Theoretiker haben in der Formel 1 immer Hochkonjunktur. Vor den Rennwochenenden müssen Simulationen durchgeführt werden, die Boxenstrategien müssen geplant werden und der aerodynamische Luftfluss muss genauestens berechnet werden. Eine ganz besonders gefragte Gruppierung, quasi die Elite unter den F1-Theoretikern, sind die Verschwörungstheoretiker. Sie haben tiefe Stimmen, rauchen dicke Zigarren in ihren versteckten Motorhome-Kämmerlein und wissen als einzige, was in Roswell 1947 oder Indianapolis 2005 wirklich geschehen ist. Sie kennen die Geheimnisse der Benetton-Software von 1994, die Flügelmaße der Ferrari-Bargeboards von 1999 und den Inhalt aller FIA-Briefe von Max Mosley. Egal ob Tyre-Gate, Button-Gate I & II, Kollektor-Gate, Indy-Gate, Dämpfer-Gate oder Stargate: Sie sind die absoluten Kenner aller Gate-Affären.

Für dieses geheimnisvolle Syndikat waren die letzten sieben Tage seit dem Italien GP Hochsaison. Es herrschten Chaos und Streit. Zunächst warf die GPDA den Streckenbetreibern von Monza mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vor, dann dementierten die Beschuldigten, daraufhin konterte GPDA-Direktor David Coulthard und abschließend schaltete sich auch noch die FIA ein und verteidigte die Streckeninhaber. Viel mehr Interesse riefen jedoch die mannigfaltigen Manipulations-Theorien hervor - eine Verschwörung des Schweigens sieht jedenfalls anders aus...

Eis-Gate I: Der Skandal nahm seinen Lauf, die Zubereitung des heimtückischen Mittels., Foto: Michelin
Eis-Gate I: Der Skandal nahm seinen Lauf, die Zubereitung des heimtückischen Mittels., Foto: Michelin

Schon vor dem Rennen in Monza tobte Flavio Briatore, dass die FIA die WM bereits zugunsten von Ferrari und Michael Schumacher entschieden habe. Nach dem Rennen ging das Duell Briatore gegen die FIA und die FIA gegen Briatore in die nächste Runde: Für den Italiener ist der italienische Fußball-Skandal im Vergleich zur F1 lächerlich. Motorenmann Denis Chevrier bezeichnete das Strafmaß der Rennstewards als das Doping des Motorsports und Fernando Alonso lief nur noch mit nach unten zeigenden Daumen durch die Gegend. Für ihn ist die F1 seit seiner Bestrafung am Samstag kein Sport mehr und Michael Schumacher der "unsportlichste Fahrer der Geschichte".

Nur gut, dass Fernando kurz zuvor festgestellt hatte, dass die F1 kein Sport ist - also spielt die Fairness wohl keine so große Rolle. Aber egal wie "unsportlich" der Rekordchampion auch gewesen sein mag, Alonso wird ihn nach dessen Rücktritt vermissen - immerhin betont er am laufenden Band, dass seine Titel und Siege momentan mehr zählen, weil er sie gegen Schumacher auf der Strecke geholt hat.

Während der Spanier bei seiner Meinung blieb und dadurch wohl in der Gunst von Bernie Ecclestone weiter sank - immerhin hatte der Bigboss bereits vor Wochen darüber geklagt, dass sein amtierender Weltmeister "zu wenig" für die F1 tue; was auch immer er damit meinte -, vollzogen Renault und Flavio Briatore noch am Sonntagabend einen Rückzieher. Die Aussagen über eine Manipulation der Weltmeisterschaft seien ja nur ein "Spaß" gewesen und überhaupt sei man mit der Sporthoheit der FIA vollauf glücklich - es fiel kein Wort mehr über Masse-Dämpfer, gelbe Flaggen oder Blocking. Die Androhung einer Untersuchung vor dem World Council und die Angst vor einer weiteren Strafe zeigten Wirkung.

