Mit 25 Punkten Vorsprung auf Lewis Hamilton reist Sebastian Vettel zum Kanada GP. Drei von sechs Rennen der Saison 2017 konnte der Ferrari-Pilot schon für sich entscheiden. Bekam Vettel nicht den größten Pokal überreicht, stand er zumindest auf der zweiten Stufe des Podiums. Kurzum: Es läuft für Vettel und Ferrari.

Wenn da nicht der Turbolader wäre. Im Gegensatz zu Mercedes hat Ferrari noch keinen Motorschaden in dieser Saison zu beklagen, dafür wütet - mit Ausnahme von McLaren - kein Team so sehr im Power-Unit-Kontingent wie die Scuderia. Schon beim fünften Rennen in Barcelona baute Ferrari den vierten Turbolader bei Vettel ins Auto.

Zur Erinnerung: Vier Turbolader stehen jedem Piloten für die ganze Saison zur Verfügung. 20 Rennen umfasst der Rennkalender 2017. Wird ein fünfter Turbolader eingesetzt, gibt es eine Strafversetzung um zehn Startpositionen.

Turbo-Wechsel bislang Sicherheitsmaßnahmen

"Wir hatten die ersten Rennen ein paar Probleme", gestand Ferraris Motoren-Einsatzchef Luigi Fabroni schon beim Russland GP, als Turbolader Nummer drei eingesetzt werden musste. "Die Wechsel der Komponenten sind nur Vorsichtsmaßnahmen, weil wir uns in einer strategisch wichtigen Phase der Saison befinden und keinen Fehler machen wollen", erklärte er damals.

Nur McLaren wechselt fleißiger Motorkomponenten als Ferrari, Foto: Sutton
Nur McLaren wechselt fleißiger Motorkomponenten als Ferrari, Foto: Sutton

Der Ferrari-Mann fügte aber an: "Von dem, was wir bislang sehen, sollten wir im Schnitt mit vier Komponenten der Power Unit bis zum Ende der Saison hinkommen." Doch beim Spanien GP musste unplanmäßig schon Turbo Nummer vier eingebaut werden. Trotzdem hält Ferrari offiziell an dem Ziel fest, mit vier Komponenten durch die Saison zu kommen.

Dass schon vier Turbolader eingesetzt wurden, bedeutet nicht, dass die drei anderen defekt sind. Sie dürfen auch weiterhin verwendet werden. Ferrari hat auch alle Freiheiten beim sogenannten Mix and Match. Das heißt, Ferrari kann die vier Turbolader beliebig mit den im Pool befindlichen Verbrennungsmotoren und anderen Motorkomponenten kombinieren.

Allerdings droht hier eine Gefahr: Die Entwicklung der Motoren ist in dieser Saison komplett offen, die Token-Regelung wurde abgeschafft. Mit jeder Komponente, die neu in den Umlauf gebracht wird, kann theoretisch ein Performance-Update kommen. Das wiederum kann aber auch bedeuten, dass Komponenten nicht mehr zusammenpassen. Beispielsweise könnte ein überarbeiteter Verbrennungsmotor nicht mehr mit dem alten Turbolader zusammenpassen.

Bestimmt der Turbolader die Entwicklungsgeschwindigkeit?

Dann gibt es für Ferrari zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Entwicklungstempo der anderen Motorkomponenten auch von den Schnittstellen mit dem Turbolader diktiert, oder aber man bringt auch einen überarbeiteten Turbo - und nimmt eine entsprechende Startplatzstrafe in Kauf.

Doch auch ohne Updates an den anderen Motorkomponenten ist fraglich, wie Ferrari mit den eingesetzten Turboladern durch die Saison kommen will. Schließlich bringt man aus Entwicklungsgründen nicht einfach so schon vier Turbolader bei den ersten fünf Rennen. Die Wechsel deuten auf Zuverlässigkeitsprobleme hin - und dann geht Ferrari das Risiko ein, die Zielflagge nicht zu sehen. Dann lieber eine Strafversetzung als einen Nuller.

Auch wenn das von Ferrari offiziell ausgegebene Ziel noch immer ist, mit vier Turbos durchzufahren: Von den Experten geht niemand davon aus, dass Vettel von einer Strafversetzung verschont bleibt. Selbst Lewis Hamilton, inzwischen selbsternannter Zweckpessimist, glaubt an die Ferrari-Strafe: "Ferrari ist nicht kugelsicher, vielleicht kommt bei ihnen noch etwas mit den Turbos, die sie schon gebraucht haben oder noch brauchen werden - schauen wir mal."

Kanada bietet gute Überholmöglichkeiten - gut für Strafe?

Dann stellt sich nur die Frage, wann es taktisch klug ist, die neuen Teile zu bringen. Beim nächsten Rennen in Kanada könnte man gut Überholen - beim Rennen darauf in Baku wieder weniger. Fraglich ist auch, ob Ferrari im Falle einer Strafversetzung gleich eine ganze Power Unit wechseln will, oder sich tatsächlich nur auf den Turbolader beschränkt.

Kaum eine Strecke bietet ähnlich gute Überholmöglichkeiten wie Kanada, Foto: Sutton
Kaum eine Strecke bietet ähnlich gute Überholmöglichkeiten wie Kanada, Foto: Sutton

Wenn Ferrari auch bei Verbrennungsmotor und Co. intern auf ein fünftes Exemplar spekuliert, wäre Montreal ungünstig. Denn von den anderen Motorkomponenten hat Vettel erst zwei, respektive drei eingesetzt. Wenn dann an einem anderen Rennwochenende weitere fünfte Motorkomponenten eingesetzt werden müssten, würde eine erneute Strafversetzung anstehen - was wenig Sinn macht. Lieber nimmt man einmal eine Strafversetzung um 25 oder 30 Plätze in Kauf, statt zweimal um 15 Startpositionen.

Bei Teamkollege Kimi Räikkönen ist die Situation übrigens noch etwas entspannter: Der Finne hat noch Turbolader Nummer drei im Einsatz. Noch besser sieht es beim Titel-Rivalen aus: Beide Piloten des Mercedes-Werksteams haben erst zwei Exemplare von allen Power-Unit-Komponenten eingesetzt.

Übersicht der bereits genutzten PU-Komponenten

ICETCMGU-HMGU-KESCE
Mercedes
Lewis Hamilton222222
Valtteri Bottas222222
Red Bull
Daniel Ricciardo222212
Max Verstappen222212
Ferrari
Sebastian Vettel243222
Kimi Räikkönen232222
Force India
Sergio Perez111111
Esteban Ocon111121
Williams
Felipe Massa111121
Lance Stroll111111
McLaren
Fernando Alonso355311
Stoffel Vandoorne255355
Toro Rosso
Carlos Sainz223322
Daniil Kvyat222211
Haas
Romain Grosjean232212
Kevin Magnussen222222
Renault
Nico Hülkenberg222222
Jolyon Palmer223212
Sauber
Marcus Ericsson222222
Pascal Wehrlein222223

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