Im Moment stehen wir Formel 1-Reporter vor einer verdammt schwierigen Aufgabe. In ein paar Tagen ist die erfolgreichste Formel 1-Karriere aller Zeiten zu Ende. Da gehört der ultimative Rückblick in TV, Radio oder Print zum Pflichtprogramm. Möglichst exklusiv soll es sein, immer neue Fakten und Blickwinkel über das Leben einer der öffentlichsten Personen weltweit. Kurzum, ein schwieriges Unterfangen. Die Fakten sind alle längst bekannt. Alle weiteren Räubergeschichten sind unseriös.

Also dachte ich mir: Rede doch mal mit Betrand Gachot. Die Schumi-Fans unter 25 werden sich an den eher erfolglosen Formel 1-Piloten aus Belgien oder Luxemburg (so genau geklärt ist das bis heute nicht) nicht mehr erinnern. Er wird in alle Ewigkeit als jener Mann gelten, der Michael Schumacher Karriere ermöglicht hat. Und zwar nicht ganz freiwillig.

Am 23. August 1991 absolvierte Michael in Spa seine ersten Meter in der Formel 1, und nach der zweiten Runde nagelte er durch die Eau Rouge bereits voll. Die alte, noch nicht kastrierte wohlgemerkt! An jenem Tag saß Bertrand Gachot in einem Londoner Gefängnis. Er war mit dem Alfa Romeo seiner Freundin unterwegs gewesen und mit einem Taxifahrer kollidiert.

Die Auseinandersetzung wurde handgreiflich und Gachot verwendete ein in England verbotenes Pfefferspray. "Ich war bei drei verschiedenen Anwälten. Alle drei versicherten mir: Da kriegst Du maximal 100 Pfund Strafe und die Sache ist erledigt." Zu seiner großen Überraschung wurde er aber in Handschellen abgeführt und sollte 18 Monate im Knast verbringen.

"Im Nachhinein kann man natürlich drüber lachen. Aber damals war mir nicht zum Lachen zumute", erzählte er mir. "Weißt Du, ich bin schon ein schlechter Mensch, aber so schlecht auch wieder nicht..." Am 25. August 1991, als der völlig unbekannte Deutsche in seinem Jordan von Startplatz 7 aus ins Rennen ging, hatte Gachot andere Sorgen: "Ich habe das Rennen im Gefängnis nicht im Fernsehen gesehen. Ich war damit beschäftigt, zu überleben. Aber ich hatte von dem Typen noch nie vorher gehört."

In den Wochen im Gefängnis hat Gachot gute 10.000 Briefe erhalten. In Säcken wurden sie geliefert. Einer war von seinem Jordan-Teamkollegen und Freund Andrea de Cesaris. In Spa hatte ihn der Grünschnabel regelrecht verblasen. Er schrieb ihm: "Mach Dir keine Sorgen wegen diesem neuen Burschen da. Beim nächsten Rennen krieg ich ihn schon..." Eine der größten Fehleinschätzungen der Formel 1-Geschichte.

Bertrand Gachot bekam Wochen später eine Berufungsverhandlung und durfte danach raus aus dem Knast. "Ich fuhr nicht mal heim. Ich nahm am selben Tag an einem Empfang an der französischen Botschaft teil und flog anschließend sofort nach Suzuka. Ich dachte mir eigentlich, jetzt bist Du erledigt. Du warst im Gefängnis. Nie wieder wird jemand seinen Namen auf deinem Overall lesen wollen. Aber das Gegenteil war der Fall." Zwei Wochen später in Adelaide hatte Gachot wieder ein Formel 1-Cockpit.

In Suzuka standen sich Michael Schumacher - mittlerweile bei Benetton - und sein unfreiwilliger Förderer erstmals Aug in Aug gegenüber. "Michael kam sofort zu mir und war sehr nett. Er sagte: ‚Es tut mir echt leid, was sie Dir angetan haben. Das war wahnsinnig unfair. Und wenn ich Dir irgendwie helfen kann, dann melde dich bitte bei mir.´ Er war zu mir immer sehr korrekt. Nicht viele haben das über Michael Schumacher gesagt, aber mir gegenüber hat er sich wie ein echter Gentleman benommen."

Wer mehr darüber lesen möchte: Mein Kollege Adam Hay-Nicholls hat im letzten Red Bulletin eine ausgezeichnete Reportage über den turbulenten Grand Prix-Einstieg von Michael Schumacher geschrieben. Diese gibt es unter www.redbulletin.com kostenlos zum Download (2. Sonntags-Ausgabe des China-GP) Prädikat lesenswert!

Übrigens: Bertrand Gachot lebt heute als Geschäftsmann in Spanien. Er ist an einem Formel 1-Magazin beteiligt, das immer wieder verklagt wird, weil bei kritischen Beiträgen über das Formel 1-Business sich die Hauptdarsteller manchmal auf den Schlips getreten fühlen. Und er ist Besitzer eines weltumspannenden Unternehmens. Die machen Energy Drinks...