst Konkurrent Pat Symonds taten die Roten in diesem Moment "leid"; wenn einem die Konkurrenz ihr Mitleid ausspricht, ist das quasi die Höchststrafe im Rennsport.

Dennoch sei der 50. Ausfall nicht der bitterste in seiner Karriere gewesen. "Nein, mit Sicherheit nicht", betonte Schumacher. "Wir haben eine Meisterschaft wieder zum Leben erweckt, die schon entschieden schien. Darauf dürfen wir stolz sein - auf alles, was wir erreicht haben, dürfen wir stolz sein." Auch solche Momente gehören zum Motorsport, zur Formel 1 und zu einer großen Karriere dazu.

"Ich hasse den Sport deshalb keineswegs", betonte Schumacher. "Das ist Racing. Es wird alles probiert und jeder gibt sein Bestes, wir sind nun einmal in einer Meisterschaft, in der wir nur mit Prototypen fahren, da kann das schon einmal passieren. Ich mache deswegen niemandem einen Vorwurf. Das Leben besteht eben aus Höhen und Tiefen. Es wäre doch langweilig, wenn es immer nur schön wäre."

Die Vorsicht von Nummer 1

Das dürfte sich auch Fernando Alonso gedacht haben, als er zu Beginn des Wochenendes pausenlos über seine Kritik am Team sprechen musste. Zurückrudern, Ausweichen und Winden standen von Donnerstag bis Samstag auf dem Programm. Erst am Sonntag wurde dieses Thema verdrängt, vom Gewinnen. "Das ist ein kleiner Ausgleich, nachdem ich in Ungarn, Monza und China mehrfach Pech gehabt habe", strahlte er über die "Rückkehr zum normalen Vorsprung" von vor Monza. "Diese 10 Punkte sind ein kleines Geschenk - eine wundervolle Überraschung."

Wird hier schon der neue Champion beklatscht?, Foto: Sutton
Wird hier schon der neue Champion beklatscht?, Foto: Sutton

Eine Überraschung, mit der er gleich aus mehreren Gründen nicht gerechnet hatte. "Nach dem Qualifying schien Ferrari weit vor uns zu liegen, aber sobald das Rennen begann, war das Auto gut ausbalanciert und wir hatten den gleichen Speed." Dennoch musste er am Start einiges riskieren, "weil wir nicht gedacht hatten, dass wir den Autos mit Bridgestone-Reifen folgen könnten. Mit dem zweiten Platz wäre ich dann sogar zufrieden gewesen, aber nach Michaels Ausfall wurde es ein gutes Rennen. Ich konnte dann sofort die Drehzahl reduzieren." Damit lernte Alonso binnen Sekunden aus dem Defekt seines Titelrivalen - nur kein Risiko beim Motor eingehen.

Den Ausfall und dessen Auswirkungen hatte er zunächst "gar nicht richtig mitbekommen". Denn "als ich den Rauch sah, dachte ich erst, es sei ein Spyker. Das Auto sah orange aus, nicht rot. Erst als ich neben ihm war, habe ich gemerkt, dass es Michael ist. Einen Ausfall bei Ferrari sieht man nicht so oft. Das war die größte Überraschung des Rennens." Für Renault-Motorenmann Denis Chevrier war dieser Moment "ein sehr gutes Gefühl". Sieben Tage zuvor sagte der Franzose, dass man sich nur hätte selbst schlagen können und genau das sei in Shanghai geschehen. "Diesmal waren wir in einer Situation, wo wir mitkämpfen konnten und recht glücklich sein durften, dass wir nur zwei Punkte verlieren würden", so Chevrier rückblickend. "Am Ende ist es dann ideal für uns gelaufen, was bedeutete, dass der Gegner gar nichts bekam."

Rennanalyse: Nur ein Knall

"Abgesehen vom Motorschaden und dessen WM-Auswirkungen war das Rennen an sich stink langweilig." Mehr als diese Analyse von Hans Joachim Stuck braucht es nicht, um den letzten Japan GP in Suzuka zu beschreiben. Am Donnerstag hatte Fernando Alonso sich noch ein trockenes Rennen gewünscht, da dies für die Zuschauer "besser" wäre, weil es weniger Chaos geben würde. Angesichts des spannungsarmen Rennverlaufs, dürften sich die Fans schnell ein bisschen Chaos gewünscht haben - und nicht nur die.

Die große Frage des Wochenendes drehte sich wieder einmal nur um die Reifen: Würde Bridgestone seinen immensen Qualifying-Vorteil auch über die Distanz im Rennen haben? Alonso nannte die Antwort: "Wir fuhren sehr ähnliche Zeiten als noch tags zuvor", sagte er. "Daher scheint mir, dass die Ferraris schlechter geworden sind. Vielleicht wegen der niedrigeren Temperaturen."

Für die beiden Top-Teams war der Japan GP somit eine Doublette des China GP - nur unter umgekehrten Vorzeichen. In Shanghai sah Renault bis zur Rennmitte wie der sichere Sieger aus; am Ende siegte jedoch Ferrari. In Suzuka war Ferrari bis zum Rennen der haushohe Favorit; am Ende jubelte jedoch Renault. Statt eines Schumachers Sieges oder gar einer WM-Entscheidung gab es einen Sieg des Titelrivalen und damit eine WM-Vorentscheidung in die andere Richtung.

