Vettel-Sieg durch Ferrari-Teamorder?: (05:02 Min.)

Der Monaco GP war sicherlich kein Kracher. Trotzdem gab es einen großen Aufreger: Ferrari muss sich trotz des Doppelsieges Vorwürfe gefallen lassen, die teaminterne Reihenfolge gedreht zu haben. Sebastian Vettel gewann am Ende vor Kimi Räikkönen - so wie es der Weltmeisterschaftsstand verlangt. Dabei stand Räikkönen auf Pole und führte das Rennen bis zu den Boxenstopps an. Dann wird es interessant.

Die Expertenmeinungen nach dem Rennen gingen auseinander - doch wie sieht die Faktenlage aus? Motorsport-Magazin.com hat alle Zahlen zum Räikkönen-Drama. Hat Ferrari die Reihenfolge absichtlich oder zumindest leichtfertig umgedreht?

Räikkönens Ultrasoft-Reifen ohne Probleme

Die erste Frage lautet: Warum wurde Kimi Räikkönen in Runde 34 zum Boxenstopp gerufen? Räikkönen selbst bat nicht um den Reifenwechsel, das Team instruierte den Iceman. Die Rundenzeiten zeigen keine Notwendigkeit eines Stopps: Obwohl die Ultrasoft-Reifen schon 37 Runden auf dem Buckel hatten, wurden die Rundenzeiten von Räikkönen nicht langsamer.

Ganz im Gegenteil: Als Räikkönen am Boxenfunk gesagt wurde, er solle wieder in den Groove kommen, konnte er sofort wieder schneller fahren. Trotzdem war die Pace nicht besonders schnell, allerdings kann der Führende in Monaco das Tempo diktieren, muss kein unnötiges Risiko eingehen.

In Runde 32 eröffnete Red Bull mit Max Verstappen die Boxenstopp-Reihe, Mercedes zog mit Valtteri Bottas eine Runde später nach. Musste Ferrari deshalb mit Räikkönen nachziehen, um sich nicht von Bottas, der auf Platz drei lag und Verstappen, direkt hinter Bottas, überrumpeln zu lassen?

Als Verstappen zum Stopp kam, betrug sein Rückstand auf Räikkönen 6,7 Sekunden. Bottas lag rund fünf Sekunden hinter der Spitze, als er zu seinem Reifenwechsel kam. Um bei einem Undercut fünf Sekunden aufzuholen, müssen die frischen Reifen einen enormen Vorteil bringen - was in Monaco ausgeschlossen war, weil alle gezwungen waren, auf Supersoft oder Soft zu wechseln, um einen Rennreifen eingesetzt zu haben. Weil der Ultrasoft kaum abbaute und der Supersoft prinzipiell mehr als eine halbe Sekunde langsamer war, konnte ein Undercut in diesem Fall nicht aufgehen.

Nur Mercedes mit Reifenverschleiß

Anders übrigens bei Mercedes: Entgegen aller Prognosen hatte Valtteri Bottas tatsächlich mit relativ hohem Reifenverschleiß auf dem Ultrasoft zu kämpfen. Deshalb musste er sofort auf Verstappens Stopp reagieren, um seine Position nicht zu verlieren. Daniel Ricciardo kam mit dem Overcut locker an Bottas vorbei, aber mit Verstappen konnte er immerhin einen Red Bull hinter sich halten.

Mercedes musste das kleinere Übel wählen: Entweder ein oder zwei Positionen verlieren. Red Bull opferte dafür Verstappen, der von vier auf fünf zurückfiel. Ricciardo allerding ging so von fünf auf drei nach vorne. Red Bull und Mercedes wussten zu diesem Zeitpunkt also schon, dass der Overcut von Ricciardo funktionieren würde.

Sainz blockiert möglichen Bottas/Verstappen-Undercut

Zurück zu Räikkönen: Zwei Runden nach Verstappen, eine Runde nach Bottas wurde der Ferrari-Pilot an die Box geholt. Waren die beiden eine Gefahr für ihn? Verstappen kam ein Stück hinter Sainz zurück auf die Strecke, ansonsten hatte er freie Bahn. Im Red-Bull-Lager hätte man Verstappen vielleicht vorbeiwinken können. Allerdings lag er direkt nach dem Stopp noch zu weit hinter Sainz.

In der nächsten Runde kam Bottas zum Stopp und kam direkt zwischen Sainz und Verstappen wieder auf die Strecke. Nun hatte Ferrari also Sainz als Puffer. Dass Bottas auf der Strecke an ihm - trotz neuer Reifen - vorbeigehen würde, war so gut wie ausgeschlossen. Die Pace von Sainz war deutlich langsamer als die von Räikkönen an der Spitze, also war jegliche Gefahr eines Undercuts ausgeschlossen. Nur wenn Bottas und Verstappen schneller als Räikkönen an der Spitze fahren könnten, müsste Ferrari auf das Duo aufpassen.

