Nach Nico Rosbergs Rücktritt war die Enttäuschung groß: Viele hatten sich eine Neuauflage des Titelduells von 2016 gewünscht. Doch mit Valtteri Bottas an der Seite von Lewis Hamilton ergibt sich bei den Silberpfeilen eine ganz neue, unbekannte Ausgangslage, die auf ihre Weise einiges an Spannung mit sich bringt. Noch brisanter wird es allerdings bei Red Bull und Ferrari. In der vergangenen Saison schien die Gemütslage bei den Verfolgern ohne Aussicht auf den Titel relativ entspannt zu sein. Sollten die Teams 2017 jedoch mit WM-fähigem Material aufwarten, kann die Harmonie schnell kippen - denn Weltmeister kann nur einer werden.

Neue Beute für Hamilton?

Eigentlich schien bei Mercedes für 2017 alles klar zu sein - doch nach dem Rosberg-Rücktritt kam beim Weltmeister-Team alles anders. Die große Frage für die kommende Saison lautet: Kann Valtteri Bottas Platzhirsch Lewis Hamilton einen ähnlich harten Kampf wie Rosberg bieten? In den vergangenen vier Jahren musste Hamilton mehr als einmal gegen den Teamkollegen die Brechstange auspacken, um seinem Nummer-eins-Status im Team Nachdruck zu verleihen. Trotz zahlreichen Niederlagen gab Rosberg nie klein bei und holte sich schlussendlich den Weltmeistertitel vom Erzrivalen. Der tiefenentspannte Bottas wird für den Kampf gegen Hamilton ein ebenso dickes Fell brauchen.

Lewis Hamilton hat in zehn Jahren Formel 1 schon einige Teamkollegen erlebt - und bis jetzt ohne große Mühe jeden davon überlebt. Selbst im Debüt-Jahr 2007 wich Grünschnabel Hamilton vor Alphatier Fernando Alonso keinen Millimeter zurück. Neben Jenson Button und Nico Rosberg, gegen die sich der Brite unterm Strich relativ deutlich durchsetzte, hatte er auch schon einmal einen finnischen Teamkollegen. In den Saisons 2008 und 2009 fuhr Heikki Kovalainen an der Seite Hamiltons - und landete danach auf dem Abstellgleis der Königsklasse.

Experten hoffen auf Bottas und glauben an Hamilton

Dass Hamilton stets auf Angriff gepolt ist, macht er noch vor Bottas' Verpflichtung klar: "Bringt mir Sebastian, bringt Fernando oder wen auch immer sie haben wollen." Aufgrund der schlechten Erfahrungen an der Seite Alonsos warnte er seine Chefs jedoch auch davor, ihm einen zweiten Platzhirsch zur Seite zu stellen. Der Wunsch wurde ihm scheinbar erfüllt, denn mit Bottas als Teamkollege sind Kleinkriege innerhalb des Teams in der Theorie nicht absehbar. "Ich bin sicher, dass wir fair und sehr hart gegeneinander Rennen fahren werden und gleichzeitig das Team nach vorne bringen", so die Ankündigung Bottas'. Auf der anderen Seite wird Bottas von den Experten hoch geschätzt. Nicht wenige glauben, dass er Hamilton gefährlich werden kann. Eine Situation, mit der Hamilton erfahrungsgemäß nicht gut zurechtkommt.

"Der Bottas ist richtig gut! Der wird sofort klarkommen und auf Rosberg-Niveau fahren", so die Einschätzung von TV-Experte Christian Danner gegenüber Motorsport-Magazin.com. Der ehemalige Formel-1-Boss und seit kurzem Ehrenpräsident der Königsklasse, Bernie Ecclestone, glaubt nicht daran, dass irgendein Teamkollege Hamilton den Rang ablaufen kann: "Ich hoffe, dass ich komplett daneben liege und sein Teamkollege ihn schlagen kann oder ihm Feuer macht und ihn zu Fehlern verleitet. Ich persönlich glaube aber nicht, dass das passieren wird."

Kann sich Bottas mit gleichen Waffen gegen Hamilton behaupten?, Foto: Sutton
Kann sich Bottas mit gleichen Waffen gegen Hamilton behaupten?, Foto: Sutton

Bottas' erster Endgegner

Für Bottas wird Hamilton zweifelsohne der Endgegner seines ersten Karriere-Levels. Gegen die bisherigen Williams-Teamkollegen, Pastor Maldonado und Felipe Massa, konnte der 27-jährige Finne in seinen vier Jahren Königsklasse jeweils bestehen - doch keiner der beiden hatte das Niveau eines dreimaligen Weltmeisters wie Hamilton. Mit dem Abschneiden gegen den britischen Superstar steht und fällt die Formel-1-Karriere Bottas'. "Lewis wird eine tolle Referenz für mich sein. Jeder weiß, wie gut er ist", weiß auch der Neuzugang selbst.

