Bob, zu Beginn der dreiwöchigen Sommerpause behauptete Renault in der Konstrukteurs-WM einen Vorsprung von 21 Punkten - liegt derzeit aber nur noch mit zwei Zählern vorn. Haben Sie an Schwung verloren?
Bob Bell: Aus rein mathematischer Sicht hat sich unser Vorsprung in der WM-Wertung während des Monats August tatsächlich deutlich reduziert. Einer der Gründe dafür stellte das Verbot der Massedämpfer dar, das während des Testverbots ausgesprochen wurde. Wir haben inzwischen die Chance genutzt, den Renault R26 unter den neuen Begebenheiten zu optimieren. Die Ereignisse des Sommers ließen uns noch ehrgeiziger werden. Wir wollen beweisen, dass wir unseren Job erledigen können. Auch wenn wir in den vergangenen Wochen weniger Punkte eingefahren haben als gewohnt, hat die Begeisterung, mit dem das Team daran arbeitet, bei jedem Grand Prix einen siegfähigen Rennwagen an den Start zu bringen, zu keinem Zeitpunkt nachgelassen. Wir werden weiter so hart wie möglich daran arbeiten, aus dem Zweikampf mit Ferrari als Sieger hervorzugehen. Es wird eine enge Auseinandersetzung, bei der die Vorteile von Wochenende zu Wochenende mal auf der einen, mal auf der anderen Seite liegen können.

Das hört sich an, als würde die Weltmeisterschaft 2006 letztendlich nur aus den bevorstehenden vier Grands Prix bestehen...
Bob Bell: So kann man das sehen, ja. Nach den 14 bisherigen Saisonläufen sind wir mit Ferrari praktisch pari. Es stehen jetzt noch vier Grands Prix auf dem Programm. Wir werden sie sehr aggressiv angehen, denn es geht für uns darum, WM-Titel zu gewinnen - diese Chance wollen wir nutzen. Zu Beginn des Jahres erarbeitete sich Renault F1 innerhalb von vier Grands Prix einen großen Vorsprung. Auch wenn sich die Situation jetzt anders darstellt, spricht nichts dagegen, dass uns das wieder gelingen kann.

Sie wollen also am kommenden Wochenende in Monza damit anfangen?
Bob Bell: Der Grand Prix von Italien wird ein schwieriges Rennen - daran besteht kein Zweifel. In Monza befinden wir uns mitten im "Ferrari-Land". Das kann sich auf zwei Arten auswirken: als besondere Motivation für Ferrari oder als zusätzlicher Ansporn für uns. Wir sind fest entschlossen, der Scuderia in gleicher Münze zurückzuzahlen, dass sie bei unserem Heim-Grand Prix in Magny-Cours triumphieren durften... Ich glaube, dass der Kurs in Monza dem Ferrari entgegenkommt. Aber bei den Testfahrten in der vergangenen Woche lagen die Zeiten extrem nah beieinander. Es gibt also keinen Grund zu glauben, dass unser Gesamtpaket im direkten Vergleich schlechter ist. Wir werden speziell für Monza entwickelte Aerodynamik-Komponenten einsetzen. Außerdem kommt im Auto von Fernando die neue D-Spezifikation des Renault RS26-V8 zum Einsatz. Ich glaube, wir sind sehr gut gerüstet.

Renault-Geschäftsführer Flavio Briatore sagt im Rahmen des Türkei-Grand Prix, dass sich die "Equipe Jaune" in den noch ausstehenden Saisonläufen vor allem auf den Gewinn des Fahrertitels konzentrieren wird...
Bob Bell: Ich denke, dass wir beide WM-Titel anpeilen sollten. Denn wenn wir unser Maximum geben, um die Konstrukteurs-WM zu gewinnen, bringt das die Fahrerkrone fast zwangsläufig mit sich. Der Fahrerweltmeister steht sicher im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, aber der Titel bei den Konstrukteuren bedeutet dafür jedem einzelnen Teammitglied besonders viel. Bis zum Ende der Saison entwickeln wir in den Bereichen Chassis und Motor unentwegt weiter. Dabei werden auch Ideen einfließen, die ursprünglich für den Monoposto der kommenden Saison gedacht waren.

Viele Beobachter meinen, dass die Reifen im Endeffekt die Entscheidung im Titelkampf bringen werden. Stimmen Sie zu?
Bob Bell: Ich stimme der Einschätzung zu, dass die Vorteile jeweils bei dem liegen, der die richtige Reifenentscheidung trifft. Unser Partner Michelin arbeitet mit Hochdruck daran, neue Produkte zu entwickeln. Die Ergebnisse der jüngsten Tests lesen sich sehr viel versprechend. Wir gehen davon aus, dass beide Reifenhersteller bis zum Ende des Jahres auf einem sehr hohen Niveau agieren werden und dass uns die Partnerschaft mit Michelin den entscheidenden Vorteil bringt.

Worin liegt also das Geheimnis, das die Entscheidung im Titelkampf 2006 bringen wird?
Bob Bell: Wie so oft: Es gibt kein Geheimnis. Vielmehr geht es um harte Arbeit, Kreativität und Professionalität. Keines der beiden Teams darf sich Fehler oder Unzuverlässigkeit erlauben. Ein Ausfall wäre zu diesem Zeitpunkt der Saison fatal. Gleichzeitig dürfen wir in unserer Herangehensweise nicht nachlassen. Druck kann manchmal zu ungewöhnlichen Reaktionen führen. Viele reagieren mit überstürzten Aktionen und stellen sich damit selbst ein Bein. Aber bei Renault F1 halten wir den gewohnten Rhythmus und die eingespielten Arbeitsabläufe bei und sind davon überzeugt, dass unsere Art Motorsport zu betreiben den gewünschten Erfolg bringt. Wir haben die Chance, beide WM-Titel 2006 zu gewinnen - und genau das haben wir vor.