Diese Antwort hatte es in sich. Nach dem großen Monaco-Debakel, dem ersten Podium ohne jede Mercedes-Beteiligung seit Spanien 2016, haben die Silberpfeile gleich beim darauf folgenden F1-Rennwochenende mit voller Kraft zurückgeschlagen. In Kanada sicherten Lewis Hamilton und Valterri Bottas Mercedes einen nie gefährderten, dominanten ersten Doppelsieg der Formel-1-Saison 2017.

Doch wie gelang die Trendwende um 180 Grad binnen nur zwei Wochen? Teamchef Toto Wolff, Lewis Hamilton und Valtteri Bottas klären auf. "Nach Monaco haben wir ziemlich schnell verstanden, warum der Sonntag so war wie er war", berichtet Wolff. Einfach sei die Monaco-Aufarbeitung dennoch nicht gewesen. Wolff: "Wir mussten auch verstehen, was Freitag und Samstag passiert war - und das war etwas kniffliger."

Also stellte Mercedes ein Mammutprogramm zur Analyse auf die Beine. "Eine Gruppe an Ingenieuren kam zusammen, um in Ruhe herauszufinden, was passiert ist. Seit Monaco brannte das Licht in der Fabrik 24/7, auch der Simulator lief zehn Tage am Stück 24/7. Niemand hat sich freigenommen, das ganze Team hat Vollgas gegeben", schildert Wolff. "Wir haben alle Bereiche angeschaut, haben jeden Stein umgedreht: Aero, mechanische Balance, Setup-Arbeit, die Reifen selbst und wie die Fahrer das Auto gefahren sind. Alles!", sagt Wolff.

So aufwendig war die Mercedes-Analyse

Wolff weiter: "Die Führung der Gruppe haben sechs bis acht Leute übernommen. Mit allen Gruppen, die darunter gearbeitet haben, die die Knochenarbeit geleistet und die richtigen Schlüsse gezogen haben, war es eine ziemlich große Zahl an Leuten. Wir versuchen immer alle, eine einfache Erklärung zu finden. Fakt ist aber: Man muss alles zusammenbringen. Die Plattform des Autos ist sehr komplex, es sind komplexe Systeme, die miteinader interagieren. Nicht nur das Eine ist verantwortlich, um eine große Veränderung im Fahrverhalten zu erzielen."

"Es war ein Reality-Check!", ergänzt Hamiton. Unendlich viel habe es zu analysieren gegeben, bestätigt Hamilton. "Die Ingenieure haben sich alle Bereiche angeschaut, versucht sicherzustellen, dass auch die Simulationen richtig sind. Denn die waren nicht perfekt. Es ging darum zu verstehen, warum der Windkanal uns die eine Lesart und die Simulation uns eie andere gibt." Noch bei einem Besuch in der Fabrik am Donnerstag nach Monaco seien die Analysen auf Hochtouren gelaufen. "Dann hatten wir später in der Woche Besprechungen, was sie herausgefunden haben. Das waren noch ein paar Dinge. Dann hatten wir hier (in Kanada, d. Red.) ein Meeting am Mittwoch und danach eine klare Idee."

In Singapur 2015 erlebten die Silberpfeile ein gewaltiges Rätselraten um eine schwache Performance, Foto: Sutton
In Singapur 2015 erlebten die Silberpfeile ein gewaltiges Rätselraten um eine schwache Performance, Foto: Sutton

Hamilton: Nicht wie Singapur 2015 - dieses Mal alles verstanden

Ein Aufwand, der Toto Wolff an den Singapur 2015 erinnert. "Genau wie in Singapur haben wir eine Grundlage geschafft und versucht ruhig zu bleiben", sagt Wolff. Damals hatte Mercedes ebenfalls ein völlig verkorkstes Wochenende erlebt, rätselte noch lange Zeit über die Gründe. Genau deshalb sieht hingegen Lewis Hamilton keine völlig Parallele zwischen damaliger und gegenwärtiger Situation. "Nein, in Singapur gab es mehr Unbekannte, was genau passiert war. Selbst nach zwei Wochen hatte ich noch nicht voll verstanden, warum wir in dieser Situation waren. Wir sind zwar (auch 2015, d. Red.) zurückgekommen, aber diesmal war das Engineering so viel besser", sagt der WM-Zweite.

