Die Formel 1 nähert sich mit dem Großen Preis von Aserbaidschan langsam aber sicher der Saisonhalbzeit. Im WM-Kampf konnte Lewis Hamilton in Montreal den Rückstand auf Sebastian Vetteln wieder verkürzen und beim achten Rennen des Jahres geht das Ping Pong-Spiel zwischen Mercedes und Ferrari in den Straßen von Baku in die nächste Runde. Während Vettel auf die Revanche pocht, muss sich Hamilton seinem Baku-Trauma von 2016 stellen. Neben dem Duell der Titelaspiranten könnte der letztes Jahr für den Grand Prix von Europa genutzte Straßenkurs außerdem wieder für einige Überraschungen aus dem Mittelfeld sorgen. Das sind die fünf Brennpunkte für den Aserbaidschan GP.

Brennpunkt #1: WM-Duell spitzt sich zu

Vettel und Hamilton haben sich in der Gesamtwertung vor dem Aserbaidschan GP bereits einen komfortablen Vorsprung auf ihre Teamkollegen herausgefahren. 68 respektive 36 Punkte liegen Räikkönen und Bottas hinter den Speerspitzen ihrer Teams zurück, womit die Rollenverteilung mittlerweile mehr als klar sein dürfte. Wie wenig sich die Titelfavoriten schenken, zeigt die Statistik der letzten drei Rennen: Während Hamilton 56 Punkte einfahren konnte, kommt Vettel auf 55 Zähler. In der Gesamtwertung trennen die Beiden vor Baku nur noch zwölf Punkte.

Für Hamilton und Mercedes war die bisherige Saison dabei ein ziemliches Auf und Ab. Der F1 W08 hat noch nicht die Allrounder-Qualitäten an den Tag gelegt, mit dem die Mannschaft rund um Teamchef Toto Wolff in den vergangenen Jahren unaufhaltsam von Sieg zu Sieg eilte. "Für uns ist es definitiv eine Herausforderung, Das Auto jedes Wochenende dorthin zu bringen, wo wir es haben wollen", so Hamilton. Seit dem Spanien GP hat sich die Performance der Silberpfeile aber zunehmen stabilisiert, weshalb der Brite davon ausgeht, auf dem Straßenkurs am Kaspischen Meer an seine zuletzt glänzende Form anknüpfen zu können.

Mit deutlich weniger Fragezeichen über dem Kopf reist Sebastian Vettel nach Baku: Der derzeitige Meisterschaftsführende fuhr letzte Saison auch mit dem maßlos unterlegenen SF16-H einen zweiten Platz ein. Beim zweiten Auftritt in Aserbaidschan steht dem Ferrari-Piloten ein Auto zur Verfügung, das in der Saison 2017 bisher auf allen Strecken Siegpotential hatte - im Gegensatz zum silbernen Konkurrenzprodukt. Dementsprechend gut sind Vettels Chancen, eine von Hamiltons Achillesfersen im Kalender zu nutzen, um das Blatt nach der Kanada-Niederlage erneut zu wenden.

Brennpunkt #2: Zeit für Stallorder?

Kimi Räikkönens Siegeshunger ist ungebrochen, doch Ferrari könnte diesem im Weg stehen, Foto: Sutton
Kimi Räikkönens Siegeshunger ist ungebrochen, doch Ferrari könnte diesem im Weg stehen, Foto: Sutton

Je weiter die Formel-1-Saison 2017 voranschreitet, desto wichtiger wird die Rolle der Teamkollegen im Hause Mercedes und Ferrari. Während in den ersten Saisonrennen eine Teamorder im Sinne des Teamergebnisses noch für wenig Anstoß sorgte, sah das an den vergangenen Wochenenden bereits anders aus. Selbst unterschiedliche Taktiken, wie bei Ferrari in Monaco, wurden äußerst kritisch beäugt und mündeten schnell in Verschwörungstheorien. Angesichts des enormen Punkterückstandes und der Historie der Italiener dürfte es mittlerweile aber keine Zweifel mehr daran geben, dass Räikkönen im Zweifelsfall schnell für den WM-Anwärter Vettel geopfert werden dürfte. Die Frage ist nur, ob der Finne, der für 2018 noch keinen Vertrag hat, diese Rolle immer spielen möchte. Dass der Iceman an guten Tagen immer noch eine Gefahr für Vettel darstellt, bewies er unlängst mit seiner Pole Position in den Straßen von Monaco - und einen Sieg wird er sich auf die alten Tage sicher und ungern nehmen lassen.

Bei Mercedes hingegen sträubt man sich wie eh und je gegen eine Teamorder. Bisher musste Bottas für den Stallgefährten auch nichts machen, was sein Vorgänger Rosberg nicht auch ab und an hatte machen müssen. Stichwort Bahrain, als der Finne dem schnelleren Hamilton auf der Jagd nach Vettel aus dem Weg fahren musste. Ansonsten ist Bottas dem Star-Piloten im Team bis dato nur selten zur Gefahr geworden, weshalb die Hackordnung innerhalb des Teams sich für Hamilton offenbar schon mehr oder weniger von selbst ergeben hat. Zumindest lässt die Gelassenheit in seinen Aussagen über das Verhältnis zum Teamkollegen darauf schließen: "Wir haben eine andere Chemie. Die Arbeitsatmosphäre ist dieses Jahr auf einem komplett anderen Level."

