Sebastian Vettel verlor den Kanada GP am Start. Mit dem Frontflügel verabschiedeten sich auch die Hoffnungen auf seinen zweiten Sieg in Montreal. Danach hieß es Schadensbegrenzung für den Ferrari-Piloten, die auf Rang vier endete. Doch hätte Vettel auch nach dem Rempler von Max Verstappen auf dem Podium landen können? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse liefert die Antwort.

Denkbar knapp verpasste Vettel letztendlich sein siebtes Podium im siebten Rennen der Saison. 0,610 Sekunden hinter Daniel Ricciardo im Red Bull überquerte der Deutsche die Ziellinie. Entsprechend enttäuscht war Vettel nach dem Rennen. Die große Enttäuschung rührte aber nicht von der Startkollision, sondern von mehreren Faktoren, die danach seine Aufholjagd einbremsten.

Der beschädigte Frontflügel war ärgerlich, keine Frage. Doch Ferrari hätte den Schaden minimieren können. Weil nach der Kollision von Carlos Sainz, Romain Grosjean und Felipe Massa das Safety-Car ausrückte, hätte Vettel bei einem sofortigen Flügelwechsel zwar viele Positionen, nicht aber besonders viel Zeit verloren.

Auch nach der Kollision mit Verstappen war locker noch ein Podium für Vettel möglich, Foto: Sutton
Auch nach der Kollision mit Verstappen war locker noch ein Podium für Vettel möglich, Foto: Sutton

Vettel allerdings blieb draußen und kam erst an die Boxengasse, als sich beim Restart der halbe Frontflügel auflöste. Dabei wurden auch noch Unterboden und Luftabweiser unter dem Chassis beschädigt.

Ein ärgerlicher Fehler, der nicht auf die Kappe des Deutschen geht. "Ich habe gefragt, ob die Ingenieure checken können, ob ich einen Schaden habe. Ich hatte ein etwas komisches Gefühl aus Kurve sechs heraus, aber dann kam das Safety-Car. Ich war mir nicht sicher, denn es war die erste Runde des Rennens, die ist immer speziell. Es war sehr windig, da dachte ich, es wäre vielleicht eine Böe gewesen. In der ersten Runde sind die Reifen auch nicht so da."

Vettel bemerkt Schaden, Ingenieure nicht

Vettel ist entschuldigt. Er hatte etwas bemerkt, ehe er es verifizieren konnte, rückte aber schon das Safety-Car aus. In langsamer Fahrt ist es nicht möglich, eine solche Beschädigung am Fahrverhalten zu spüren. Dass Vettel den wackeligen Flügel im Gegensatz zu Millionen von TV-Zuschauern nicht sah, ist seiner Sitzposition geschuldet. Die Fahrer sitzen deutlich tiefer als die Onboard-Kameras.

Ferrari allerdings hätte das Ausmaß der Beschädigung an den TV-Bildern erkennen müssen. Teamchef Maurizio Arrivabene verteidigt seine Truppe: "Unsere Daten haben anfangs gezeigt, dass der Schaden nicht so ernst war." Eine gravierende Fehleinschätzung.

Und so kam Vettel erst an die Box, als es schon zu spät war. Wie viel Zeit verlor der Ferrari-Star durch den Boxenstopp zum falschen Zeitpunkt? Wäre Vettel sofort reingekommen, hätte er zwar auch viele Positionen verloren, wäre beim Restart aber direkt am Feld dran gewesen. Bei einem Stopp direkt am Ende von Runde eins wäre er sogar noch vor Romain Grosjean und Pascal Wehrlein auf Position 16 rausgekommen.

Beim Restart wäre Vettel dann rund sechs Sekunden nach Lewis Hamilton über die Ziellinie gefahren - dafür mit frischen Reifen und vor allem intaktem Frontflügel. Tatsächlich lag Vettel beim Restart eine Sekunde hinter Hamilton - aber mit defektem Flügel.

Vettel wechselte erst in Runde fünf Flügel und Reifen. Weil ein Stopp mit Flügelwechsel länger dauert, verbrachte er rund 31 Sekunden zwischen Boxenein- und Boxenausfahrt. Mit 30 Sekunden Rückstand auf den führenden Hamilton reihte sich Vettel auf dem 18. und letzten Platz wieder ein.

Der Boxenstopp zur falschen Zeit warf Vettel weit zurück, Foto: Sutton
Der Boxenstopp zur falschen Zeit warf Vettel weit zurück, Foto: Sutton

Sicherlich wäre es nicht korrekt, nun anzunehmen, durch den zu späten Stopp hätte er 25 Sekunden verloren, weil Vettel im Verkehr nicht die Hamilton-Zeiten hätte mitgehen können. Aber selbst, wenn Vettel nach dem Restart niemanden überholt hätte, wäre er nach Runde sechs etwa 17 statt 30 Sekunden hinter der Spitze gelegen.

Durch Verkehr und Track-Position lassen sich die Brutto-Zeiten nie eins zu eins in Relation setzen, doch Vettel hätte auf jeden Fall mehrere Sekunden durch einen richtig getimten Stopp gewonnen. In Anbetracht der Tatsache, dass ihm am Ende sechs Zehntel auf Daniel Ricciardo fehlten, kann man wohl guten Gewissens feststellen, dass ihn der Fehler seiner Mannschaft das Podium kostete. Doch ganz dahin waren die Podiums-Chancen auch da noch nicht.