Der Unterschied zu Singapur für Hamilton: "Wir haben wirklich verstanden, was schief geaufen war und wo das Auto falsch war und die Reifen nicht liefen. Wir sind hier mit Wissen hingekommen, was Sache war statt nur mit Vermutungen. Wir hatten ein wirkliches Verständnis davon, wie man es in den Griff bekommt." Die Folge: Hamilton konnte wieder abliefern, keine Spur war verblieben von seinen gewaltigen Problemen, besonders mit der ultrasoften Reifenmischung. "Grip! Viel Grip!", so Wolff, sei der Hauptgrund für Hamiltons Comeback in Kanada gewesen.

Viel wohler fühlte sich Hamilton gleich von Beginn des Wochenendes, setzte sofort die Bestzeit im ersten Training. Ferrari kam bis zum Qualifying zwar wieder auf, was Toto Wolff kurzzeitig neue Sorgen bereitete, doch in der Qualifikation selbst war wieder Hammertime angesagt. Hamilton nagelte einen astronimischen Rundenrekord in den Aspahlt, schnappte die Pole mit mehr als drei Zehnteln Vorsprung auf Vettel. Groß ist deshalb auch die Dankbarkeit gegenüber seiner Ingenieure und aller Mitarbeiter in der Fabrik.

DHL Fastest Lap Award: Kanada GP: (01:39 Min.)

Hamilton: Bestes Teamwork seit langer Zeit

"Es lag am Team", kommentiert Hamilton die Trendwende in Montréal. "Es war ein großartige Kopfarbeit zusammen, auch die Kommunikation hat gut funktioniert. Glaubt es oder nicht, aber das ist in einem großen Unternehmen nicht immer der fall. Es ist leicht, aneinander vorbei zu reden. Aber sie waren alle sehr offen gegenüber einander. Das war das beste Teamwork, das ich seit langer Zeit gesehen habe", lobt der Brite.

Hamiltons Teamkollege indessen machte mit einem ungefährdeten zweiten Platz in Kanada das perfekte Teamergebnis zwar komplett, hatte allerdings - anders als Hamilton - noch mit Problemen zu kämpfen. Bottas konnte vom Glück reden, das die Verstappens, Vettels und Räikkönens allesamt einen alles anderen als idealen Sonntag erlebten. Das hatte schon das Qualifying gezeigt: Bottas musste sich Hamilton deutlich geschlagen geben. Mehr als sieben Zehntel fehlten, auch Vettel war also ein gutes Eck schnell, Räikkönen nur einen Hauch dahinter.

Wegen Bottas: Der Zweifel nagt weiter an Mercedes

"Sobald ich gepusht habe, hatte ich keinen Grip mehr. Es war etwas seltsam und Lewis schien im Q3 mehr Vertrauen ins Auto zu haben. Wir hatten einen kleinen Unterschied beim Reifendruck, aber das hat nicht gereicht, um den großen Abstand zu erklären", erklärt Bottas. Im Rennen sei der Unterschied dann weit weniger groß gewesen meint Bottas trotz 20 Sekunden Rückstand im Ziel.

Wie Hamilton zeigt sich auch der Finne erstaunt von der schnellen wie präzisen Problemanalyse des Teams. "Nach einem harten Wochenende in Monaco bin ich beeindruckt, wie das Team alles zusammenbekommen hat und wie sie sich in den letzten beiden Wochen gesteigert haben, ist absolut beeindruckend. Es war sehr beeindruckend, was wir in nur zwei Wochen geschafft haben, wie wir alles verbessert haben. Als Team. Ich habe noch nie eine Gruppe an Menschen gesehen, die so entschlossen ist, zu gewinnen und zurück an die Spitze zu kommen", schwärmt Bottas.

Doch der Finne ergänzt: "Ich denke, dass wir gute Fortschritte gemacht haben. Aber Baku ist eine neue Herausforderung. Wir müssen weiter arbeiten und pushen." Denn die Ursache des Grip-Mangels Bottas' im Qualifying ist erneut noch ein Mysterium für Mercedes. Toto Wolff: "Obwohl wir ähnliche Setups hatten erhöhte sich Lewis' Grip-Level während des Qualifyings während sich Valtteris verringerte. Und das aus keinen für uns offensichtlichen Gründen. Das sind die kleinen Fragezeichen, die bleiben und die wir lösen müssen."

