Nach dem Saisonauftakt der Formel 1 im Albert Park zu Melbourne - einem waschechten Klassiker im Rennkalender der Königsklasse - führt uns die zweite Station der F1-Saison 2017 am kommenden Wochenende nach China. Auf dem Shanghai International Circuit steigt nach dem Debüt im Jahr 2004 zum 14. Mal der China GP.

Obwohl noch relativ jung, verändert sich auch der Kurs vor den Toren der Weltmetropole Shanghai Jahr für Jahr. Das gilt insbesondere für diese Saison, hat die deutlich schnellere Generation der 2017er F1-Boliden die Anforderungen an die Streckensicherheit noch einmal deutlich nach oben geschraubt. So wurden in den Kurven 1 und 8 weitere Reifenstapel sowie in den Kurven 2,3 und 12 zusätzliche und höhere Kerbs hinter den bestehenden installiert. Auf der Start-Linie wurde nach Pascal Wehrleins unvermitteltem Abflug im Vorjahr der Asphalt ausgebessert.

  • Längste Gerade im ganzen Rennkalender
  • Berühmte 'Schneckenkurve' nach Start/Ziel
  • Hohe Belastungen für die Reifen, besonders an der Vorderachse
  • Weiterhin zwei lange DRS-Zonen
  • Zusätzliche Kerbs in den Kurven 2, 3 und 12
  • Mehr Reifenstapel in den Kurven 1 und 8
  • Entstandene Unebenheit auf Start-Ziel durch neue Oberfläche geglättet

Shanghai International Circuit: Im Reich der Extreme

SHANG! Das Layout des Shanghai International Circuit, Foto: Motorsport-Magazin.com
SHANG! Das Layout des Shanghai International Circuit, Foto: Motorsport-Magazin.com

China - das Land der Mitte. Und der Extreme. Zumindest wenn es um die Anlage seiner Grand-Prix-Strecke für die Formel 1 geht. Das begann schon beim Bau des Kurses Anfang des Jahrtausends. Weil in einem Sumpfgebiet gelegen, musste sich Streckenarchitekt Hermann Tilke für den Shanghai International Circuit etwas ganz besonderes einfallen lassen: Damit der Asphalt nicht vom Boden verschluckt wird, schwimmt der ganze Komplex mit seinen gigantischen Tribünen und seiner riesigen Boxenanlage samt gewaltiger Brücken auf unfassbaren Mengen Styropor.

Damit nicht genug der Extreme. So richtig gehts damit erst beim Layout los. So befindet sich in China die wohl irrste Kurve der Formel 1. Gleich zu Beginn der Runde geht es in die berühmte Schneckenkurve, eine schier unendlich lange Rechts, die sich zum Ende hin gemein zuzieht - für Fernando Alonso gerade wegen dieses enormen fahrerischen Anspruchs die beste Kurve des gesamten Rennkalenders. Dank der revolutionären neuen Boliden samt höherer Kurvenspeed dürften Herausforderung und Erlebnis für die Fahrer weiter zulegen.

Damit nicht genug: Eine extreme Fahrbahnbreite und eine der längsten Geraden im Rennkalender laden zum Überholen nur so ein. Nach der Prozession von Melbourne zum Start in die Formel-1-Saison kommt der F1-Rekordhalter in Sachen Überholen gerade recht.

Streckenverlauf: In China von allem etwas

360-Grad-Video: Eine Simulator-Runde in China mit Kvyat (01:48 Min.)

Nach dem beschriebenen Endlos-Rechtsbogen gleich zu Beginn der Runde schließt unmittelbar ein abrupter Richtungswechsel an. Auf diese enge Linkskurve 3 folgt bereits der zweite 300 km/h-Abschnitt nach Start/Ziel. Diese Vollgaspassage umfasst einen leichten Rechtsknick, ehe kurz nach Ende des ersten Sektors die Haarnadel (Kurve 6) zu meistern ist. Ein guter Kurvenausgang ist hier Gold wert, legt er den Grundstein für den richtigen 'Flow' durch die nun folgenden schnellen Kurven 7 bis 10.

Fast gesamte zweite Sektor besteht aus diesem abwechslungsreichen Mix, bevor an dessen Ende nach einer kurzen Gerade extrem für eine umgedrehte Schneckenkurve verzögert wird. Diese macht also zum Ausgang hin auf statt zu und ist noch bedeutsamer als Kurve 6, folgt nun die 1,2 Kilometer lange Gerade samt DRS-Zone. Hierfür gilt es allen Schwung mitzunehmen, der sich irgend zusammenkratzen lässt.

