Groß ist die Aufregung schon am Donnerstagabend in Barcelona. Als Mercedes den Silberpfeil erstmals durch die Boxengasse rollt, bleibt keine Kamera unbenutzt: Der W08 EQ Power+ strotzt nur so vor Upgrades. Doch was kann das Mega-Update für Lewis Hamilton und Valtteri Bottas auf der Strecke? Erste Antworten liefert jetzt der Trainingsfreitag auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya.

In puncto Bestzeiten eine klare Angelegenheit. Nachdem zuletzt Ferrari den Freitag beherrscht hatte, erobert Mercedes die Spitze des Klassements in Spanien eindrucksvoll zurück. Fast zeitgleich in Front bringen Hamilton und Bottas im ersten Training am Vormittag mit den Medium-Reifen fast eine Sekunde zwischen sich und die beiden Ferrari-Verfolger. Als am Nachmittag die Softs aufgezogen werden kommen Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen zwar näher, doch liegt das Scuderia-Duo noch immer drei respektive vier Zehntel hinter Mercedes.

Bedingungen erschweren verlässliche Aussagen

Sogar noch eindrucksvoller fällt der Longrun-Vergleich aus. Bei den Vorbereitungen für die Rennpace reißt Mercedes eine noch größere Lücke auf Ferrari. Weil durch eine rote Flagge, viele Drifts durch die sehr harte Reifenwahl Pirellis und zahlreiche Ausrutscher neben die Strecke wegen der einmal mehr extrem windigen Bedingungen in Montmeló jedoch kaum konsistente Longruns gefahren werden konnten, sind die im folgenden zusammengeflickten Daten jedoch mit noch größerer Vorsicht zu genießen als regulär, wenn nur die unbekannten Spritmengen das Bild verzerren mögen.

Lewis Hamilton vernichtet Ferrari mit Monster-Longrun

Dennoch zeichnet sich ganz klar eine Konstante ab: Mercedes kann niemand auch nur im Ansatz das Wasser reichen. So absolvierte Lewis Hamilton den klar schnellsten Stint auf der Soft-Mischung, die als die mit Abstand wichtigste Mischung für das Rennen angesehen wird. 1:26,2 Minuten - so die Messlatte des WM-Zweiten. Lediglich Mercedes-Kollege Valtteri Bottas konnte da mit 1:26,6 Minuten zumindest halbwegs mithalten. Die Ferrari schafften es im Schnitt beide nicht einmal unter die 1:27er-Marke (1:27.2 Min. für Sebastian Vettel; 1:27.3 Min. für Kimi Räikkönen).

Spannend: Auf eine Runde näher dran an Ferrari als zuletzt, aber noch immer klar dahinter, hielt Red Bull im Longrun mit. Auch Daniel Ricciardo gelang ein 1:27.3er-Schnitt - allerdings bei einer deutlich kürzeren Stintlänge (vgl. Diagramm oben). "Im FP2 hatten wir etwas Probleme mit den Medium-Reifen, aber Soft ging gut. Wir fühlen den Fortschritt, aber müssen noch feintunen", sagt Ricciardo.

Red Bull im Longrun auf Augenhöhe mit Ferrari

Apropos Stintlänge: Die war bei Mercedes mit Abstand die größte, was den Sieg über Ferrari zusätzlich aufwertet. Für den Medium indessen gibt es kaum vergleichbare Daten. Einzig ein dünner, vermutlich wenig aussagekräftiger Vergleich zwischen Vettel und Ricciardo ist möglich (vgl. Diagramm unten). Der Red-Bull-Pilot liegt hier klar vorne, doch konnte das gut und gerne auf eine völlig andere Spritmenge zurückzuführen sein.

Chaos-Bedingungen: Wie aussagekräftig war der Freitag wirklich?

Ein ganz großes Fragezeichen steht in Barcelona allerdings hinter allen Daten: die Bedingungen. "Es war bislang nicht leicht, verlässliche Daten zusammenzustellen", bestätigt Pirellis Mario Isola. So hätten sich die Bedingungen vom FP1 zum FP2 entgegen der normalen Streckenentwicklung durch den aufkommenden Wind diesmal sogar klar verschlechtert. So geschah es, dass die Medium-Bestzeit des Vormittags am Nachmittag trotz Softs nur um sieben Zehntel unterboten wurde - obwohl Pirelli von einem seltsam gewaltigen Delta von 2,7 Sekunden zwischen diesen Mischungen ausgeht.

