Für Red Bull Racing läuft der Start in die Formel-1-Saison 2017 völlig anders als erhofft. Unter den neuen, sogar von Konzepten des österreichisch-britischen Teams inspirierten, Aerodynamik-Regeln hatten nicht wenige Experten die roten Bullen ganz oben auf den Favoritenzettel für die WM-Krone gesetzt. Gekommen ist es letztlich völlig anders. An der Spitze liefern sich Ferrari und Mercedes einen engen Schlagabtausch, Red Bull fährt den beiden Top-Teams bislang meilenweit hinterher.

"Wir wissen, dass wir ihre Pace noch nicht haben. Wir wissen, dass wir nicht nur nach drei oder vier Zehnteln suchen. Wir suchen nach mehr als einer Sekunde", nennt Daniel Ricciardo nach zwei Saisonläufen, im Vorfeld des dritten GP des Jahres in Bahrain, eine erschreckende Hausnummer. Eine Sekunde - in der Formel 1 keine Welt, eher eine Galaxie an Rückstand. Entsprechend groß gestalten sich die Sorgen der beiden Fahrer.

Verstappen: Müssen uns damit abfinden - vorerst

"Das findest du nicht über Nacht", sagt Ricciardo. Teamkollege Max Verstappen indes klingt vorerst sogar resigniert: "Natürlich wollen wir um Siege kämpfen, aber die Situation ist jetzt wie sie ist. Wir haben es nach den Testfahrten ja kommen sehen. Wir müssen uns damit abfinden, es akzeptieren und versuchen, das Beste herauszuholen. Das ist, was wir momentan machen."

Mercedes ist aktuell eine Nummer zu groß für Red Bull, Foto: Mercedes-Benz
Mercedes ist aktuell eine Nummer zu groß für Red Bull, Foto: Mercedes-Benz

Red Bull rätselt: Wo genau liegt das Problem?

Hintergrund: So ganz zu wissen, woran es aktuell noch deutlich hapert, scheint Red Bull noch nicht. "Wir haben eine grobe Ahnung, was besser sein könnte", sagt Verstappen. "Aber wenn wir es genau wüssten, wäre es hier am Auto", gesteht der Youngster. Ricciardo ergänzt wenig ermutigend: "Wir sprechen hier ja über eine ganze Sekunde. Deshalb muss es schon etwas Größeres sein, nicht nur ein neuer Frontflügel oder so etwas."

Das klingt fast schon nach einem grundlegenden Problem mit dem Gesamtkonzept des RB13. Direkt bestätigten will Ricciardo das nicht, lässt aber indirekt durchblicken, dass die Sache mit ein, zwei Updates nicht zu lösen sein wird. "Ich würde gerne sagen können, dass es eine schnelle Lösung ist, um plötzlich diese Sekunde zu finden. Aber realistisch gesehen wird es etwas Größeres sein. Was es ist, weiß ich nicht", rätselt Ricciardo. Als Fahrer sei er in diesen Angelegenheiten aber ohnehin hilflos. Das sei immerhin Sache der Aerodynamiker.

Wissenswertes über den Bahrain GP (01:00 Min.)

Ricciardo: Auch Ferrari und Mercedes können Aero

Genau jene Abteilung also, die weithin als beste der Königsklasse gilt. Selbst wenn Red Bull sich verzockt haben sollte: Sollte eine derart renommierte Instanz nicht in der Lage sein, selbst derartig fundamentale Probleme zu lösen? Ricciardo jedenfalls ist überzeugt von seiner Truppe. "Klar, wir haben eine sehr gute Aerodynamik-Abteilung", sagt der Australier. Für die unantastbaren Aero-Könige - wie manch einer Red Bull bezeichnet - hält Ricciardo das Department allerdings nicht. "Ich weiß nicht, ob es nicht ein bisschen naiv ist so zu denken - okay Adrian Newey ist ein sehr großer Name -, aber die Top-Teams Ferrari und Mercedes haben da beide auch eine gute Abteilung", sagt Ricciardo.

