Hat Mercedes durch die neuen Regeln an Dominanz eingebüßt? Diese Frage beschäftigte das Fahrerlager der Formel 1 im Vorfeld der Testfahrten in Barcelona. Tatsächlich wirkte Ferrari extrem stark, doch Mercedes präsentierte sich im Gegenzug äußerst zuverlässig. Wie also ist die Ausgangslage der Silberpfeile zu bewerten? Welche Parallelen gibt es zu den Vorjahren? Motorsport-Magazin.com schaut sich das Weltmeister-Team genauer an.

Die wichtigste Kennziffer einer jeden Wintertestfahrt ist die absolvierte Rundenzahl. Besonders mit den komplett neu-konstruierten Boliden, die mit ihren Vorgängern kaum noch etwas gemein haben, ist eine Standortbestimmung in Sachen Zuverlässigkeit ein wichtiger Gradmesser. Und hier hat Mercedes offenbar einen erneut souveränen Job gemacht. Nach acht Tagen hatte Mercedes 1.096 Runden abgespult, satte 140 mehr als Ferrari auf Platz zwei. Dabei zeigten sich die Weltmeister in beiden Wochen konstant. 558 Runden in Woche eins stehen 538 Umläufe eine Woche später gegenüber.

Ein Blick auf die Zahlen der Testfahrten 2016 zeigt eine fast schon beängstigende Ähnlichkeit mit den diesjährigen Werten. Mercedes fuhr in diesem Jahr insgesamt nur drei Runden weniger als vor Jahresfrist.

Vergleich: Testbilanz von Mercedes 2016 und 2017

20172016
Barcelona I558 Runden480 Runden
Barcelona II538 Runden619 Runden
Gesamt1096 Runden1099 Runden

Trotz dieser Bilanz zeigten sich auch bei Mercedes im Laufe der Testfahrten menschliche Züge. Am letzten Tag der ersten Testwoche streikte die Elektronik am Silberpfeil, so dass Lewis Hamilton am Vormittag gar nicht zum Einsatz kam. Das Team bekam das Problem aber schnell in den Griff und Valtteri Bottas konnte am Nachmittag des besagten Tages sein Programm planmäßig abspulen. In der zweiten Woche wurde das Testprogramm von Mercedes ebenfalls nur einmal kurz unterbrochen, als Lewis Hamilton am Dienstag einen Schaden am Unterboden erlitt und er deshalb seinen Arbeitstag früher als geplant beenden musste.

Auch im Vorjahr lief der Mercedes nicht nur viele Kilometer, sondern auch (fast) problemlos. Einzig ein Getriebedefekt hinterließ damals einen Makel auf der ansonsten blütenweißen Weste.

Fazit der Formel 1-Tests in Barcelona (05:53 Min.)

Ein ähnliches Bild wie 2016 zeigte sich auch bei den Rundenzeiten. Mercedes fuhr bereits im Vorjahr offenkundig nicht am Limit, die Tagesbestzeiten reichten vor allem an Ferrari nicht heran. So auch dieses Jahr, wenngleich Valtteri Bottas in Woche eins die schnellste Runde aller Fahrer drehte. In der zweiten Woche bestimmte die Scuderia die Schlagzeilen. Rekord um Rekord fuhren Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen, beinahe wäre sogar der absolute Streckenrekord gefallen. Das Vorgehen ähnelt also auch in diesem Punkt der Vorsaison.

Testfahrten: Rundenzeitenvergleich 2016 und 2017

20172016
Absolute Bestzeit Barcelona I1:19.705 (Valtteri Bottas, Mercedes, Ultrasoft)1:22.810 (Sebastian Vettel, Ferrari, Ultrasoft)
Mercedes-Bestzeit Barcelona I 1:19.705 (Valtteri Bottas, Ultrasoft)1:24.867 (Nico Rosberg, Medium)
Differenz-+2.057
Absolute Bestzeit Barcelona II1:18.634 (Kimi Räikkönen, Ferrari, Supersoft)1:22.765 (Kimi Räikkönen, Ferrari, Ultrasoft)
Mercedes-Bestzeit Barcelona II1:19.310 (Valtteri Bottas, Supersoft)1:23.022 (Nico Rosberg, Soft)
Differenz+0.676+0.257

Glaubt man allein diesen Zahlen, so ist die Ausgangslage im Vergleich zum Vorjahr ähnlich. Was sich daraus entwickelt hat, ist bekannt: Mercedes war noch dominanter als in den Jahren zuvor. Was also spricht nun gegen eine Wiederholung? Ausgeschlossen werden kann ein weiterer Durchmarsch zum Titel natürlich nicht. Die meisten Beobachter sehen die Silberpfeile immer noch - wenn auch knapp - vorne. The same procedure as last year also?

Im Vergleich zu 2016 gibt es beim Blick auf die Rundenzeiten dann aber doch einen kleinen, aber gewaltigen Unterschied. 2016 verzichtete Mercedes in der zweiten Testwoche komplett auf die beiden weichsten Reifenmischungen. Der Rückstand hatte also offensichtliche Gründe. In diesem Jahr fuhr Bottas im Mercedes dagegen seine schnellste Runde auf Supersofts, ebenso wie Kimi Räikkönen. Diese Variable fällt also aus den Überlegungen heraus.

Ist Ferrari tatsächlich ein echter Herausforderer für Mercedes?, Foto: Sutton
Ist Ferrari tatsächlich ein echter Herausforderer für Mercedes?, Foto: Sutton

In der Chefetage von Mercedes zeigte man sich nur bedingt zufrieden. "Wir haben Updates gebracht, die nicht so perfekt funktioniert haben wie wir es erwartet hatten", erklärte Niki Lauda am vorletzten Tag der Testfahrten. Klar ist: Mit der neuen Fahrzeug-Generation muss auch Mercedes erst dazu lernen. Auf Erfahrungswerte der vergangenen Jahre kann das Weltmeister-Team ebenso wenig zurückgreifen wie die Konkurrenz. Ohnehin sind die Autos erst am Anfang der Entwicklung. Bereits in Australien werden die Teams erste Updates mit an Bord haben, dieses Entwicklungsrennen wird sich über die gesamte Saison ziehen.

Besonders Ferrari machte in den zwei Wochen einen starken Eindruck, sowohl auf eine schnelle Runde, als auch in den Rennsimulationen. Kimi Räikkönen, der am letzten Tag eine Superzeit fuhr, kündigte bereits an: "Wenn wir wollen, können wir schneller fahren. Das ist aber nicht Sinn der Sache, dass man beim Test so schnell fährt wie man kann." Worte, die sich nur als Schall und Rauch entpuppen?

Teamkollege Sebastian Vettel gibt sich etwas zurückhaltender. "Es ist kein Geheimnis, dass man Favorit ist, wenn man drei Titel in Folge einfährt. Ob Regeländerung oder nicht: sie gilt es zu schlagen", sieht Vettel Mercedes vorne. Eine Ansicht, die Lauda nicht teilen will. "Das sind die naiven Menschen, die sich das Leben leicht machen", so der Österreicher über die Meinung, Mercedes sei automatisch vorne. "Ich glaube, für Mercedes steht ein hartes Jahr bevor."