Weil eine harte Bremszone für die Haarnadelkurve 14 anschließt, bieten sich hier exzellente Überholaussichten - aber auch Konterchancen. Denn nach einem kurzen Beschleunigungsstück geht es durch einen schnellen wie heiklen Linksknick zurück auf Start/Ziel und damit zur nächsten DRS-Gelegenheit.

Wer stattdessen lieber zum Reifenwechsel in die Box möchte, schenkt sich den Knick und donnert einfach weiter geradeaus in Richtung Boxeneinfahrt. Weniger heikel ist dieses Unterfangen jedoch nicht, die Zufahrt zur Boxengasse hat bereits ihre ganz eigene Historie - und deshalb sogar eine eigene Flagge. Pastor Maldonado und Lewis Hamilton (s. unten) können ein trauriges Lied davon singen.

Streckendaten
Länge: 5,451 km
Runden: 56
GP-Distanz: 305,066 km
Rundenrekord: 1:32.238 (MSC, 2004)
Kurven: 16
Weg bis Kurve 1: 458,1 m
Länge Boxengasse: 383 m
Zeit in Box bei 60 km/h: 22,98 Sekunden

Technik-Herausforderung: Komplettpaket gefragt

Als permanenter Kurs ist der Shanghai International Circuit um einiges anspruchsvoller als der Albert Park zum Auftakt, verlangt den Boliden in allen Bereichen alles ab. Die langen Geraden erfordern einerseits eine leistungsstarke Power Unit im Heck - McLaren bibbert bereits. Andererseits kommt es auch auf gute Bremsen und ein exzellentes Fahrwerk in den beiden engen Haarnadeln und den vereinzelten langsameren Kurven an.

Vor allem im schnellen Kurvengeschlängel in Sektor zwei müssen zudem die neuen Aerodynamik-Monster ihre Wirkungskraft beweisen. Als wäre das nicht schon genug, bekommen auch die Reifen gehörig zu tun. Ebenfalls die schnellen Richtungswechsel Mitte der Runde, aber besonders die extrem langen Rechtskurven 1 und 13 verlangen den Pirelli alles ab. Besonders der Gummi vorne links leidet in Shanghai massiv. Durch die langen Geraden warnt der Hersteller obendrein vor möglichem Graining, auch wenn die 2017er Konstruktionen hier insgesamt weniger anfällig seien als ihre Vorgänger.

Pirelli erklärt die neuen Formel 1-Reifen (10:18 Min.)

Die Strategie: Erster richtiger Belastungstest für neue Reifen

In Australien waren die Strategien wegen des geringen Verschleißes simpel: In der Spitzengruppe dominierte der klassische Einstopper. Ganz anders könnte es in Shanghai aussehen. Zwar bringt Pirelli eine Nummer härtere Mischungen (je Fahrer 7 Satz Supersoft, 4 Soft, 2 Medium), doch fressen die Begebenheiten des Kurses in China den Gummi wesentlich schneller als Asphalt und Layout des Albert Parks. Hier die richtige Reifenwahl zu treffen war in Shanghai stets der wichtigste Schlüssel zum Erfolg. "Wir haben für den Großen Preis von China die mittlere Mischungs-Auswahl nominiert. Wir gehen aber davon aus, dass die Teams hauptsächlich die weichen und superweichen Slicks einsetzen werden, zumal jedem Fahrer nur zwei Sätze der Medium-Reifen zur Verfügung stehen", sagt Pirellis Mario Isola.

Strategisch gilt es dabei jedoch noch einen zweiten Faktor zu bedenken, der so in Melbourne kaum vorhanden war: Überholen ist in China nicht nur besser, sondern sogar sehr gut möglich - Dirty Air hin oder her. Entsprechend sind die Teams weit weniger sklavisch genötigt, auf Track Position zu achten als beim vorherigen Grand Prix Down Under. Die Folge: Im vergangenen Jahr setzte die Mehrheit auf drei Stopps, Sieger Nico Rosberg immerhin noch auf zwei. Aufgrund der insgesamt weniger schnell verschleißenden Reifen sollte es 2017 aber tendenziell zu etwas weniger Betrieb in der Boxengasse kommen. Das alles gilt selbstverständlich nur bei trockenen Streckenverhältnissen ...

Haarnadel nach langer Gerade - in Shanghai kann man überholen, Foto: Sutton
Haarnadel nach langer Gerade - in Shanghai kann man überholen, Foto: Sutton

Das Wetter: Wetterdrama in Shanghai? Möglich!