Das zeige sich allein daran, dass Red Bull auch in diesem Bereich in den vergangenen Jahren Mercedes hinterher gewesen sei. "Das Königsteam waren wir da nie. Natürlich waren wir nah dran, haben hier und da mal ein paar Rennen gewonnen. Aber wenn Mercedes seinen Job gemacht hat, waren sie vorne, selbst in Singapur", erinnert Ricciardo. Daher sei man sich bei Red Bull durchaus bewusst gewesen - auch mit dem neuen Reglement - einen gewaltigen Sprung machen zu müssen, um Mercedes auch nur nahe zu kommen. "Und ich erwarte keine Wunder", sagt Ricciardo. "Es passiert nicht so einfach. Aber natürlich haben wir erwartet, zumindest näher dran zu sein als in den vergangenen Wochen. Warum das nicht so ist, weiß ich nicht."

Ferrari, Mercedes, Red Bull - bleibt es 2017 bei dieser Hackordnung?, Foto: Sutton
Ferrari, Mercedes, Red Bull - bleibt es 2017 bei dieser Hackordnung?, Foto: Sutton

Ricciardo: Enttäuscht ja, demoralisiert nein

Entsprechend groß ist die Enttäuschung. Denn wenn schon nicht die Erwartung, so war doch wenigstens die Hoffnung stets lebendig. "Ich persönlich habe gehofft, dass wir dieses Jahr so schnell wie Mercedes sein würden. Wir hatten alle diese Hoffnung. Aber ich war nicht überrascht, dass wir bei den Tests nicht so schnell waren", sagt Ricciardo zu Motorsport-Magazin.com. Das hänge jedoch mehr mit seiner Einstellung zusammen. "Ich versuche nicht mehr zu viel zu erwarten, weil es mental immer härter ist, auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden", sagt Ricciardo.

Trotzdem: Luftsprünge sieht man in Milton Keynes aktuell selten. "Niemand im Team läuft gerade sehr glücklich herum", ergänzt Ricciardo auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Aber ich denke nicht, dass es demoralisierend ist. Es ist nicht destruktiv. Ich fühle keine besondere Spannung, die das Team zerbrechen lassen könnte. Es ist mehr ein 'Wie können wir das lösen?'"

Verstappen & Ricciardo vertrauen auf Red Bulls Entwicklungskraft

Genau davon ist Ricciardo letztlich schließlich immer noch überzeugt - wenn auch eben nicht schnell. Früher oder später werde Red Bull den Hebel schon umlegen können. "Ich denke, die Dinge werden sich für uns freundlicher gestalten, sobald wir nach Europa kommen. Ich würde sagen, dass wir bis Barcelona unter diese Sekunde kommen und dann von da an beginnen, den Rest abzutragen", sagt Ricciardo. In Kanada soll dann ein Upgrade seitens Renault für einen weiteren Performance-Sprung sorgen. Ob der reichen wird, um mit Mercedes und Ferrari gleichzuziehen? Ricciardo wagt keine Prognose: "Gerade sind wir zu weit weg als dass wir genau sagen könnten, zu welchem Rennen genau wir auf ihrer Pace sind. Das erfordert konsequente Arbeit."

Dass Red Bull im Saisonverlauf merklich zulegen kann, habe das Team allerdings schon mehrfach bewiesen. "Ich denke, dass unsere Entwicklungsfähigkeiten stark sind. Da waren wir besonders im vergangenen Jahr stark", lobt Ricciardo. Allerdings sieht der 'Honigdachs' auch die Kehrseite dieser Medaille: "Es ist aber keine Stärke, nicht an der Spitze in die Saison zu starten. Das ist eine Schwäche!"

Doch gerade 2017 könnte diese Entwicklungsstärke besonders wichtig sein. "Die Autos sind noch sehr neu, also können die Verbesserungen größer sein als in den vorherigen Jahren. Am Ende kommt es auf die Entwicklung an, wer an der Spitze stehen wird", sagt Verstappen. Aktuell seien Red Bull die Updates ein wenig ausgegangen, auch auf Motorenseite müsse man sich verbessern. "Es ist ein bisschen von beidem", sagt Verstappen.

Immerhin: Von hinten droht Red Bull absolut keine Gefahr. Verstappen: "Vielleicht findet ein Team mal für ein Wochenende ein magisches Setup, aber generell sind wir komfortabel P5 & P6." Allzu wohl fühlen dürften sich Verstappen und Ricciardo damit jedoch freilich nicht. Als echte Racer brennen beiden nur für den Fight um Siege, nicht für eine angenehme Zeit in der Komfortzone.