Bis auf BRM und Ferrari setzten Mitte der Siebziger Jahre alle Formel 1-Teams auf das hervorragende Cosworth DFV-Triebwerk, was zu einer engen Leistungsdichte im Starterfeld führte. Auf der Suche nach Vorteilen gegenüber der Konkurrenz gingen die Designer und Konstrukteure der einzelnen Teams oder Chassishersteller zum Teil recht eigenwillige Wege und so entstanden einige recht außergewöhnliche Konstruktionen. Doch während viele Ideen nicht über den Zeichentisch oder vereinzelte Testfahrten hinauskamen, entwickelte Tyrrell-Konstrukteur Derek Gardner seine revolutionären Gedanken bis zur Rennreife weiter und das Tyrrell Team schrieb mit dem sechsrädrigen P 34 Formel 1-Geschichte.

Die Idee eines sechsrädrigen Rennwagens beschäftigte Gardner schon seit langer Zeit. Als er im Herbst 1974 Ken Tyrrell von seinen Plänen erzählte, stieß er zunächst auf wenig Gegenliebe. Zu erfolgreich war man zu dieser Zeit und für Tyrrell bestand damals kein akuter Handlungsbedarf.

Von vorne sieht der P34 gar nicht so anders aus..., Foto: Sutton
Von vorne sieht der P34 gar nicht so anders aus..., Foto: Sutton

Wie ein Vertreter erschien dann Gardner in den darauffolgenden Monaten immer Häufiger im Büro seines Chefs, um seine "Ware" anzubieten und Ken Tyrrell von seiner Idee zu überzeugen. Erst als dann im Frühjahr/Sommer 1975 deutlich wurde, daß der 007 die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht hatte und das Team in der Mittelmäßigkeit abzusacken drohte, stieß Gardner bei seinen regelmäßigen Vorstößen schließlich auf offene Ohren und nach zahlreichen Diskussionen erhielt der ehrgeizige Konstrukteur dann im Juni 1975 endlich grünes Licht für Versuche mit einem sechsrädrigen Rennwagen.

Ken Tyrrell machte jedoch zur Bedingung, daß das Versuchsprojekt so kostengünstig als nur möglich durchzuführen war und überwiegend Teile aus den aktuellen Fahrzeugen verwendet werden sollten. Ein komplett neues Fahrzeug durfte für diesen Test nicht gebaut werden, denn Ken Tyrrell glaubte noch nicht so recht an Gardners Visionen.

Mit großem Eifer machte sich Gardner ans Werk. An ein altes Monocoque wurde die Heckpartie des aktuellen 007 angepaßt und nur der vordere Teil des Versuchswagens mit den vier Rädern wurde nach bereits gezeichneten Plänen neu angefertigt. Der Prototyp hatte einen nur 50 Liter fassenden Treibstofftank und besaß keine Knautschzone.

Mitte September war der P 34 dann endlich fertiggestellt und wurde am 22. September 1975 im Londoner Heathrow Hotel der völlig überraschten Öffentlichkeit vorgestellt.

Gardner erklärte den geladenen Gästen die theoretischen Vorteile seiner außergewöhnlichen Konstruktion: Durch die kleinen, hintereinander angebrachten Vorderräder konnte die Frontpartie wesentlich flacher gestaltet werden und bot somit dem Fahrtwind erheblich weniger Aufprallfläche. Von dieser aerodynamischen Verbesserung versprach er sich weitaus höhere Geschwindigkeiten auf den Geraden als bei konventionellen Rennwagen mit vier Rädern, bei mindestens ebenso guten Kurveneigenschaften aufgrund der erhöhten Bodenhaftung mit sechs Rädern.

... von oben aber sehr wohl., Foto: Sutton
... von oben aber sehr wohl., Foto: Sutton

Gardner errechnete eine relative Leistungssteigerung des Motors um etwa 40 PS. Außerdem erwähnte er auch noch Sicherheitsaspekte, denn sollte ein Vorderreifen platzen, dann könnte der zweite Reifen dessen Dienst kurzfristig übernehmen und der Fahrer würde den Wagen nicht plötzlich außer Kontrolle verlieren.

Die Kritiker erkannten aber auch sofort Schwachstellen: Höheres Gewicht, längere Zeit für Reifenwechsel, größerer Verschleiß der kleinen Vorderräder durch höhere Drehgeschwindigkeit, neu zu entwickelnde Reifen, völliges Neuland hinsichtlich der Abstimmung und eine sehr aufwendige, komplizierte Technik im Bereich der Vorderachse waren die Argumente der "Sechsradgegner".

Doch Gardner ließ sich nicht beirren und verteidigte seinen "Tausendfüßler" verbissen. Er war sich seiner Sache ganz sicher und wollte es allen zeigen, doch um auch seinen Teamchef restlos zu überzeugen, mußte der P 34 noch eine hohe Qualifikationshürde nehmen. Ken Tyrrell stellte noch einmal klar, daß er nur dann gewillt sei, sich weiterhin mit diesem Projekt zu beschäftigen, wenn dieses fahrbare Labor auf Anhieb bessere Leistungen zeigen sollte als der aktuelle 007.

Seine erste Feuerprobe erhielt der P 34 bei Testfahrten in Silverstone und in LeCastellet Ende Oktober 1975 und Gardners Prognosen erwiesen sich als richtig: Der Wagen war auf der Geraden tatsächlich schneller und bewies sogar eine deutlich bessere Bremsverzögerung als erwartet.

Die Skepsis gegenüber dem P34 wich., Foto: Sutton
Die Skepsis gegenüber dem P34 wich., Foto: Sutton

Nun war auch Ken Tyrrell begeistert, doch bevor er sich endgültig entscheiden wollte, setzte der eigenwillige Teamchef noch einen letzten Test an. Er beorderte Scheckter in den 007 und Depailler in den neuen P 34 - ein teaminternes Rennen unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

Zwanzig Runden spulten die beiden ab und das Ergebnis hätte eindeutiger nicht ausfallen können: Depailler hatte keine Mühe, das Tempo Scheckters mitzugehen. Fuhr Depailler hinter Scheckter auf den Geraden, so konnte er dem Südafrikaner mühelos folgen und vor den Kurven meist noch bequem überholen. Scheckter dagegen hatte keine Chance, Depailler im P 34 zu überholen. Aber auch in den Kurven zeigte sich der P 34 dem 007 mindestens gleichwertig.

Nach dieser eindrucksvollen Demonstration des P 34 unterhielt sich Ken Tyrrell noch einmal ausgiebig mit seinen beiden Piloten und als beide einstimmig für den neuen Wagen plädierten, war auch Tyrrells letzter Zweifel ausgeräumt. Zwei Wochen vor Weihnachten gab er dann Gardner den Auftrag zum Bau weiterer Sechsrad-Rennwagen, diesmal jedoch ohne Einschränkungen! Mit diesem Auto wollte Tyrrell den 1975 verlorenen Boden in der nächsten Saison wieder gutmachen.