Brennpunkt #3: Hamiltons Baku-Trauma

Nach einem Fahrfehler beendete Hamilton das Baku-Qualifying 2016 zu Fuß, Foto: Sutton
Nach einem Fahrfehler beendete Hamilton das Baku-Qualifying 2016 zu Fuß, Foto: Sutton

Für Lewis Hamilton wird der zweite Auftritt in Baku eine spezielle Herausforderung, denn bei der Rennpremiere im vergangenen Jahr erlebte er ein absolutes Debakel. Das Rennwochenende in Aserbaidschan war 2016 zweifelsohne eine der schwächsten, wenn nicht sogar die schwächste Vorstellung des Briten. Im Qualifying verbremste er sich am laufenden Band und setzte seinen Silberpfeil im Q3 in die Mauer. Im Rennen verzweifelte er nach Startplatz zehn an seinen Motor-Modi und schaffte in der Folge keine Aufholjagd, wodurch er nicht über die fünfte Position hinauskam - während Teamkollege Nico Rosberg sowohl den Kurs als auch die Komplexität seines Silberpfeils meisterte und gewann.

In der aktuellen Saison leistete Hamilton sich bereits zwei ähnlich schwache Wochenenden. In Sochi und Monaco kam er auf keinen grünen Zweig und fuhr sowohl im Qualifying als auch im Rennen der direkten Konkurrenz hinterher. In Baku soll es für den 32-Jährigen allerdings keine Wiederholung eines solchen Wochenendes geben. Zumindest die jüngsten Erfolge stimmen ihn in dieser Hinsicht zuversichtlich: "Wenn wir weiter so sorgfältig arbeiten wie zuletzt nach jedem Rennen, auch wenn wir gewonnen haben, bin ich mir sicher, dass wir weiterhin an der Spitze kämpfen können - und das ohne eine Achterbahnfahrt wie bisher."

Brennpunkt #4: Eine Chance für die Underdogs?

Kann Sergio Perez seine bestechende Form 2017 in Baku wiederholen?, Foto: Force India
Kann Sergio Perez seine bestechende Form 2017 in Baku wiederholen?, Foto: Force India

Wenn es um die Vergabe von Edelmetall geht, hatte außer den Mercedes- und Ferrari-Piloten dieses Jahr niemand sonst etwas zu melden. Lediglich vier dritte Plätze stehen für Red Bull in der Saison 2017 bisher als Ausbeute zu Buche. Von den Underdogs wie Williams oder Force India konnte sich bisher noch kein Team einen Platz auf dem Podest unter den Nagel reißen. In Barcelona war Force India mit den Plätzen vier und fünf ganz nah dran an der Überraschung, doch näher kam selbst Podiums-Geheimtipp Sergio Perez nicht an die ersehnte Trophäe heran. In Baku allerdings kehrt der 27-Jährige auf eine seiner Paradestrecken aus der Saison 2016 zurück.

2016 erlebte Force India in den Straßen der aserbaidschanischen Hauptstadt sein mit Abstand stärkstes Wochenende. Im Zeittraining schlug Perez der Konkurrenz von Ferrari und Red Bull ein Schnippchen und qualifizierte sich auf einem sensationellen zweiten Platz. Am Rennsonntag konnte auch die Strafversetzung von fünf Positionen, welche er aufgrund eines Getriebewechsels hinnehmen musste, den Mexikaner nicht stoppen: Mit einem dritten Platz stellte Perez seinen bis dato letzten Podestplatz sicher. Ein Jahr später wäre die Zeit für ihn Reif, dieses Kunststück zu wiederholen. Sollte Force India in Baku erneut über den gewohnten Verhältnissen performen, könnte es allerdings auch sein, dass Ocon für die große Überraschung sorgt. Der Franzose rückte Perez in den vergangenen Rennen vermehrt auf die Pelle und schickt sich an, am Kräfteverhältnis innerhalb des Team zu rütteln.

Brennpunkt #5: Reifenkiller Baku

Die Reifen haben bei der Premiere in Baku ordentlich gelitten, Foto: Sutton
Die Reifen haben bei der Premiere in Baku ordentlich gelitten, Foto: Sutton

Wie schon 2016 bringt Pirelli die Mischungen Supersoft, Soft und Medium nach Baku. Diese Wahl kam vergangene Saison allerdings nicht bei jedem Team gut an. Am Start war der Großteil des Feldes auf dem Supersoft unterwegs, doch schon nach wenigen Runden war der Performance-Einbruch bei der weichsten Mischung bei einigen Teams enorm. Allen voran Red Bull litt unter dem Reifenverschleiß auf dem Straßenkurs. Die Not war so groß, dass Ricciardo und Verstappen als einzige Piloten der Top-10 einen zweiten Boxenstopp einlegten und sogar die Medium-Mischung aufzogen, um irgendwie durch den Grand Prix zu kommen.

Eine Wiederholung dieser Misere dürfte angesichts der diesjährigen Reifen unwahrscheinlich sein. Sämtliche Mischungen fallen deutlich härter aus als noch im Vorjahr, wodurch frühe Boxenstopps 2017 nicht der Fall sein sollten. Die Reifen könnten dennoch wieder das Zünglein an der Waage sein, denn nach zuletzt zwei Rennwochenenden mit dem Ultrasoft als weichste Mischung, müssen sich die Teams wieder mit dem Supersoft in dieser Position anfreunden. Gut möglich, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Mercedes und Ferrari alleine dadurch erneut verschiebt.