In der Saison 2017 gibt es der Definition des Wortes nach nur einen Rookie: Williams-Neuzugang Lance Stroll. Obwohl Stoffel Vandoornes Statistik mit nur einem Formel-1-Start beinahe genauso jungfräulich wie die des Kanadiers ist, wird er im Paddock längst nicht mehr als Grünschnabel gesehen. Der Belgier gilt bereits seit Jahren als Reif für die Königsklasse. Doch während Verstappen, Wehrlein oder Ocon bereits ihre Runden als potentielle Nachfolger von Hamilton, Vettel & Co. drehten, drückte Vandoorne die Ersatzbank. Bei McLaren bekommt er dieses Jahr endlich seine große Chance. Bei den Testfahrten war zumindest schon auf Augenhöhe mit Teamkollege Fernando Alonso - doch die Vorzeichen könnten trotzdem besser stehen.

Als McLaren-Förderpilot wurde Vandoorne nach seinem Titelgewinn in der GP2 im Jahr 2015 von vielen schon im Stammcockpit gesehen, doch Jenson Button blockierte mit seiner Vertragsverlängerung den Aufstieg. Für den Nachwuchs blieb 2016 somit nur die Ersatzfahrer-Rolle beim Traditionsrennstall aus Woking, nebst einem Vollzeit-Cockpit in der japanischen Super Formula. Für viele sah dies wie das drohende Abstellgleis aus, doch Vandoorne wusste bei seinem Einsatz als Ersatzfahrer beim Bahrain-GP zu überzeugen: Im Qualifying ließ er Routinier Button hinter sich und am Rennsonntag holte er mit Rang zehn für McLaren den ersten WM-Zähler des Jahres.

"Ich habe letztes Jahr das Wochenende in Bahrain mit sehr wenig Vorbereitung absolviert und bin ziemlich gut zurechtgekommen", erinnert sich der 24-Jährige an sein Formel-1-Debüt zurück. Wenig überraschend fand er sich auch bei seinem ersten Einsatz als Stammpilot gut zurecht, denn während der Wintertestfahrten in Barcelona war bei ihm von den Eingewöhnungsproblemen eines blutigen Anfängers nicht das Geringste zu sehen. Spätestens seine schnellste Runde, die ein halbes Zehntel schneller als die von Star-Pilot Fernando Alonso war, lieferte den Beweis: Dieser Mann ist kein Anfänger.

Wenn der McLaren lief, war Vandoorne auf Augenhöhe mit Alonso, Foto: Sutton
Wenn der McLaren lief, war Vandoorne auf Augenhöhe mit Alonso, Foto: Sutton

Rundenzeiten von Alonso eine Selbstverständlichkeit

Was bei so gut wie jedem anderen Youngster als halbe Sensation gewertet würde, überraschte bei Vandoorne offenbar niemanden - nicht einmal den Belgier selbst, der neben seiner Testerfahrung auch seine Rennen in Fernost als wichtigen Baustein für die schnelle Eingewöhnung sieht. "Es war eine sehr gute Vorbereitung für mich. Die Kurvengeschwindigkeiten waren in der Super Formula sehr hoch. Das hat mir eine gute Vorstellung von dem vermittelt, was mich mit den Autos dieses Jahr erwartet", so Vandoorne, der im japanischen Championat auf Platz drei landete und einen Sieg einfahren konnte.

Das alles könnte eigentlich nach einem vielversprechenden Debüt-Jahr in der Königsklasse klingen - wären da nicht die zahlreichen Probleme von McLaren Honda, die seinen Einstand als Vollzeit-Pilot bei den Testfahrten überschatteten. "Wir haben wohl nicht die Anzahl an Runden abgespult, die wir auf dem Plan hatten", so Vandoorne nach den problembehafteten Tests auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya. Lediglich 425 Runden, von denen 235 Umläufe auf sein Konto gingen, spulten er und Alonso an den acht Testtagen mit dem MCL32 ab.

Alonso & Vandoorne: Perfektes Duo für 2017? (02:30 Min.)