Ferrari aber reagierte trotzdem und holte Räikkönen zum Reifenwechsel - ohne ersichtlichen Grund. Ricciardo, der in freier Bahn nun Gas geben konnte und etwas aufholte, hatte in Runde 33 noch immer sieben Sekunden Rückstand.

Langsamer Räikkönen-Boxenstopp

Räikkönens Stopp lag mit 3,29 Sekunden nur im hinteren Mittelfeld. Bei Vettel später dauerte der Reifenwechsel nur 2,88 Sekunden. Allein bei der Standzeit gewann der Deutsche fast eine halbe Sekunde gegenüber seines Teamkollegen - der beim Abbiegen in die Boxengasse nur 1,1 Sekunden Vorsprung auf Vettel hatte.

Nach dem Reifenwechsel kam Räikkönen in den Verkehr. Jenson Button und Pascal Wehrlein, die er zuvor schon einmal überrundet hatte, lagen wieder vor ihm. In seiner Outlap musste er an beiden vorbeigehen. In Monaco kosten Überrundungen besonders viel Zeit.

Vettel hingegen hatte nun freie Fahrt. Kein Räikkönen, kein Überrundungs-Verkehr. Nur Sauber-Pilot Marcus Ericsson lag in Überrundungs-Reichweite, doch der löste sich für Vettel in Luft aus, als er die Box ansteuerte. Auf die Strecke kam Ericsson direkt neben Räikkönen.

Vettel nutzt Ultrasoft-Pace

Räikkönens langsamer Boxenstopp, Verkehr für den Iceman - es entwickelte sich ein Fernduell mit Sebastian Vettel. Vettel hatte offenbar ausreichend Reserven, fuhr nach Räikkönens Stopp sofort mehrere schnellste Rennrunden am Stück und wurde dabei von Runde zu Runde schneller. In seiner letzten Runde vor dem Stopp fuhr er eine 1:15,238 - für seine letzte Runde hinter Räikkönen benötigte er 1:17,188 Minuten.

Räikkönen auf der anderen Seite konnte seine frischen Supersofts erst nutzen, als er Button und Wehrlein wieder überrundet hatte. Der Finne konnte ein ordentliches Tempo gehen, doch verlor weiter Zeit im Fernduell auf Vettel. Die alten Ultrasofts waren schneller als die frischen Supersofts. Fünf Runden lang durfte Vettel diesen Vorteil auskosten, dann erst kam er zum Stopp.

Die Summe der verschiedenen Faktoren führte dazu, dass Vettel nach seinem Stopp vor Räikkönen zurück auf die Strecke kam. Ziemlich genau eine Sekunde fehlte Räikkönen, um die Führung zu behalten.

Räikkönen hätte Sieg verdient

Man könnte sagen, Vettel hatte bei der Strategie etwas mehr Glück als Räikkönen, ist dann aber auch deutlich schneller gefahren als der Iceman - insofern geht das schon in Ordnung. Allerdings stimmt das nicht ganz.

Zum einen ist der Vergleich zwischen Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo interessant. Als Ricciardo und Vettel gleichzeitig freie Fahrt hatten, fuhren beide Rekord-Runden, nicht nur Vettel. Von Runde 34 bis 37 fuhr Ricciardo im Schnitt sogar mehr als eine Zehntel pro Runde schneller als Vettel. Das zeigt, wie gut die Ultrasoft-Reifen tatsächlich noch waren.

Der andere interessante Vergleich ist Vettel gegen Vettel: Der Deutsche zog nach dem Stopp Räikkönen davon, ja. Aber wie waren seine Rundenzeiten im Vergleich zum ersten Stint? Und tatsächlich, auch Vettel fuhr auf den alten Ultrasofts am Ende schneller als auf den frischen Supersofts.

Ebenso interessant: Räikkönens Zeiten nach dem Boxenstopp auf Supersoft und Vettels Zeiten nach seinem Stopp auf Supersoft. Räikkönens Zeiten waren deutlich schneller, erst als Vettel direkt vor ihm auf die Strecke kam, sackten seine Zeiten ab.

Fazit: Räikkönen hatte die schlechtere Strategie, das steht fest. Ferrari holte ihn ohne Grund zu früh zum Stopp. Ob Absicht oder nicht weiß nur Ferrari. Aber: Zu behaupten, Vettel hätte das Rennen auch gewonnen, weil er letztendlich der Schnellere war und Räikkönen im entscheidenden Moment zu langsam war, ist falsch. Vettel war auf den alten Ultrasofts nicht schneller als Ricciardo zur gleichen Zeit, Räikkönen fuhr verhältnismäßig Top-Zeiten auf Supersoft. Nur diese Top-Zeiten waren nichts wert, weil der Ultrasoft zu diesem Zeitpunkt der schnellere Reifen war und Räikkönen zudem Pech beim Boxenstopp und mit dem Verkehr hatte.