Und genau hier liegt womöglich der Knackpunkt. Der Wettergott könnte dem Wochenende in Shanghai neben all der Technik-, Reifen- und Überholaction zusätzliche Würze verleihen. So erwarten die Meteorologen zunächst einen wechselhaften Freitag, dann einen sehr sonnigen Samstag. Doch kurz vor Rennstart könnte der Himmel seine Schleusen ganz weit aufsperren. Die Regenwahrscheinlichkeit liegt je nach Modell bei bis zu 70 Prozent. Nicht allzu unwahrscheinlich also, dass wir bereits beim zweiten GP erstmals einen stehenden statt fliegenden Start hinter dem Safety Car im Regen sehen. Diese Regel ist 2017 neu.

Shanghai International Circuit: Unvergessene Momente

Schumis letzter Streich: Seinen 91. und damit letzten F1-Sieg feierte Michael Schumacher 2006 in China. Nachdem es für den Rekordweltmeister in den beiden ersten Jahren in Shanghai alles andere als gut gelaufen war, bezwang Schumacher seinen kleinen China-Fluch im Stil eines echten Champions. Trotz Startplatz sechs bezwang ein am Rennsonntag glänzend aufgelegter Schumacher die Renault-Konkurrenz, etwa mit spektakulären Manövern in der Schneckenkurve, und schnappte sich kurzzeitig noch einmal die WM-Führung.

Im chinesischen Kies endete Lewis' Traum vom WM-Titel 2007, Foto: Sutton
Im chinesischen Kies endete Lewis' Traum vom WM-Titel 2007, Foto: Sutton

Hamilton wirft WM-Wunder weg: Ein Rookie wird Formel-1-Weltmeister. Lewis Hamilton hätte 2007 gelingen können, was bisher noch keiner geschafft hat. Und tatsächlich sah es bis zwei Läufe vor Saisonende richtig gut aus. Dann Katastrophe in China. Viel zu spät zitiert McLaren Hamilton im Regenreifen-Poker an die Box. Auf völlig heruntergefahrenen Inters rutscht der Brite in der Boxenausfahrt ins Kiesbett und muss aufgeben - am Ende auch den Titel-Traum: Weltmeister wird Kimi Räikkönen.

Der Russen-Torpedo: Kaum jemand wird es vergessen haben, dieses Aufeinandertreffen kurz vor der Siegerehrung zum China GP 2016. Gut, es ist auch erst ein Jahr vergangen, doch dürfte diese Szene noch auf Jahre Kult bleiben: "Du bist da reingeschossen wie ein Torpedo!", keift Sebastian Vettel Richtung Daniil Kvyat. "Das ist halt Racing", kontert der Russe - noch bei Red Bull beschäftigt. Hintergrund war eine Kollision Vettels mit Teamkollege Räikkönen am Start, zu der sich der Deutsche in Folge des heranschießenden Kvyats genötigt sah. Die meisten Experten sahen hier allerdings keine Schuld beim Russen. Ganz anders wenig später bei dessen Heimrennen. Gleich zweimal donnerte Kvyat Vettel rein, RBR-Cockpit futsch.

China GP: Die letzten Rennen

Jahr Sieger 2. Platz 3. Platz Pole Schn. Runde
2016 Nico Rosberg Sebastian Vettel Daniil Kvyat Nico Rosberg Nico Hülkenberg
2015 Lewis Hamilton Nico Rosberg Sebastian Vettel Lewis Hamilton Lewis Hamilton
2014 Lewis Hamilton Nico Rosberg Fernando Alonso Lewis Hamilton Nico Rosberg
2013 Fernando Alonso Kimi Räikkönen Lewis Hamilton Fernando Alonso Sebastian Vettel
2012 Nico Rosberg Jenson Button Lewis Hamilton Nico Rosberg Kamui Kobayashi

China GP: Fakten zum Rennen

  • 2017 findet der China GP zum 14. Mal statt
  • Mit vier Siegen ist Lewis Hamilton Rekordsieger des China GP, Nico Rosberg und Fernando Alonso folgen mit je zwei Erfolgen
  • Bei den Teams liegen Ferrari und Mercedes mit je vier Siegen gleichauf
  • Die Silberpfeile fahren in Shanghai ihren 150 F1-GP als Werksteam
  • Hamilton könnte in China bereits zum 6. Mal Pole fahren. In 8 von insgesamt 13 Fällen bedeutete das den Rennsieg
  • 2011 fuhr Mark Webber in China vom 18. Platz noch auf das Podium - Shanghai-Rekord!
  • Mit einem Sieg würde es Ferrari erstmals seit Red Bull beim Belgien GP 2014 gelingen, Mercedes zwei Wochenenden in Folge zu schlagen