Sein letzter Auftrag: Das Unmögliche möglich machen., Foto: Ferrari Press Office
Sein letzter Auftrag: Das Unmögliche möglich machen., Foto: Ferrari Press Office

Der letzte Ausblick: Mission Impossible

Die Mission ist klar: Michael Schumacher muss in Brasilien gewinnen und Fernando Alonso darf keinen Punkt holen. Nur dann wird der Traum vom 8. WM-Titel doch noch Wirklichkeit. Renault-Chefingenieur Pat Symonds ist vom Titelkampf begeistert und nicht nur, weil sein Fahrer nun im Vorteil ist. "Diese Saison bringt jedes Wochenende neue Überraschungen hervor." Kann Schumacher also doch noch das rote Wunder von Sao Paulo vollbringen?

Er selbst sieht "nicht wirklich" noch einen Funken Hoffnung. "Ein Punkt reicht Fernando und das heißt für ihn in Brasilien: Spazieren fahren und alles schonen", weiß Schumacher. "Davon auszugehen, dass jemand einen Ausfall hat und darauf einen Gewinn planen, darauf möchte ich nicht aufbauen. Wir werden logischerweise in Brasilien alles geben, auch in Hinsicht der Konstrukteursmeisterschaft, da ist noch etwas mehr Hoffnung vorhanden."

So richtig kauft dem Deutschen aber niemand seine Aufgabe ab. "Michael sagte, er denke nicht mehr an die Weltmeisterschaft - das ist Quatsch. Er gibt nie auf!", betonte sein alter Titelgegner Damon Hill. "Wenn ich an Alonsos Stelle wäre würde ich mich gut bewaffnen, bis das letzte Rennen vorbei ist. Den Typ darf man nie abschreiben." Eine Meinung die auch Symonds teilt. "Natürlich ist es schwierig für ihn, aber ich hoffe, dass er nicht aufgibt," forderte er. "Ich sehe unsere Aussichten zwar als sehr gut an, aber ich möchte, dass Michael gegen uns kämpft. Wir hatten jetzt zwei Rennen in Folge, die völlig unerwartet ausgegangen sind. Ich bin schon lange genug im Geschäft um zu wissen, dass man bis zur letzten Runde kämpft."

Deswegen kündigte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo auch an, dass man "bis zum allerletzten Meter" in Brasilien kämpfen werde. Jean Todt trat aber auf die Euphoriebremse: "Mathematisch ist es noch möglich", betonte er, "aber es wird sehr, sehr schwierig. Es ist gut, wenn man Meisterschaften aus eigener Kraft gewinnen kann. Aber jetzt liegt es nicht nur an uns, sondern auch an den Problemen anderer - das sind Parameter, die außerhalb unserer Kontrolle liegen."

Dennoch sieht Christian Danner die Roten noch nicht geschlagen. "Der Käs ist noch nicht gegessen", warnte Danner vor vorzeitigen Titelabgesängen. "Es ist in Sao Paulo noch alles offen, denn es kann immer etwas schief gehen und dann ist Alonso geliefert; er braucht nur im Senna S eine Kollision zu haben und Michael gewinnt das Rennen, was dann durchaus möglich ist. Dann sieht es wieder anders aus." Rein von der Wahrscheinlichkeit her, sprechen jetzt natürlich "weniger Parameter" für Schumacher, "aber die Gremlins und der Renngott sind eigenartige Wesen", weiß Danner aus eigener Erfahrung. "Das haben wir in den vergangenen Jahrzehnten gelernt und das kann in Sao Paulo wieder so sein. Auf den Renngott ist eben kein Verlass."

Auch für Hans Joachim Stuck ist es "noch nicht" aus. "Jetzt hatten beide einmal einen Motorschaden. Wenn Schumacher in Sao Paulo gewinnen und Alonso ausfallen sollte, ist Schumacher Weltmeister. Es ist noch offen und ich finde es gut, dass die Entscheidung in Brasilien fällt, auch wenn es für Michael schlecht aussieht."

Der Titelkampf geht in die 18. und letzte Runde., Foto: Sutton
Der Titelkampf geht in die 18. und letzte Runde., Foto: Sutton

Selbst Fernando Alonso sieht in seinem Sieg noch keine Vorentscheidung. "Denn das Gleiche kann auch mir in Brasilien noch passieren. Aber meine Ausgangsposition ist natürlich jetzt viel besser", sagte er. "Bei ausgeglichenen Punkten hätten wir Ferrari schlagen müssen. Das ist nie einfach. Jetzt brauche ich aber nur noch einen Punkt, aber dafür muss man das Rennen beenden. Manchmal ist das nicht der Fall, wegen technischer Probleme, eines Unfalls oder eines Drehers, der einen ins Kiesbett befördert." Ein rotes Fünkchen glüht also noch.

Bei Renault setzt man deswegen auf Defensive. "Diesen Vorteil in Brasilien zu haben, macht vieles einfacher. Aber wir haben schon gesehen, was in China und jetzt hier passiert ist", so Alonso weiter. "China sollte für uns ein einfaches Rennen werden, und wir haben verloren. Hier für Ferrari, und dann hat Michael doch verloren. Daher dürfen wir in Brasilien keine Fehler machen, obwohl alles nun einfach erscheint, weil wir nur einen Punkt brauchen. Wir werden so konservativ wie möglich sein." Der Brasilien-Motor, der aus zwei Spezifikationen gewählt wird, soll nicht unbedingt der "schnellste", sondern vor allem der "zuverlässigste" sein. Denn schon in China wusste Alonso: "Wir müssen erst einmal ins Ziel kommen."