"Wir haben die richtige Entscheidung getroffen mit der neuen Reifen-Familie. Die Ziele wurden nicht zu 100 Prozent erreicht, wir sind aber nicht weit entfernt von den Zielen." Dieses durchaus positive Fazit zog Pirelli-Motorsportchef Mario Isola nach den ersten drei Rennen der neuen Formel-1-Saison. Nach Jahren der Negativ-Schlagzeilen spielten die italienischen Pneus bislang eher eine Nebenrolle im Kampf um Siege. Und dennoch ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen im Fahrerlager, spricht man die Piloten auf die neuen Gummis an.

Denn die neuen Konstruktionen erfordern eine komplette Umstellung des Fahrverhaltens. Ging es in den vergangenen Jahren vor allem darum, schonend mit den Reifen hauszuhalten, um den Verschleiß in Grenzen zu halten, kommt es nun darauf an, die Reifen frühzeitig auf Temperatur und damit ins richtige Arbeitsfenster zu bekommen. Vor allem im Qualifying entscheidet die Aufwärmrunde über Wohl und Wehe. Für die jungen Fahrer ein harter Lernprozess, fahren ihnen die erfahrenen Kollegen doch deutlich um die Ohren.

Nicht nur Lance Stroll sucht noch das Verständnis für die Reifen, Foto: Sutton
Nicht nur Lance Stroll sucht noch das Verständnis für die Reifen, Foto: Sutton

Besonders auffällig ist es bei den beiden Rookies Lance Stroll und Stoffel Vandoorne, die von ihren beiden Teamkollegen besonders am Samstag bislang gebügelt wurden. Für Paddy Lowe, Technikchef im Stroll-Team Williams, ist das keine Frage von Klasse, sondern von Erfahrung. "Der Grund liegt darin, dass die erfahrenen Piloten in der Lage sind, besonders viel aus dem Reifen herauszuholen. Sowohl bei der Vorbereitung, als auch auf der Runde selbst", sagte Lowe.

Kulturschock für Stroll, Rätsel für Ricciardo

Stroll selbst musste dabei als Aufsteiger aus der Formel 3 einen wahren Kulturschock verkraften. "Es ist so anders. In der Formel 3 hattest du keine Begrenzung. Die einzige Begrenzung warst du selbst: Wie hart kannst du das Auto pushen? Es war nur die Frage, wie sehr du ans Limit gehen kannst und dabei hat dir nichts im Weg gestanden", erläuterte der 18-Jährige.

"Jetzt geht es darum, all das Zeug um dich herum zum Arbeiten zu bekommen um damit abliefern zu können." Ein Prozess, der nicht über Nacht abgeschlossen ist, wie Stroll anmerkt. "Wenn du zu Beginn der Runde nicht alles bereit hast, dann wirst du nicht die Rundenzeit bekommen, die du haben willst. Das ist die Formel 1. Und das muss ich lernen", stellt er klar.

Regelrecht enttäuscht von den Reifen war Gary Paffett, der als Simulatorfahrer für Williams an den Testfahrten in Bahrain teilnahm. Bezüglich der Pneus hatte der DTM-Pilot andere Erwartungen. "Ich war ziemlich überrascht, wie du die Reifen fahren musst. Denn in Barcelona im Winter hörst du all die Stories der Fahrer wie toll diese Reifen seien. 'Sie halten für immer und wir können pushen jede Runde, es ist toll, es ist wieder Racing!' Und dann kommst du hier her und es ist überall Verkehr, denn die Outlaps sind 40 bis 50 Sekunden langsamer, als die gezeiteten Runden", berichtet Paffett von seinen Erlebnissen.

Die neuen Reifen sorgen nicht überall für Begeisterung, Foto: Sutton
Die neuen Reifen sorgen nicht überall für Begeisterung, Foto: Sutton

Doch nicht nur Rookies und Teilzeit-Fahrer kämpfen mit dem Verständnis für die Reifen. Daniel Ricciardo, der beim Rennen in Bahrain auf dem Soft nach der Safety-Car-Phase chancenlos war, tappt noch ziemlich im Dunkeln. "Ein Teil der Herausforderung ist schon, ihn ans Arbeiten zu bekommen. Aber wenn du ihn auf einer Runde zu früh ans Arbeiten bekommst, kann es sein, dass er am Ende tot ist. Es ist knifflig zu managen. Ich würde sagen, die Reifen dieses Jahr scheinen komplexer", so der Australier, für den die Reifen fast schon zu hart seien.

Die Sorge vor dem 'Winterreifen'

Ähnlich sieht es auch Marcus Ericsson. "Wir haben gesehen, dass alle Reifenmischungen einen Schritt höher gegangen sind im Vergleich zum Vorjahr. Der Soft-Reifen fühlt sich mehr an wie Medium und der Supersoft mehr wie ein Soft", analysierte er auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Dabei hat Pirelli den härtesten Reifen im Portfolio - 'Hard' - noch gar nicht ausgepackt. Ericsson graut es bereits vor dem Einsatz. "Der harte Reifen ist dann wie ein Winterreifen!", glaubt er. "Ich konnte den noch gar nicht fahren. Ehrlich gesagt sehe ich auch nicht, wo wir den fahren sollten", gibt er sich extrem skeptisch.

Eine Antwort auf Ericssons Frage hat Mario Isola parat. "Silverstone ist eine Strecke, wo man den Reifen stark beansprucht", erklärt er den vermutlichen Einsatzort der härtesten Mischung. "Mit den neuen Autos und dem Abtrieb ist das eine Strecke, wo wir im Vergleich zu letztem Jahr den größten Unterschied erwarten können. Die Rundenzeit wird viel schneller sein, denn die meisten Kurven dort sind Mittel- oder Highspeed-Kurven. Der Abtrieb arbeitet da besonders, das in Kombination mit dem zusätzlichen Grip der Reifen bedeutet, dass sie einige Kurven Vollgas fahren können", blickt Isola voraus. Auch Suzuka sei ein prädestinierter Ort für den härtesten Reifen.

Was aber fast unisono berichtet wird: Sind die Reifen erst einmal im Arbeitsfenster, halten sie auch deutlich länger. Im Rennen ist der Einfluss der schwarzen Walzen dadurch extrem gesunken. Ein Punkt, den Paddy Lowe zu einem Lob in Richtung Pirelli verleitet. "Ich denke, sie haben einen guten Job gemacht. Es gab Sorgen, dass die Reifen in diesem Jahr nicht adäquat sind zum Anstieg beim Abtrieb. Aber bislang haben wir ein gutes Ergebnis gesehen. Die Reifen halten sehr gut, es sind keine Probleme erkennbar", so Lowe.