Lewis Hamilton lag in der 32. Runde des Grand Prix von Spanien bereits weit hinter Sebastian Vettel zurück, als sich in Kurve 1 ein scheinbar unbedeutender Zwischenfall zutrug: Stoffel Vandoorne kollidierte beim Einlenken mit Felipe Massa und blieb daraufhin im Kiesbett stecken. Für die Piloten an der Spitze zunächst völlig irrelevant, bis die Rennleitung zur Bergung des gestrandeten McLaren eine Virtual-Safety-Car-Phase ausrief. Für Mercedes im Nachhinein ein wahres Geschenk des Stoffels.

Nachdem Ferrari bei der ersten Runde der Boxenstopp den besseren Riecher gehabt hatte, lag Vettel gegen Rennhälfte komfortable acht Sekunden vor Hamilton. "Wir konnten nicht viel tun und haben versucht den Stint auszubauen, um so hoffentlich am Rennende den besseren Reifen zu haben", erklärte Mercedes-Teamchef Toto Wolff die notgedrungen gewählte Strategie, nach der Hamilton in Runde 21 auf den Medium-Reifen wechselte.

Als nach dem Vandoorne-Unfall in der 33 die VSC-Phase eingeleitet wurde, begannen bei den Silberpfeil-Strategen die Köpfe zu rauchen. Dass die Neutralisation für Mercedes eine große Chance sein könnte, war schnell klar. Doch würde dies nur funktionieren, wenn der Kommandostand Hamilton auch zum richtigen Zeitpunkt an die Box ruft. Als der Brite in Runde 35 die Boxeneinfahrt passierte, schien es zunächst so, als ob seine Strategen den richtigen Moment verpasst hätten.

Vettel ließ Hamilton in der ersten Rennhälfte deutlich hinter sich, Foto: Sutton
Vettel ließ Hamilton in der ersten Rennhälfte deutlich hinter sich, Foto: Sutton

Mercedes macht den 'magic call'

In der darauffolgenden Runde kam er dann allerdings zum letzten Reifenwechsel von Medium auf Soft - fast zeitgleich auf die Sekunde, als die Rennleitung das VSC aufhob und Vettel wieder auf Rennspeed beschleunigte. Was auf den ersten Blick wie ein Schuss ins eigene Knie aussah, entpuppte sich letztendlich als strategische Glanzleistung. "Es war der 'magic call' den Boxenstopp zu einem Zeitpunkt zu machen, an dem es so aussah als ob das VSC bald enden würde", freute sich Wolff und machte deutlich, dass der Zeitpunkt des Reifenwechsels alles andere als Zufall war.

Der Grund, weshalb Hamilton nicht schon eine Runde zuvor bei seiner Crew vorstellig wurde, war ein ganz einfacher: "Ansonsten hätte Sebastian darauf reagieren können. Wir haben es perfekt abgepasst und ich ziehe wirklich meinen Hut vor James [Vowles] und seiner Gruppe von Strategen", so der Teamchef weiter. Vettel reagierte zwar gleich darauf in der 37. Runde, doch es war zu spät. Als er nach dem Reifenwechsel auf Medium zurück auf die Strecke kam, war sein Vorsprung aufgebraucht und er musste sich sogleich dem attackierenden Hamilton zur Wehr setzen - zunächst noch mit Erfolg.

Wie Hamilton in nur einer Runde acht Sekunden aufholte, ist schnell erklärt: Während die Boxendurchfahrt samt Reifenwechsel unter regulären Rennbedingungen etwa 21 Sekunden Zeitverlust gegenüber den Piloten auf der Strecke bedeutet, waren es laut Wolff während der VSC-Phase weniger als 15 Sekunden: "Du verlierst natürlich viel Zeit, wenn die Autos auf der Strecke schnell fahren und du an der Box stehst und langsam durch die Boxengasse fährst. Unter VSC ist das Tempo auf der Rennstrecke viel langsamer, also ist der effektive Zeitverlust beim Boxenstopp viel geringer."

Stoffel Vandoorne sorgte nach einer Kollision mit Felipe Massa für die VSC-Phase, Foto: Sutton
Stoffel Vandoorne sorgte nach einer Kollision mit Felipe Massa für die VSC-Phase, Foto: Sutton

Hamilton macht's auf der Strecke

Beinahe hätte Hamilton das entscheidende Manöver gegen Vettel gleich nach dessen Boxenausfahrt gesetzt, doch der Ferrari-Pilot hielt zunächst knallhart dagegen. "Es war sehr eng, als Sebastian aus der Box kam. Da ging es ziemlich zur Sache. Aber seine Verteidigung war großartig. Es war vielleicht etwas aggressiv, aber so läuft es beim Racing", lobt Wolff den Gegner. In Runde 44 schaffte Hamilton dann am Ende der Start- und Zielgeraden das siegbringende Überholmanöver. Vettel hatte gegen den Soft-bereiften Mercedes schlichtweg keine Chance.

Damit war Mercedes' Strategie im doppelten Sinne aufgegangen. Nicht nur, dass der Vorsprung des Gegners aufgeholt wurde: Hamilton war wie von seinen Strategen in der ersten Rennhälfte geplant auch mit dem erhofften Reifenvorteil unterwegs. "Wir wussten, dass wir auf dem fast brandneuen Soft einen Vorteil haben. Und dann kam natürlich dieses großartige Manöver am Ende der Geraden, als er ihn außen überholt hat", freute sich Wolff.