Die Redewendung "Das ist für mich wie ein Buch mit sieben Siegeln" bedeutet, dass einem etwas nur schwer verständlich oder begreifbar ist. Das Kräfteverhältnis der elf Formel 1-Teams, nachdem fast alle Testfahrten absolviert wurden, stellt sich quasi als "Buch mit fünf Siegeln" dar - denn man könnte theoretisch fünf Teams Siegchancen einräumen, in punkto Weltmeisterschaft sieht es schon ein wenig anders aus...

Weltmeister Renault werden jedenfalls sehr gute Chancen auf eine erfolgreiche Titelverteidigung eingeräumt, rein technisch zumindest. Rein menschlich ist nicht abzusehen, in wie fern sich der Wechsel von Titelverteidiger Fernando Alonso zu Erzkonkurrent McLaren-Mercedes, am Ende des Jahres, auf die Interaktion der Beteiligten auswirken wird. Fernando Alonso selbst glaubt natürlich daran, dass es keinerlei Auswirkungen geben wird. Wohl aber erkennt auch der Spanier eine breitere Spitze. "Letztes Jahr lagen Renault und McLaren deutlich vor dem Rest. McLaren beging ein paar Fehler und wir konnten davon profitieren. Aber in diesem Jahr sind es einige Teams, die sehr eng beieinander liegen." Im Rahmen der Testfahrten in Barcelona wagte Alonso dann doch eine Prognose: "Es sieht danach aus, als ob zurzeit Honda, Ferrari und Renault die stärksten Teams wären. McLaren verbesserte sich jedoch um einiges und sie könnten schon im ersten Rennen wieder bereit sein."

Honda ersehnt wie Erzkonkurrent Toyota den ersten Sieg., Foto: BAT
Honda ersehnt wie Erzkonkurrent Toyota den ersten Sieg., Foto: BAT

Honda - als in Barcelona vor rund einem Monat der neue RA106-Bolide vorgestellt wurde und Jenson Button sowie sein neuer Teamkollege Rubens Barrichello bei der Teampräsentation einem die köstliche Käseplatte mit Worten der Teamgeistbeschwörung versüßten, spürte man eines: Einen immensen Druck. Nicht nur, weil der japanische Konzern endlich den ersten Sieg holen möchte - auch Button und Barrichello stehen unter Strom. Button braucht nach 100 GP endlich den ersten Sieg und Barrichello braucht ein zweites Leben nach Michael Schumacher. Der erste Sieg ist möglich - der Titel wohl eher nicht...

Ferrari - es war schon recht seltsam, als Michael Schumacher in der Catalunya-Box fast fünf Minuten lang vor seinem 248 F1 stand. Als ob er den Boliden beschwören wollte. Niemand weiß, was man der Scuderia tatsächlich zutrauen kann - man kann ihr nämlich prinzipiell alles zutrauen. Experten wie Niki Lauda können sich sogar vorstellen, dass Ferrari dort ansetzt, wo man 2004 aufgehört hat, weil die Reifenwechsel wieder erlaubt wurden. Eine richtige Domina war der 248 F1 jedoch nicht bei den Testfahrten, aber man weiß ja nie.

Wie standfest ist der neue Chrom-Silberpfeil?, Foto: Sutton
Wie standfest ist der neue Chrom-Silberpfeil?, Foto: Sutton

McLaren-Mercedes glänzte wie Renault und Honda mit Rekordtestrunden. Doch der Speed war schon im letzten Jahr nicht das Problem der Silbernen, die jetzt verchromt sind. Ob der MP4-21 ein Standfester sein wird, können wir nicht wissen, wir werden es aber garantiert sehen. Hinzu kommt das Match zwischen Kimi Räikkönen und Juan Pablo Montoya. Eine gefährliche Angelegenheit. Unterliegt Montoya im Stallduell, droht ein Zurückrücken in die zweite Liga. Unterliegt Räikkönen Montoya, wäre das nicht minder schlecht für die künftige Karriere des "Iceman". Und schließlich muss einer der beiden am Ende des Jahres sein Cockpit räumen...

Bleibt noch Toyota - der japanische Budgetriese bräuchte wie Erzkonkurrent Honda den ersten Sieg. Unmöglich ist er - genau wie bei Honda - nicht. Als Titelkandidat kommt Toyota aber nicht wirklich in Frage.

Die oben erwähnte Redewendung stammt aus der Bibel. Es geht um ein Buch, dessen Siegel nur ein Lamm öffnen darf. Da wir jedoch weder ein frommes Lamm noch ein schwarzes Schaf zu sein pflegen, lassen wir auch die Finger vom Formel 1-Buch mit den fünf Siegeln und enthalten uns genauerer Prognosen. Das wäre in diesem ob der vielen Unbekannten in punkto Kräfteverhältnis elektrisch knisternden Jahr einfach nur albern.