Alle Probleme, Sorgen und Zweifel sind bei Mercedes noch nicht final ausgeräumt, Foto: Sutton
Alle Probleme, Sorgen und Zweifel sind bei Mercedes noch nicht final ausgeräumt, Foto: Sutton

Wolff: Nicht alle Mercedes-Probleme gelöst

Entsprechend wenig hält Toto Wolff von Aussagen, mit Kanada sei nun final der große Durchbruch gelungen. "Das Gefühl habe ich nie. Monaco sah ziemlich düster aus, aber wir sind nicht in Depressionen verfallen. In Kanada sah es jetzt ziemlich großartig aus, aber ich würde jetzt nicht sagen, dass alle Probleme gelöst sind", wiederholt Wolff mit Blick auf die finnische Seite der Garage. "Ich glaube nicht, dass wir den Heiligen Gral gefunden haben. Sicherlich verstehen wir die Situation jetzt viel besser und haben weitere wertvolle Daten gesammelt, aber jetzt müssen wir weiter nach Baku."

Genau dort könnte sich das Blatt theoretisch erneut wenden, bietet der Baku City Circuit erneut völlig andere Bedingungen in Sachen Asphalt und Layout als Kanada. "Heute Abend gibt es ein Bier auf dem Rückflug", sagte Wolff nach dem Rennen in Kanada. "Aber dann haben Niki und ich schon wieder eine Diskussion und fallen zurück in unsere Skepsis für Baku. Vergangenes Jahr war es ein schweres Rennen, aber man muss Rennen für Rennen sehen und Ruhe bewahren", sagt Wolff.

Ähnlich sieht es Paul Hembery. "Mercedes' Problem ist ein wenig mit gewissen Kursen und Bedingungen verbunden. "In Barcelona war alles in Ordnung - und in Spa und Silverstone wird es das auch sein", erklärt der Pirelli-Chef. auf formula1.com. "Es sind die Kurse mit weniger Grip, wo sie mehr Probleme gehabt haben, aber ich bin sicher, dass sie im Saisonverlauf jedwedes Problem lösen werden."

Lewis Hamilton ist sicher: Mit dem richtigen Einsatz hört die Achterbahnfahrt auf, Foto: Sutton
Lewis Hamilton ist sicher: Mit dem richtigen Einsatz hört die Achterbahnfahrt auf, Foto: Sutton

Hamilton: Achterbahnfahrt kann aufhören - mit Arbeitseifer

Genau darauf setzt auch Toto Wolff. Der Mercedes-Motorsportchef weiß genau, worin die größte Stärke seines Teams liegt. "Je mehr Daten man sammelt, desto mehr versteht man. Wir haben es die letzten Jahre gesehen, wir werden da jedes Jahr stärker. Es ist hier kein Instinkt-Business, sondern ein wissenschaftliches Geschäft. Je mehr Daten wir sammeln, desto besser können wir das Puzzle zusammensetzen - obwohl es immer noch ein kompliziertes Bild ist. Das zeigen die Unterschiede zwischen unseren Autos, obwohl es keine größeren Unterschiede beim Setup gab. Jeder Kilometer, den wir fahren, macht uns besser", sagt Wolff. "Hoffentlich gut genug für die WM."

Lewis Hamilton, zuletzt erster Zweckpessimist im Staate, ist davon inzwischen wieder völlig überzeugt. Zwar sei es durchaus möglich, dass die Performance-Achterbahnfahrt 2017 noch eine Weile weitergeht. Aber: "Wenn wir mit diesem Eifer der vergangenen zwei Wochen weiterarbeiten, auch nach Siegen weiterarbeiten, bin ich ziemlich sicher, dass wir kämpfen können - und dann vielleicht nicht diese Achterbahnfahrt erleben müssen, dieses Hoch und Runter."

Vorhersehen könne er es aber freilich nicht, zumal sich Hamilton akutell einzig und allein für das nächste Rennen interessiert. "Baku ist bisschen wie Russland und da waren wir schnell", meint Hamilton. "Aber es ist immer eine Herausforderung für uns im Auto, das Auto dahin zu bringen, wo wir es haben wollen. Aber da haben wir dieses Wochende viel gelernt."