Vettel-Aufholjagd endet bei Ocon

Anschließend pflügte Vettel durchs Feld: Überholmanöver und Boxenstopps anderer Piloten spulten ihn schnell nach vorne. Doch hinter Esteban Ocon auf Rang sechs war dann zunächst Schluss. Vettel kam auf seinen alten Supersoft-Reifen nicht am Force India vorbei

Ferrari hatte für Vettel allerdings einen Strategie-Coup in der Tasche: Durch einen erneuten Reifenwechsel würde er nur seine Position an Kimi Räikkönen verlieren, der seinerseits die Kampfgruppe gerade auf frischen Reifen zu einholen versuchte. Mit frischen Reifen würde Vettel die Lücke schnell wieder schließen können und würde dann mit einem größeren Überschuss erneut auf Ocon treffen - wodurch ein Überholmanöver möglich sein sollte.

Auf alten Supersofts biss sich Vettel an Ocon die Zähne aus, Foto: Sutton
Auf alten Supersofts biss sich Vettel an Ocon die Zähne aus, Foto: Sutton

Doch Vettel wollte nicht sofort zum Stopp, als Ferrari ihn holen wollte. Der WM-Leader wollte sich zuvor noch auf abgefahrenen Reifen an Ocon versuchen - vergeblich. Erst als er acht Runden lang dem Franzosen im Getriebe gehangen war, das Überholmanöver aber nicht vollbrachte, kam auch Vettel zu seinem zweiten Stopp und ging auf Ultrasofts in den Schlusssprint.

Mit starken Rundenzeiten schaffte er es schnell, wieder auf die Kampfgruppe aus Daniel Ricciardo, Sergio Perez und Esteban Ocon aufzuschließen. Kimi Räikkönen hatte er in der Zwischenzeit aufgrund dessen Bremsprobleme überholt. Weil das Geschwindigkeitsdelta zu den Force India auf frischen Reifen nun deutlich größer war, konnte Vettel schnell an Ocon vorbeigehen - der seinerseits im harten Zweikampf mit Sergio Perez war.

Dreckige Reifen nach Ocon-Zweikampf kosten Zeit

Im harten Zweikampf ging Ocon neben die Strecke, verteilte anschließend Dreck auf der Ideallinie. Vettel sammelte den Dreck auf und verlor anschließend fast das Auto. "Ich wollte eigentlich sofort Perez überholen, weil er da nicht mehr im DRS-Fenster von Ricciardo war. Aber ich habe mit den dreckigen Reifen das Auto in T4 fast verloren und bin fast in die Mauer gekracht. Ich habe das Heck verloren und musste dann zurücknehmen. In Kurve acht habe ich es dann fast wieder verloren."

Der Zweikampf mit Esteban Ocon kostete Sebastian Vettel zu viel Zeit, Foto: Sutton
Der Zweikampf mit Esteban Ocon kostete Sebastian Vettel zu viel Zeit, Foto: Sutton

Deshalb brauchte Vettel zwei weitere Runden, um an Perez vorbeizugehen. Für Daniel Ricciardo war das Rennen schließlich eine Runde zu kurz. Wäre Vettel früher zu seinem zweiten Stopp gekommen und hätte es nicht acht Runden lang auf alten Supersofts an Ocon versucht, hätte er womöglich auch noch Ricciardo bekommen. In freier Fahrt war Vettel eine Sekunde pro Runde schneller als hinter Ocon.

Für Gesprächsstoff sorgte auch Force India: Weil Perez den offenbar deutlich schnelleren Ocon nicht vorbei ließ, blieben beide Force India hinter Red Bulls Ricciardo. Die Frage lautet: Hätte Ocon Ricciardo überholen können? Perez schaffte es nicht, allerdings hatte der Mexikaner ältere Reifen als sein Teamkollege.

Welchen Einfluss hatte der Force-India-Zweikampf auf Vettel?

Die Frage ist rein hypothetisch. Manche meinen, wenn es Ocon schon nicht an Perez vorbei schafften, hätte er auch an Ricciardo keinen Weg vorbe igefunden. Allerdings war Perez schneller als Ricciardo, Ocon wiederum schneller als Perez. Das Delta zwischen Ocon und Ricciardo wäre also größer gewesen. Er hätte definitiv bessere Chancen auf ein Überholmanöver gehabt als Perez.

Niki Lauda schlug angesichts der fehlenden Stallorder bei Force India nach dem Rennen die Hände über dem Kopf zusammen. Titelrivale Vettel hätte dadurch profitiert, Force India hätte ihm Platz vier geschenkt. Doch ganz so klar ist auch das nicht: Wäre Ocon nicht in Ricciardo vorbeigegangen, wäre Vettel genauso auf die Force India aufgelaufen. Möglicherweise hätte er dann sogar weniger Zeit beim Überholen verloren und hätte dann vielleicht auch noch Ricciardo bekommen.

Nach all den vielen hätte, wäre und wenns lassen sich nur zwei Dinge endgültig sagen: Ferrari vermasselte Vettel das Podium, indem man die Beschädigung am Frontflügel unterschätzte. Später machte Vettel selbst den Fehler, weil er sich zu lange auf abgefahrenen Reifen an Ocon versuchte und den Boxenstopp zu lange hinauszögerte. Diese Runden fehlten ihm an Ende. Vettels Pace war aber so stark, dass er trotz der Kollision mit Verstappen aufs Podium hätte kommen müssen.