Ergebnislisten und Trainingszeiten sind Schweine. Sie können so richtig unehrlich, trügerisch und heimtückisch sein. So zum Beispiel nach dem Freitagstraining in Shanghai. Die drei ersten Piloten kann jeder noch halbwegs verständlich gedanklich aus dem Ergebnis herausstreichen. Denn Alex Wurz, Sebastian Vettel und Anthony Davidson sind Freitagstester. Das heißt aber nicht, dass sie nur an Freitagen schnell sind oder im Umkehrschluss analog zum Sonntagsfahrer extrem lahm dahin kriechen - es bedeutet, dass sie mit mehr Drehzahl, weniger Sprit und neuen Reifen fahren dürfen. In den gefährlichen Zeitenlisten drückt sich dies meistens in Bestzeiten aus. So auch heute.

Die wahre Gefahr lauert aber dahinter: Bei den drei schnellsten Stammpiloten Felipe Massa, Michael Schumacher und Fernando Alonso. Alle drei liegen innerhalb von zwei Zehnteln, allerdings nur auf ihrer jeweils schnellsten Runde. Nun gibt es in der Formel 1 aber auch noch so etwas wie die berüchtigten Long Runs - denn ein Rennen besteht bekanntlich nicht nur aus einer Runde; selbst das Qualifying ist im neuen Format zu einer Marathonveranstaltung mutiert.

Im Klartext bedeutet dies: Die schnellste Rundenzeit gibt Aufschluss über die Performance des Autos und der Reifen über eine Runde, was im Qualifying im Kampf um die Pole durchaus entscheidend sein kann. Aber wirklich interessant wird es erst, wenn man die weiteren Rundenzeiten der Piloten analysiert - wie gut waren ihre Long Runs? Oder zumindest die etwas längeren Shortruns; denn angesichts des modernen Rundengeizes darf man bei den Top-Piloten kaum von waschechten Long Runs sprechen.

Diese Möchtegern-Long Runs der beiden Titelrivalen Ferrari und Renault dürften den Tifosi und Schumacher-Anhängern einige Sorgenfalten auf die rote Stirn getrieben haben. "Der Spaß war heute durch das Wetter etwas eingeschränkt - aber ansonsten war es business as usual", versuchte Schumacher seine Unzufriedenheit zu verbergen - war damit aber nur mäßig erfolgreich. Das Problem sind wieder einmal die Reifen. "Wurz war heute Schnellster, also kann Bridgestone nicht so schlecht gewesen sein", spielte er die bange Frage nach dem schwarzen Gold herunter, aber ein Blick auf die Rundenzeitentabelle des Deutschen entlarvte ihn: 1:37, 1:40 und 1:42 - die Pneus am Ferrari mit der Startnummer 5 schienen von Runde zu Runde stärker nachzulassen. Es lohnt sich also tatsächlich nicht nur die absoluten Bestzeiten anzuschauen, sondern auch die 'Medium Runs' zu beachten.

Vorteil für den Weltmeister? Oder sieht morgen alles schon wieder ganz anders aus?, Foto: Sutton
Vorteil für den Weltmeister? Oder sieht morgen alles schon wieder ganz anders aus?, Foto: Sutton

"Es ist enger als ich erwartet habe", gestand Christian Danner über das Duell zwischen Rot und Gelb-Blau. "Alonso war auf mehreren Runden eindeutig besser - da ist er fast immer identische Rundenzeiten gefahren. Bei Bridgestone hat das nicht so gut geklappt, ihre Reifen haben mindestens um eine halbe Sekunde pro Runde abgebaut." Die Frage lautet nun: Lag das an den Bedingungen oder an den Reifen? Bei Ferrari setzt man auf Optimismus: "Wir sollten konkurrenzfähig sein - zum Teil auch wegen unserer Partner wie Bridgestone", lobte Teamchef Jean Todt. Und Technikdirektor Ross Brawn schob ebenso euphorisch nach: "Die Autos sind gut ausbalanciert und unsere Gesamtsituation sieht sehr positiv aus."

Nur Bridgestone-Technikmanager Hisao Suganuma gab zwischen den Zeilen einen versteckten Hinweis darauf, dass die Bedenken über die Konstanz der Ferrari-Reifen durchaus berechtigt sein könnten. "Die harten Reifen waren natürlich konstanter, aber bevor wir unsere Empfehlungen aussprechen, sollten wir abwarten, wie sich die Streckenbedingungen entwickeln." Angesichts der starken Ferrari-Zeiten auf einer Runde sollte man nach dieser Aussage des Japaners davon ausgehen können, dass die Roten mit den weichen Reifen unterwegs waren - oder ihnen stehen möglicherweise noch größere Probleme ins Haus, als es die Schwarzmaler jetzt schon prophezeien.

Zu allem roten Überfluss läuft bei der französischen Konkurrenz scheinbar alles nach Plan. "Ich fühlte mich sofort wohl und wir müssen über Nacht nur noch etwas Feintuning betreiben", war Fernando Alonso trotz eines Drehers zufrieden. Allerdings müsse man bei der Analyse der Zeiten "etwas vorsichtig" sein, da die seltsamen Wetterverhältnisse, mit wenig Grip am Morgen und Regen am Nachmittag, das Bild etwas verzerren. Trotzdem bestätigte Alonso beinahe beiläufig mit einem Nebensatz: "Die Michelin-Reifen scheinen gut zu funktionieren."

Für den Rest des Wochenendes sagt Danner auch bei niedrigen Temperaturen einen heißen Kampf voraus. "So lange Alonso in Schlagdistanz ist, darf man ihn nie unterschätzen", sagt er. "Wenn er eine Sekunde Rückstand hat, dann kann auch er nicht zaubern, aber bei nur einem Zehntel Rückstand ist noch nichts verloren." Genau dieses Zehntel fehlte dem Spanier auf seiner schnellsten Runde im 2. Freien Training - aber auf der zweiten und dritten Runde kehrte sich der Rückstand in eine Vorsprung um...