Vor einer Woche verschickte der Reifenhersteller Michelin ein unerwartetes Press Release. Der Inhalt: Ein Interview mit Motorsportdirektor Pierre Dupasquier. Das Thema: Die mögliche Einführung eines Einheitsreifens in der Formel 1. Die Meinung: Dupasquier und Michelin halten an ihrer jahrelangen Aussage ein Verfechter des Reifen-Wettbewerbs zu sein fest.

"Ich weiß nur, dass ein Einheitsreifen nicht mit der Vorstellung der Michelin-Direktoren übereinstimmt", deutete Dupasquier sogar einen möglichen Rückzug aus der Königsklasse an. "So lange man keinen Holzreifen entwickelt, was unserer Vorstellung eines Reifens grundsätzlich widerspricht, entspricht es dem Geist des Motorsports mindestens zwei Reifenhersteller oder sogar mehr zu besitzen."

Der Tag der Drohung

Nur eine Woche danach stellte sich nun Michelin-Boss Edouard Michelin auf einer Pressekonferenz den brennenden Fragen der Journalisten. Die wichtigste war natürlich: Würde Michelin sich bei der Einführung eines Einheitsreifens aus der F1 zurückziehen?

"Wenn ein Einheitsreifen vorgeschrieben wird, würde Michelin einen Rückzug aus der F1 ernsthaft überdenken", lautete die eindeutige Antwort von Edouard Michelin. "Wir könnten uns 2008 zurückziehen. Wie es mit 2007 aussieht? Wir werden uns sehr genau damit befassen und die Situation mit unseren Partnern besprechen."

Edouard und sein Michelin-Männchen drohen mit Rückzug., Foto: Sutton
Edouard und sein Michelin-Männchen drohen mit Rückzug., Foto: Sutton

Eines ist jedoch klar: Michelin ist und bleibt ein Gegner eines Reifenmonopols. Schließlich möchte der eigenen Angaben zu Folge größte und beste Reifenhersteller der Welt durch sportliche Erfolge im Wettbewerb mit der Konkurrenz glänzen. "Die F1 ist die Königsklasse des Motorsports", so Michelin, "und dort sollte auf jedem Gebiet Wettbewerb herrschen."

"Wir müssen mit der FIA klarstellen, warum sie einen Einheitsreifen möchten", so Michelin weiter. "Wir haben nur ein geringes Vertrauen in die Transparenz und die Führung der FIA. Manchmal fragen wir uns, ob etwas falsch daran ist auf faire Weise zu gewinnen. Diese grundlegenden Fragen würden wir gerne erörtern."

Der Tag der Schande

Die Grundlage für die fast schon offensichtliche Anti-Michelin-Stimmung seitens des Motorsportweltverbandes FIA bildet offensichtlich die Indy-Gate getaufte Affäre um den Reifen-Skandal von Indianapolis. Bereits kurz danach eröffnete FIA-Präsident Max Mosley seine Bestrebungen zu einem Reifenmonopol zurückzukehren. Seine schonungslose Kritik an Michelin machte dabei deutlich, dass er lieber Bridgestone als Michelin in dieser Rolle sehen würde.

Als weiteren Schlag gegen Michelin darf man die Vergabe der Reifenausschreibung in der FIA Tourenwagen-Weltmeisterschaft WTCC an Yokohama interpretieren. "Der WTCC-Vertrag für 2006 wurde an Yokohama vergeben und das ist und bleibt für uns ein Rätsel", erklärte Michelin. "Es wurde einige Tage nach Indianapolis gemacht. Aus technischen Gründen? Aus finanziellen Gründen? Wir würden gerne wissen wie diese Ausschreibung ablief. Welche Auswahlkriterien angewendet wurden. Ob die FIA dies aber aufdecken wird? Für uns wird das entscheidend sein."

Der Tag der Entscheidung

Ein klares Anzeichen dafür, dass die Überlegungen in Richtung eines Bridgestone-Einheitsreifens durchaus weiter fortgeschritten sind, als dies offiziell zugegeben wird, sind die Gespräche von angeblich fünf Michelin-Kunden mit den Japanern.

Am Samstag bestätigten mit Williams und Toyota gleich zwei Michelin-Parterteams, dass sie mit Bridgestone verhandeln. Williams gab sogar schon seinen Wechsel von den Franzosen zu den Japanern für die Saison 2006 bekannt.

Wäscht Michelin bald woanders seine Reifen?, Foto: Sutton
Wäscht Michelin bald woanders seine Reifen?, Foto: Sutton

Die aktuelle Performance oder die Ankündigung von Luca di Montezemolo, dass ab dem Brasilien GP "Super-Reifen" aus Tokio angeliefert werden sollen, dürfte wohl kaum der Ausschlag gebende Grund für diese Entscheidung von Sir Frank Williams gewesen sein.

Und auch Toyota verkündete vor einigen Wochen noch in Person von Technikdirektor Mike Gascoyne, dass es momentan aus rein logischer und sportlicher Sicht nur einen Pneus gebe, mit dem man fahren müsse: Den Michelin.

Mit Red Bull Racing hält aber zumindest eines der aktuellen Partnerteams den Franzosen auch 2006 die Stange. Entgegen allen Erwartungen und Motoren-Verbindungen zu Ferrari bestätigte das britisch-österreichische Team am Samstag, dass man auch im nächsten Jahr mit Michelin-Pneus antreten werde.

Rein spekulativ betrachtet erscheint diese Lösung für Red Bull allerdings auch als die beste Variante. Denn während ein vorzeitiger Wechsel zu Bridgestone, wie ihn Williams vollzieht, bei einem Eintreten eines Bridgestone-Reifenmonopols dem Team einen Wissensvorsprung mit den japanischen Gummiprodukten gibt, kann Red Bull im nächsten Jahr mit einem guten Auto, einem starken Motor sowie den momentan besseren Reifen vielleicht die wechselwilligen Teams wie Williams hinter sich lassen.

Der kurzfristige Punkte- und Imageeffekt wäre damit also zumindest in der Saison 2006 enorm. Und Image sowie Marketing sind bekanntlich die große Stärke der geflügelten roten Bullen.

Wen interessiert schon ein 'kleiner' Wissensnachteil beim erzwungenen Wechsel zu einem Einheitsreifen im Jahr 2007 oder 2008, wenn man zuvor mit dem besseren Michelin-Reifen Punkteplatzierungen, Podestplätze oder gar Siege eingefahren und vor Toyota oder Williams in der Konstrukteurswertung gelegen hat?