"Für die Teams war es sehr schwer, konsistente Zeiten im FP2 zu setzen" sagt Isola. Und so erklärt auch Ferrari den Rückstand auf Mercedes ganz einfach mit der großen Konfusion am Nachmittag. "Die Rundenzeiten aus dem Training heute sagen nicht viel aus", relativiert Kimi Räikkönen. Er habe sein Programm auf jeden Fall abspulen und einige Dinge ausprobieren können.

Vettel sicher: Ferrari hat noch ohne Ende Potential

Dasselbe gilt für Sebastian Vettel, der ebenfalls auf die durch oben genannte Umstände wenig aussagekräftigen Longruns verweist. "Das war heute war ein ziemlicher Schock, wenn du dir die Longruns anschaust. Ich habe nur einen sehr kurzen fahren können. Am Ende noch auf dem Medium - das war ziemlich rutschig", schildert der Deutsche. Noch dazu sei es einfach nicht sein Tag gewesen. "Ich hatte etwas mit dem Rhythmus zu kämpfen und mit den Bedingungen. Vielleicht mehr ich als das Auto. Ich habe nicht alles zusammen bekommen", gesteht Vettel.

Deshalb spiegelten die Zeitabstände am Freitag nicht unbedingt die Realität. Der Deutsche ist überzeugt, auch in Spanien mit Mercedes um den Sieg ringen zu können. "Es wird sich zwischen ihnen und uns entscheiden. Das Auto fühlt sich schon schnell an, wir haben es nur nicht abgerufen. Ich denke, wir können da noch ein bisschen zulegen", sagt Optimist Vettel. Genau das erwartet auch Ricciardo: "Ich sehe einen Schritt nach vorne und wir sehen auch nicht allzu schlecht gegenüber Ferrari aus, aber ich bin sicher, dass sie morgen noch etwas bringen werden."

Lewis Hamilton zeigt deutlich was er von seinem Mercedes-Update hält, Foto: Sutton
Lewis Hamilton zeigt deutlich was er von seinem Mercedes-Update hält, Foto: Sutton

Mercedes sprüht vor Freude: 'fantastisch abgeliefert'

Angesichts des starken Freitags noch optimistischer sind wenig überraschend die Mercedes-Piloten. Bei Silber herrscht Zufriedenheit, wohin man auch hört. "Das Team hat bei den Upgrades fantastische Arbeit abgeliefert und das Auto funktioniert genau wie erwartet. Das war für mich ein viel besserer Auftakt in das Wochenende als zuletzt in Sotschi. Darüber bin ich richtig happy", sagt Lewis Hamilton.

"Unser Ziel war es, herauszufinden, ob die neuen Updates alle gut funktionieren und das scheint der Fall zu sein", bestätigt Valtteri Bottas. "Noch ist es aber viel zu früh, um genau zu sagen, wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen. Bislang scheint aber alles gut zu funktionieren." Dennoch hoffe er, am Samstag noch mehr Performance aus dem Paket kitzeln zu können.

Einzig die Bedingungen trüben das Bild minimal: "Das erste Training war sehr gut, aber in der zweiten Session veränderte sich die Strecke ziemlich stark. Sie war für alle viel rutschiger und auch langsamer, vor allem angesichts der Windböen." Hinzu kommen der aggressive Asphalt und die schnellen Kurven - Stress pur für die Reifen.

"Auf dieser Strecke kann der Abbau der Hinterreifen hoch sein. Entsprechend geht es uns darum, sicherzustellen, dass unser Auto sowohl auf längeren als auf kürzeren Runs gut ist", mahnt James Allison. Mercedes fühle sich dabei allerdings besser aufgestellt als noch bei den Testfahrten. "Wir haben definitiv einige Fortschritte gemacht und wir werden vorne mitmischen, wenn wir die gute Arbeit an diesem Wochenende so fortsetzen", ergänzt der Technischer Direktor, was angesichts der Freitagsdominanz durchaus unter Understatement fallen kann - wäre da nicht dieses gewisse dicke Fragezeichen hinter der Aussagekraft des turbulenten Freitagstrainings ...