Testrückstand kein Nachteil für Vandoorne

Trotz der Test-Misere und viel verpasster Streckenzeit fühlt sich Vandoorne nach vier Jahren als McLaren-Mann bestens für den ersten Grand Prix als Einsatzfahrer gerüstet. "So oder so fühle ich mich zu 100 Prozent bereit für Melbourne. Ich bin schon seit ein paar Jahren bereit für die Formel 1 und McLaren hat einen guten Job gemacht, mich darauf vorzubereiten. Es ist ein guter Zeitpunkt für mich", lässt er nicht den geringsten Zweifel an seiner F1-Tauglichkeit aufkommen. In der Tat scheint es so, als ob seine Reputation im Fahrerlager weniger von den Ergebnissen und der Konkurrenzfähigkeit des McLarens, sondern viel mehr vom Abschneiden gegen Routinier Alonso abhängt.

Der Spanier, der in den Augen vieler immer noch als der schnellste Pilot im Grid gilt, hatte 2007 Lewis Hamilton in dessen Rookie-Saison bei McLaren zur Seite gestellt bekommen und versucht, den aufmüpfigen Neuankömmling in bester Alphatier-Manier wegzubeißen. Sollte Vandoorne dem Platzhirsch gefährlich werden, wird vielerorts mit einer Wiederholung dieser Fehde gerechnet. Allerdings sprechen die momentanen Voraussetzungen nicht unbedingt dafür. Kämpfte McLaren vor zehn Jahren noch um die Weltmeisterschaft, was Alonso zweifelsohne zum rauen Umgang mit dem Stallgefährten trieb, dürfte sich die Rücksichtslosigkeit im Mittelfeld in Grenzen halten.

Bisher scheint die Beziehung zwischen Vandoorne und seinem Teamkollegen zumindest absolut unvorbelastet. "Ich komme wirklich sehr gut mit ihm zurecht. Ich denke, wir haben einen ähnlichen Fahrstil. Wir geben das gleiche Feedback über das Auto, was gut ist, um es in die richtige Richtung weiterzuentwickeln", so Vandoorne, dessen Priorität darauf liegt, das Team zusammen mit Alonso nach vorne zu bringen: "Wir wissen, dass wir nicht in einer idealen Situation sind und wir pushen zusammen sehr hart. Wir geben unser Bestes, um dem Team den richtigen Weg zu weisen."

Vandoornes MCL32 stand bei den Barcelona-Tests mehr, als dass er fuhr, Foto: Sutton
Vandoornes MCL32 stand bei den Barcelona-Tests mehr, als dass er fuhr, Foto: Sutton

McLaren-Krise zieht Vandoorne nicht runter

Auf den richtigen Weg wird McLaren schnell finden müssen, wenn 2017 nicht zum kompletten Rohrkrepierer verkommen soll - denn eigentlich wollte die Mannschaft das neue Reglement zum Frontalangriff auf die Spitze nehmen. Keine einfache Ausgangssituation für eine Debüt-Saison, was auch Vandoorne nicht verborgen geblieben ist. "Klar ist es nicht der optimale Start für uns, denn es gab schon in den vergangenen beiden Jahren Probleme beim Team und jeder hatte angesichts der Fortschritte gedacht, dass es jetzt viel besser würde", ist er sich der angespannten Lage bewusst. An seiner Moral kratzt die Ernüchterung über den ausgebliebenen Performance-Sprung jedoch nicht.

"Ich bleibe immer optimistisch. Es ist meine erste Saison in der Formel 1 und ich weiß, dass ich noch eine lange Zukunft vor mir habe. Ich werde also definitiv nicht den Kopf hängen lassen", gibt er sich zuversichtlich. Auch McLaren-Renndirektor Eric Boullier glaubt nicht, dass die Krise den Willen seines Youngsters brechen kann. "Stoffel ist frisch und jung und motivierter als je zuvor. Selbst wenn er enttäuscht ist, weil er nicht das Auto hat, mit dem er gut performen kann, wird er sich davon erholen und etwas dabei lernen", ist der Franzose sicher.

Vandoorne ist felsenfest davon überzeugt, dass in McLaren immer noch die DNA eines Weltmeisterteams schlummert. "Wir sind McLaren Honda, eines der größten Teams in der Formel 1 und wir haben in der Vergangenheit bereits schnelle Umschwünge gesehen", bestärkt er seinen Glauben an die Truppe aus Woking und hofft, dass die Ingenieure es schaffen, bereits kurzfristig aus der Not eine Tugend zu machen: "McLaren und Honda geben zusammen alles, damit wir zumindest mit einem Update nach Melbourne kommen - denn das wird augenscheinlich auch dringend gebraucht."