Nico Hülkenbergs erster Testtag in den Farben von Renault war zwar nicht sonderlich ereignisreich, doch Langeweile kam beim ehemaligen Force-India-Piloten trotzdem nicht auf. Obwohl das Testprogramm aufgrund kleinerer Probleme etwas kürzer als geplant ausfiel, konnte der Hulk jede Menge Erkenntnisse sammeln. Arbeitgeber, Auto, Reifen: Alles war für ihn an diesem ersten Arbeitstag 2017 neu.

"Das ist wirklich so, als ob man wieder ein Baby ist und das Laufen neu lernt", fasst der 29-Jährige den ersten Tag im Renault-Cockpit zusammen. Mit einer Bestzeit von 1:24.784 Minuten reihte er sich am Abend auf dem drittletzten Rang ein. Die Zeitenjagd war heute allerdings ohnehin kein Thema. "Es ging viel ums Lernen heute. Runde um Runde, bei jedem Run hast du neue Dinge herausgefunden", fügt er an.

Mit nur 57 Runden war Hülkenberg heute guter Durchschnitt. Auf die 152 Runden des Mercedes-Uhrwerks fehlten damit aber Welten. "Es war kein problemfreier Tag, aber das hatten wir auch nicht erwartet", so der Mann aus Emmerich, der auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com verriet, was seinen R.S.17 über weite Strecken lahmlegte: "Diverse Karbonteile vom Bodywork." Die Chassis-Probleme hatten laut ihm jedoch nichts mit den erhöhten Fliehkräften zu tun.

Bei der ersten Begegnung mit der Konkurrenz schindete der neue Look der Boliden bei Hülkenberg offenbar viel Eindruck. "Auf der Strecke denkst du fast schon, es kommt ein LKW vorbei. Die Autos sehen sehr maskulin und massiv aus. Hinten ein bisschen schmaler wäre auch nicht so schlecht", lautet seine leichte Kritik an den neuen Fahrzeugen. Wie krass der Unterschied zum Vorjahr ist, wurde ihm allerdings schon beim Filmtag seines Teams vor Augen geführt: "Wir hatten da ein Vorjahresauto als Showcar dabei. Der sah daneben auf einmal aus wie ein Formel 3."

Hülkenberg konnte im R.S.17 lediglich 57 Runden abspulen, Foto: Sutton
Hülkenberg konnte im R.S.17 lediglich 57 Runden abspulen, Foto: Sutton

Ein bisschen nackensteif

Neben den offensichtlichen Erkenntnissen des ersten Tests stand für Hülkenberg die Akklimatisierung in seinem neuen Cockpit gleichermaßen im Vordergrund wie das Fahrgefühl mit den Boliden der 2017er Generation. "Das fühlt sich am Anfang immer sehr seltsam an", so der Deutsche, der nach drei Jahren bei Force India erstmals wieder bei einem anderen Team ins Cockpit kletterte: "Wenn man ein ganz anderes Zuhause hat, ein anderes Cockpit und dann noch das Auto mit neuen Regeln: Da fühlt sich erstmal alles fremd an und da muss man sich an das Neue erstmal gewöhnen."

Zur schnelleren Eingewöhnung hat er von seinem neuen Arbeitgeber allerdings gleich einmal einige der Bedienelemente von seinem Force-India-Lenkrad übernehmen lassen. Mit diesen konnte er sich aber auch erst bei der ersten Ausfahrt auf der Rennstrecke vertraut machen. "Trockenübungen funktionieren da nicht so. Das muss man schon richtig im Gefecht machen - mit 300 km/h und mit Vibrationen und allem", so Hülkenberg, der darauf verzichtet, sich das Lenkrad unters Kopfkissen zu legen: "Zuhause im Bett, da kann man es auch blind machen. Das bringt nix."

Da die Piloten heute noch nicht am Limit unterwegs waren, traut sich Hülkenberg zum Fahrverhalten des neuen Jahrgangs nur eine vorsichtige erste Einschätzung abzugeben. "Wir sind noch ziemlich weit von einem optimierten Auto entfernt. Aber die Fliehkräfte und die Kurvenspeeds sind höher und es ist physisch fordernder. Du steigst aus und bist ein bisschen nackensteif", gibt er zu Protokoll. Durch die verkürzte Testzeit steckt ihm der erste Tag zwar nicht allzu sehr in den Knochen, doch bei einem vollen Programm erwartet auch er mehr Nachwehen.

