Auf Lance Stroll werden beim Saisonauftakt in Melbourne viele Augen gerichtet sein. Der Williams-Neuzugang wird in Australien nicht nur der einzige Pilot ohne Rennerfahrung in der Formel 1 sein - er ist nach seiner Vorstellung bei den Barcelona-Testfahrten auch einer der am meisten diskutierten Fahrer im Feld. Nachdem er zunächst mit jeder Menge Kleinholz auf sich aufmerksam machte, konnte er sich mit fehlerfreien Testtagen wieder etwas rehabilitieren. Trotz der soliden Leistungen stellen sich viele im Fahrerlager trotzdem die Frage, ob der 18-Jährige schon bereit für das Haifischbecken Formel 1 ist.

An seinem ersten offiziellen Arbeitstag als Formel-1-Pilot kam Lance Stroll bei den Testfahrten nur zwölf Runden weit - und das, obwohl er mit den Milliarden seines Vaters Lawrence Stroll im Rücken zuvor ein umfangreiches privates Testprogramm absolviert hatte. Der Unfall am ersten Tag und die darauffolgende Wiederholung am zweiten, welche dem Team einen ganzen Testtag kostete, waren ein gefundenes Fressen für die Kritiker, die statt Strolls Formel-3-Titel ausschließlich die Mitgift seines Vaters als Grund für den Karriereaufstieg sehen.

Stroll ließ sich jedoch nicht beirren und spulte ohne Zeichen großer Verunsicherung in der zweiten Testwoche 276 Runden ab. Gegenüber Autosport strotzte der Youngster in der Woche vor dem Formel-1-Debüt vor Selbstvertrauen. "Ich kümmere mich nicht um die Kritik. Das ist nicht meine Baustelle", so der Kanadier, dessen Fähigkeiten bereits zu Beginn seiner Formel-3-Laufbahn nach vermehrten Unfällen in Frage gestellt wurden. Eine Erfahrung, die ihm nun offenbar eine Hilfe ist: "Wir sind alle Profis. Solche Dinge passieren im Motorsport und du darfst dich einfach nicht unterkriegen lassen."

Saisonvorschau: MotoGP vs Formel 1: (09:17 Min.)

Symonds prophezeite Stroll-Unfälle

Ab Melbourne werden derartige Fehler dem Team allerdings teurer zu stehen kommen. Teamchefin Claire Williams hatte kurz nach Strolls Verpflichtung bereits klargestellt, dass er im Debüt-Jahr zwar eine Schonfrist haben wird, jedoch auch die entsprechenden Ergebnisse abliefern muss. "Die Konstrukteurs-WM ist wirklich wichtig für uns und dafür brauchen wir zwei starke Fahrer in unseren Autos", so die klare Zielvorgabe der Chefin. Teamkollege Felipe Massa hat mittlerweile erkannt, dass er mit seinem Input als Lehrmeister in einem gewissen Maße dazu beitragen soll. "Wenn er einen guten Job macht, ist es gut für das Team und für die Punkte", so der Brasilianer.

Ex-Technikdirektor Pat Symonds hatte nach der Vertragsunterzeichnung Strolls bereits prophezeit, was das Team mit dem Newcomer hinter dem Steuer 2017 erwarten würde. "Natürlich wird er Fehler machen und wir werden seine Autos reparieren. Das ist Teil dieses Prozesses", so der Brite damals. Stroll wiederum bestätigte mit seiner zweiten Testwoche das, was Claire Williams ihm bereits attestiert hatte: "Er ist extrem intelligent und lernt sehr schnell."

Keine Ziele für das Debüt

Mit einer schnellsten Rundenzeit von 1:20,335 Minuten war Stroll bei den Wintertestfahrten etwas mehr als neun Zehntel langsamer als Teamkollege Massa. Während der Brasilianer auf Ultrasoft-Reifen unterwegs war, fuhr sein junger Stallgefährte die zwei Stufen härtere Mischung. "Ich war unterwegs zu einer 1:19.5 Minuten, aber dann habe ich es weggeschmissen. Auf meiner Runde auf Ultrasofts lag ich acht Zehntel vorne", erklärt Stroll seinen Rückstand.