Am Grundsatz, dass beide Piloten gleichberechtigt sind und auf der Rennstrecke ohne Eingreifen des Kommandostandes gegeneinander kämpfen dürfen, hat sich bei den Silberpfeilen auch mit der Fahrerkombination Hamilton/Bottas nichts geändert. "Beide Fahrer können volle Pulle frei fahren. Das hat sich bei Mercedes nie geändert und wird es auch in Zukunft nicht", so Aufsichtsratsvorsitzender Niki Lauda. Sollte Hamilton aus seinem neuen Stallgefährten allerdings eine Nummer zwei machen, hätte das für Mercedes zumindest einen Vorteil: Sämtliche Ressourcen hinsichtlich der Fahrerweltmeisterschaft könnten auf den Star-Piloten gebündelt werden.

Bottas vs. Massa 2014-2016

Valtteri BottasFelipe Massa
Punkte407308
Siege00
Podiumsplätze95
Top-52518
Ausfälle511
Rennduelle3127
Pole Positions01
Ø Startposition6,98,4
Qualifyingduelle4118

Red-Bull-Duo bisher ohne Druck

Ob für Mercedes diese Notwendigkeit bestehen wird, hängt vor allem von Red Bull ab. Bei den Österreichern lieferten Daniel Ricciardo und Neuzugang Max Verstappen 2016 im Kampf gegen Ferrari das perfekte Teamwork ab. Als einzige Nicht-Mercedes-Piloten durften sich beide jeweils einen Rennsieg auf die Fahnen schreiben und ließen die Scuderia auf der Strecke und in der Gesamtwertung weit hinter sich.

Im teaminternen Duell behielt Ricciardo zwar unter dem Strich die Oberhand, doch Verstappen war von Beginn an auf seinem Level. Den vorläufigen Höhepunkt des Stallduells erlebte das Team beim Grand Prix von Malaysia, als es zu einem beinharten Zweikampf kam, in dem sich Ricciardo gegen den Youngster behauptete - und dafür am Ende sogar mit dem Sieg belohnt wurde. Kollisionen oder böses Blut gab es, anders als bei den Silberpfeilen, nicht. Ohne ein WM-fähiges Auto war die Vormachtstellung innerhalb des Teams 2016 nur von sekundärer Bedeutung.

Verstappen sah sich als Neuankömmling noch in der Lernphase und fuhr. "Viele scheinen zu vergessen, dass ich noch am Beginn meiner Karriere stehe und noch gar nicht das Tempo habe, das ich gerne hätte", nahm er kurz nach seinem Barcelona-Triumph den Druck heraus. Ricciardo hingegen bekam den Verstappen-Effekt trotzdem zu spüren. "Bis Max gekommen ist, dachte ich, ich würde schon am Limit fahren. Aber da war immer noch ein bisschen mehr", so der Australier, der bisher nicht zuließ, dass der junge Überflieger ernsthaft an seinem Stuhl sägen konnte.

Zwischen Ricciardo und Verstappen könnte es 2017 noch enger werden, Foto: Sutton
Zwischen Ricciardo und Verstappen könnte es 2017 noch enger werden, Foto: Sutton

Droht den Bullen die Max-Eskalation?

Für 2017 rechnet Red Bull allerdings mit einer neuen Ausgangslage. "Aus der Tradition heraus: Wann immer es Regeländerungen gab, war Red Bull stark", kündigte Dr. Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com an. Im Klartext: Angriff auf den Weltmeistertitel. Daran, dass seine Fahrerpaarung das Zeug dazu hat, hat der Österreicher nicht die geringsten Zweifel: "Wir gehen davon aus, dass wir zwei absolute Top-Fahrer haben." Gegenüber den Rivalen sieht er seine Mannschaft nach Rosbergs Rücktritt klar im Vorteil. "Das schwächt sie. Ich gehe nicht davon aus, dass sie ihn adäquat ersetzen können", stichelte Marko noch vor der Bottas-Verpflichtung gegen Mercedes.

Sollte Red Bull tatsächlich die angekündigte Wunderwaffe auf die Beine stellen, ist jedoch fraglich, ob sich die beiden Stallgefährten in der kommenden Saison immer noch mit Samthandschuhen anfassen werden. Verstappens Drang nach mehr wird Ricciardo auch weiterhin keine Pause zum Durchatmen lassen und der Australier stellte schon letztes Jahr klar: "Die einzigen Dinge, vor denen ich Angst habe, sind Haie und Schlangen." Wenn es um das ultimative Ziel - den Gewinn der Weltmeisterschaft - geht, könnten Ricciardo und Verstappen zu einem Pulverfass werden, das der Chefetage von Red Bull bald um die Ohren fliegt. Ein Hamilton-Rosberg-Szenario liegt in der Luft.