Nicht so schnell wie im Simlator

Während viele vor dem Test vor allem die Kurven 3 und 9 als Hochgeschwindigkeitspassagen im Auge hatten, konnte Hülkenberg hier noch nicht die ganz großen Unterschiede ausmachen. Viel mehr machte sich der breitere Bolide in anderen Kurven bemerkbar: "In den mittelschnellen Kurven merkt man einfach den Zuwachs von Abtrieb, und dass da viel mehr geht." In Sachen Topspeed machten sich die breiten Reifen und das Plus an Anpressdruck jedoch nicht wie befürchtet negativ bemerkbar, wie er anfügt: "Mit DRS bist du fast genauso schnell. Es sind vielleicht fünf bis zehn km/h." Auch auf der Bremse blieb das Aha-Erlebnis aus. "Sie sind wahrscheinlich ein bisschen höher, aber es kommt mir nicht viel vor", lautet seine Einschätzung der Fliehkräfte beim Anbremsen.

Wo sich die neue Spurbreite von zwei Metern laut ihm jedoch eher niederschlagen wird, ist der Kampf auf der Strecke. Denn Hülkenberg erwartet, dass das Überholen mit den neuen Boliden durchaus schwieriger wird. Den Effekt von 'dirty air' konnte er heute allerdings noch nicht in Erfahrung bringen. "Ich habe nur Autos gesehen, die mich überholt haben. Aber nicht wie in einer Rennsituation", so Hülkenberg. Auch einen Vergleich seiner neuen Power Unit von Renault mit der seines Ex-Arbeitgebers, der auf Mercedes setzte, konnte er noch nicht ziehen: "Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Wir haben den Motor heute nicht aufgedreht."

Unzählige Stunden im Simulator sollten über den Winter eigentlich schon für einen kleinen Vorgeschmack sorgen, doch vom Gefühl in der virtuellen Welt ist Hülkenberg laut eigenen Angaben noch ein Stück entfernt: "Ich glaube, die Simulatoren sind sowieso immer ein bisschen schneller als die Realität. Aber jetzt haben wir mal die ersten Daten aus der Realität und ich bin auch heute noch keinen Soft-Reifen gefahren. Von daher ist es ein bisschen wie Äpfel und Birnen vergleichen."

Renault will als Werksteam wieder voll in der Formel 1 angreifen, Foto: Sutton
Renault will als Werksteam wieder voll in der Formel 1 angreifen, Foto: Sutton

Pirelli überraschend konstant

Während einige Teams bereits den Soft-Reifen auspackten, war Hülkenberg den ganzen Tag über mit der Medium-Mischung unterwegs. Im Gegensatz zum neuen Boliden konnte er aus den neuen Pirelli-Reifen bereits kleine Schlussfolgerungen ziehen. "Ich bin am Ende 18 Runden gefahren und er war relativ stabil. Überraschend konstant", so die positive Kritik an den Pneus. Auch das Aufwärmverhalten, das in der Vergangenheit ein größerer Kritikpunkt war, machte einen besseren Eindruck: "Das war wirklich nicht schlecht. Der Peak war zwar nicht direkt in der ersten Runde, aber das ist vielleicht auch ein bisschen den kälteren Temperaturen geschuldet."

Die Tatsache, dass man sich auf eine Reifenmischung beschränkte, unterstrich noch einmal den Ansatz beim ersten Outing. "In den vergangenen Jahren waren die Reifen teilweise nur für einen Run gut und beim zweiten war schon Sense. Und je weicher du gehst, desto mehr Schwierigkeiten hast du. Jetzt ist es wichtig, Kilometer zu sammeln und da macht es die härtere Mischung etwas einfacher", gibt er zu Protokoll.

Renault R.S.17: Technik-Check im Schnelldurchlauf: (03:04 Min.)

Qualität wiegt mehr als Geld

Der Rückstand des ersten Testtages sorgte bei Hülkenberg unter dem Strich jedenfalls nicht für Kopfzerbrechen. Zu sehr in den Kinderschuhen steckt der neue Bolide zum jetzigen Zeitpunkt, als dass man bereits Bedenken haben müsse: "Das Ding ist, dass die Entwicklung fortlaufend ist. Wahrscheinlich werden alle Teams neue Dinge nach Melbourne bringen und die Entwicklungsrate wird so schnell sein. Vielleicht bist du hier in der zweiten Woche gut genug aber in Melbourne reicht das schon nicht mehr."

Daher kommt es zunächst darauf an, das Auto kennenzulernen und kontinuierlich für Verbesserungen zu sorgen. "Jetzt ist es natürlich wichtig, die Basis zu verstehen. Das Setup und wie es auf bestimmte Änderungen reagiert, und die Reifen. Du machst die grundlegenden Hausaufgaben. Natürlich arbeiten die Aerodynamiker und jeder in der Fabrik an zukünftigen Updates", so Hülkenberg, der gleichzeitig zu bedenken gibt, dass auch das Budget eines Werksteams keine Garantien gibt: "Es geht in der Formel 1 nicht nur um Geld. Es geht auch um die Qualität der Leute."