Für die Premierenvorstellung in der Formel 1 hat sich Stroll allerdings trotzdem keine Vorgaben gesetzt. "Wir müssen ruhig bleiben und ich denke nicht, dass wir uns jetzt wirklich schon ein Ziel setzen sollten", so der Williams-Pilot, für den die Rennstrecke im Albert Park völliges Neuland sein wird. "Es ist natürlich eine neue Strecke für mich und auch ein spezieller Kurs. Es ist also nicht wie ein gewöhnliches Rennwochenende", stellt er klar.

Mit Massa steht ihm im Debüt-Jahr einer der erfahrensten Piloten im Feld zur Seite. Die Absicht von Williams ist bei dieser Fahrerpaarung klar: Der Neuling soll sich am alten Hasen orientieren. Stroll will der Lehrer-Rolle des Teamkollegen allerdings nicht zu viel beimessen. "Mentor ist ein großes Wort. Jeder ist für sich selbst hier. Ich muss meinen Job machen. Es ist nicht mein Job, Felipe zu fragen, sondern mich ins Auto zu setzen und auf die Strecke zu gehen", gibt er sich pragmatisch.

Vater Lawrence Stroll hat die Karriere seines Sohnes mit viel Geld vorangetrieben, Foto: Sutton
Vater Lawrence Stroll hat die Karriere seines Sohnes mit viel Geld vorangetrieben, Foto: Sutton

Massa kooperiert

Trotzdem ist ihm Massa offenbar lieber als ein anderer Teamkollege. "Es ist toll, ihn hier zu haben. Ich kenne ihn von Ferrari und er ist ein Teamplayer, ein ehrlicher Mensch. Wenn man sich als Teamkollegen jemanden aussuchen kann, dann einen Teamplayer der das Beste für das Team will. Er bringt einen positiven Geist und eine positive Einstellung ins Team und es gibt sehr viel, was ich von ihm lernen kann", streut Stroll dem Routinier Rosen.

Massa sieht sich aber zweifelsohne in der Rolle des Lehrmeisters und geht dementsprechend offen in das teaminterne Duell. "Ich muss mir keine Sorgen machen. Ich versuche ihm so sehr zu helfen, wie es geht. Ich bin sein Teamkollege und natürlich will ich vor ihm liegen. Aber ich gebe ihm auch die Daten, damit habe ich ehrlich gesagt kein Problem", gibt der 250-fache Grand-Prix-Teilnehmer sich souverän.

Viel zu lernen in der Formel 1

Stroll wird in dieser Saison mit seinen 18 Jahren Shooting Star Max Verstappen als jüngsten Starter im Grid ablösen. Nach zwei Jahren in der europäischen Formel 3, bringt er allerdings nicht nur mehr Erfahrung mit als der Niederländer bei seinem Debüt im Jahr 2015: Stroll hat ihm auch den Titel in der Nachwuchsklasse voraus. Die Umstellung war für ihn laut eigenen Angaben trotz der 2017 eklatant schnelleren Boliden kein Kulturschock. "Ich war nicht überrascht. Klar sind die Fliehkräfte höher, aber es war keine Überraschung", so der Rookie.

Obendrein glaubt Stroll, dass das neue Reglement und der damit einhergehende Lernprozess die routinierten Piloten in eine ähnliche Situation wie ihn bringt. "Ich habe schon einige der Prozedere und komplizierten Dinge gelernt, aber es gibt so viel Neues für alle. Die anderen beginnen zwar nicht komplett bei null, aber auch diejenigen mit viel Erfahrung lernen mit diesen Autos Neues dazu", ist er sich sicher.