Ricciardo vs. Verstappen 2016

Daniel RicciardoMax Verstappen
Punkte256204
Siege11
Podiumsplätze75
Top-51610
Ausfälle03
Rennduelle107
Pole Positions10
Ø Startposition4,44,9
Qualifyingduelle116

'Last Man Standing' bei Ferrari

Als vermeintlicher Titelanwärter musste Ferrari letztes Jahr mit Platz drei in der Konstrukteurs-WM eine herbe Schlappe hinnehmen. Dass in Sachen Personal nach einer derart ernüchternden Vorstellung für 2017 kein Generalüberholung durchgeführt wurde, ist für den italienischen Rennstall fast schon eine Überraschung. Den Verantwortlichen aus der vergangenen Saison dürfte allerdings klar sein, dass nach den Niederlagen vom Vorjahr nun Erfolge erwartet werden. "Das war vielleicht mein Fehler, dass ich zu spät ins Team eingriff. Aber ich tat es aus Respekt nicht und ließ sie arbeiten", so Konzernpräsident Sergio Marchionne angesichts der mittelprächtigen Saison 2016. Das klingt nicht mehr nach uneingeschränktem Vertrauen gegenüber Teamchef Maurizio Arrivabene und Co.

Während Ingenieure und Teamführung die Basis für den Erfolg liefern sollen, sind es auf der Rennstrecke, wie schon in den vergangenen beiden Jahren, Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen, welche die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. Vettel geht mit anderen Vorzeichen als vor einem Jahr in die neue Saison - und das nicht nur aufgrund der Erfolglosigkeit in 2016. Nach seinem erfolgreichen Einstand bei Ferrari, hatte er 2015 ziemlich schnell den Nummer-eins-Status im Team inne. 2016 schaffte er es jedoch nicht, sich erneut deutlich gegen Räikkönen durchzusetzen. Ganz im Gegenteil: Das Qualifying-Duell entschied der Finne mit 11:10 sogar für sich. Dementsprechend offen ist, wer 2017 bei Ferrari das Kommando haben wird.

Vettel und Räikkönen werden ihrem Arbeitgeber wohl auch 2017 keine Kopfschmerzen bereiten, Foto: Sutton
Vettel und Räikkönen werden ihrem Arbeitgeber wohl auch 2017 keine Kopfschmerzen bereiten, Foto: Sutton

Alles cool zwischen Seb und dem Iceman?

Dass es zwischen Vettel und Räikkönen zum Supergau kommen könnte, scheint unwahrscheinlich. Beide pflegen bereits seit vielen Jahren ein kameradschaftliches Verhältnis und beide haben im Gegensatz zu den Red-Bull-Boys bereits WM-Titel auf dem Konto. Unter diesen Voraussetzungen dürfte ein anderes Klima herrschen, als bei zwei Youngstern, die noch nie das große Ziel erreicht haben. Sollte der Ferrari 2017 für Siege gut sein, wäre es nicht verwunderlich, wenn Vettel wieder an seine Form aus 2015 anknüpft. In Sachen Speed hatte es ihm auch 2016 nicht wirklich an etwas gemangelt - lediglich die Motivation litt zuweilen unter der anhaltenden Chancenlosigkeit mit dem SF16-H. Dies äußerte sich vor allem in verbaler Frustration. "Er muss mit mehr Selbstbeherrschung fahren und ruhiger und weniger aufgeregt werden", wünscht sich Marchionne etwas mehr Souveränität von seinem Star-Piloten.

Die Frage der Gelassenheit stellt ich bei Räikkönen sicherlich nicht. Dafür aber die der Motivation - wie jedes Jahr aufs Neue. Wenn der Iceman weiterhin Lust auf die Formel 1 verspürt, wird er auch 2017 über weite Strecken mit dem Teamkollegen mithalten und hin und wieder eine kleine Überraschung landen können. Wenn er allerdings nicht mit dem neuen Boliden warm wird, könnte die Königsklasse für ihn schnell den Reiz verlieren, wie es in der Vergangenheit bereits mehrfach der Fall war. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung Räikkönens Kompass in der kommenden Saison ausschlägt.

Vettel vs. Räikkönen 2016

Sebastian VettelKimi Räikkönen
Punkte212186
Siege00
Podiumsplätze74
Top-51511
Ausfälle34
Rennduelle147
Pole Positions00
Ø Startposition5,36,0
Qualifyingduelle1011