Der Sündenbock war schnell gefunden: die bösen Medien hätten Flavios Aussagen aus dem berüchtigten Zusammenhang gerissen. Dass der Blätterwald aber auch immer alles zerreißen muss - die Zusammenhänge, die Tonnen an Press Releases und die schlechten Leistungen der Fahrer. Zwei Wochen vor Monza war Michael Schumachers Stern für die großen Zeitungen bereits vom F1-Himmel gefallen. Alle fragten sich wie der "zerbrechliche" Altmeister "so viele Fehler wie noch nie" begehen konnte? "Bye bye Schumi. So viel Bitterkeit. Ein Schleier der Traurigkeit. Er hat viele Rennen gewonnen, er hat den Rekord von 7 Titeln aufgestellt - und dennoch schien es gestern so, als habe sein Abstieg begonnen", bilanzierte La Repubblica. Was 14 Tage und ein Heimsieg in Monza nicht alles bewirken können: Plötzlich brachte das "letzte Meisterwerk" einen "Abgang als Phänomen". Schumacher "verlässt den Thron, bleibt aber König" und wird "zur Legende". Wie schön, dass man Zusammenhänge nicht nur auseinander reißen, sondern auch völlig ignorieren kann.

Eis-Gate II: Der Eismann war da - aber nicht die Reifen wurden damit behandelt..., Foto: Sutton
Eis-Gate II: Der Eismann war da - aber nicht die Reifen wurden damit behandelt..., Foto: Sutton

Genau das werden die Rennstewards ab sofort auch mit Beschwerden von Teams über das Blockieren ihrer Fahrer im Qualifying machen. Statt auf Proteste der Rennställe zu reagieren, werden die Stewards nur noch tätig, wenn die Rennleitung um Charlie Whiting dies für nötig hält. Somit soll den Stewards "unnötige" Arbeit erspart bleiben - das Problem ungerechtfertigter Strafen wird dadurch aber wohl kaum behoben; immerhin müssten die Stewards auch ohne Anschwärzen seitens der Teams in Fällen "absichtlicher Behinderungen" tätig werden. Genau das wollen sie in Monza bei Fernando Alonso ausgemacht haben; über die Sehstärke der Rennkommissare und den Sauberkeitszustand ihrer Monitore ist jedoch nichts bekannt. Dafür ist bekannt, dass es im dunkelsten Kämmerlein von Bernie Ecclestone in Monza mächtig gekracht haben soll. Immerhin kann Bernie seine "Show" - schließlich ist die F1 ja allerspätestens seit Alonso kein Sport mehr - angesichts der Vorwürfe der Verschwörungstheoretiker nur schlecht verkaufen und wenn es um Geld geht, bekommen auch die ansonsten heiligen Bernie-Freunde in hohen FIA-Positionen einmal lautere Töne zu hören, als sie die V8-Motoren von sich geben.

Das große Highlight der Verschwörungswoche war jedoch ein anderes: Kaum war das Rennen vorbei, Ferrari in der Team-WM in Führung gegangen und Michael Schumacher bis auf zwei Punkte an Alonso herangekommen, ließen Renault und Michelin auf einem Nebenkriegsschauplatz eine neue Verschwörungstheorie auf die F1-Welt los: Ein Beweisfoto soll einen Bridgestone-Ingenieur mit Atemschutz und Handschuhen zeigen, bei Michelin wären solche Schutzmaßnahmen nicht notwendig - also könnte der hinterlistig grinsende Bridgestone-Mann mit dem Papp-Eisbecher ja übelste Weltbeherrschung Pläne schmieden, die er alsbald an seiner überdimensionalen Weltkarte mit roten Fähnchen markieren wird. Oder er hat einfach nur die Reifen verbotenerweise mit Chemikalien behandelt - dieses Thema gab es ja schon bei der großen Tyregate-Affäre 2003.

Unsere Recherchen brachten noch weiteres, erschütterndes Beweismaterial zum Vorschein: Denn das wirklich Schockierende waren weder die fingerlosen Handschuhe (die wohl einen Höllenschutz vor ätzenden Chemikalien zur Reifenperformancesteigerung bieten würden) noch der zwischen den Kopfhörern baumelnde Mundschutz (der hier vielleicht geheime Telemetrie-Anweisungen per Funk erhielt) noch das giftige Gemisch, das der verdächtig dreinblickende Zeitgenosse in seinem Pappeisbecherlein zusammenbraute. Vielleicht dient all dies ja nur einer geplanten Einfrierung der Einheitsreifen, wer weiß? Das wahre Ausmaß der Verschwörung wird erst beim Betrachten eines zweiten Beweisfotos sichtbar: Egal welche genmanipulierten Eiskugeln der heimtückische Japaner zusammengemixt hat, Michael Schumacher hat sie später genüsslich verspeist! Wenn das nicht die unsportlichste Aktion in der Geschichte der Gate-Theorien war...