Freundlich - wie immer - begrüßt Esteban Ocon Motorsport-Magazin.com zum Exklusiv-Interview. Es ist das erste Interview, das wir mit ihm als Formel-1-Stammfahrer führen. Doch der Franzose hat seine Umgangsformen mit der Beförderung nicht abgelegt. Außerhalb des Cockpits mutet der 1,85 Meter große Rennfahrer mit seinen staksigen Bewegungen fast wie Thomas Müller an. Nur, dass Ocon eben keine Tore schießt, sondern verdammt schnell Auto fährt.

Ocon amüsierte sich über das Cover der Jubiläumsausgabe, Foto: Motorsport-Magazin.com
Ocon amüsierte sich über das Cover der Jubiläumsausgabe, Foto: Motorsport-Magazin.com

Spaß kann man mit Ocon ebenfalls haben. Seine ersten Worte nach der Begrüßung: 'Was ist das denn?' Ocon deutet mit der Hand auf Roscoe, Lewis Hamiltons Hund, der auf der Jubiläumsausgabe des Motorsport-Magazins zu sehen ist. Wir klären ihn auf: 50. Ausgabe, nur Highlights. Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Kimi Räikkönen, Valentino Rossi - und eben Roscoe. Ocon versteht den kleinen Spaß. Ein Hund von Ocon wird so schnell kein Cover zieren. Er hatte zwar einen, der lebt jetzt aber bei seinen Eltern. Der Franzose ist sich sicher: "So schnell werde ich keinen mehr haben." Und selbst wenn sich Ocon wieder einen Vierbeiner zulegen würde, er würde ihn wohl kaum mit Sonnenbrille auf dem Skateboard durch LA fahren lassen. Dafür ist der 20-Jährige viel zu geerdet.

Dabei unterscheiden sich die Elternhäuser von Ocon und Hamilton gar nicht so sehr. Auch der Franzose musste in seiner Kindheit lernen, dass Geld nicht selbstverständlich ist. "Mein Vater ist ein Mechaniker. Er hat mein Go-Kart gebaut. Wir haben das Go-Kart in einem Van herumgefahren und haben für Jahre in einem Wohnwagen gelebt", erinnert sich Esteban Ocon an seine Anfänge im Motorsport zurück. Ungefähr 9.000 Euro haben die Eltern in die Karriere ihres Sohnes investiert. Geradezu lächerlich wenig, verglichen mit den Summen, die bereits für eine Saison im internationalen Kartsport nötig sind. Unter 100.000 Euro ist es schwer, erfolgreich mitzufahren.

Ocon weiß die Bemühungen seiner Eltern zu schätzen: "9.000 Euro waren schon ein großer Aufwand." Ein weiterer Aufstieg im Motorsport wäre ohne Unterstützung unmöglich gewesen. Glücklicherweise wurde die Gravity Academy, das Nachwuchsprogramm von Genii Capital und Renault, auf Ocon aufmerksam. "Wir hatten Glück, dass die Academy gekommen ist. Wir waren am Ende, wir konnten uns keine Saison im internationalen Go-Kart leisten." Für den jungen Franzosen ein Glücksfall: vom zusammengeschusterten Kart mit abgefahrenen Reifen zum Seriensieger.

Meister der goldenen Generation

Ocon wurde 2014 Meister der Formel 3 Euroserie, Foto: FIA F3
Ocon wurde 2014 Meister der Formel 3 Euroserie, Foto: FIA F3

Dank der Unterstützung von Gravity gelang Ocon auch der Aufstieg in den Formelsport. Über kleinere Formel Renault Meisterschaften kam er 2014 in die Formel 3 Euroserie. Sein Durchbruch. Ocon gewann als Rookie die Meisterschaft. Der Jahrgang 2014 der Serie gilt als goldene Generation: Vizemeister Tom Blomqvist fährt in der DTM, Max Verstappen, der Dritte der Meisterschaft, ist der Shootingstar der Formel 1. Lucas Auer, nicht nur Neffe von Gerhard Berger, sondern Vierter der Meisterschaft, fuhr 2016 ebenfalls in der DTM. Antonio Giovinazzi und Antonio Fuoco sorgten in der GP2 beziehungsweise GP3 für Furore, Jordan King ist außerdem Ersatzfahrer bei Manor. Felix Rosenqvist durfte wegen Ocons Beförderung 2016 ebenfalls DTM fahren. Selten waren die ersten Acht einer Nachwuchsklasse auch zwei Jahre später so erfolgreich in Top-Serien unterwegs. Esteban Ocon hat sich 2014 zum Stärksten der Starken gekürt.

2015 knüpfte er nahtlos daran an. Als Rookie gewann er gleich sein erstes Rennen in der GP3. Kurioserweise war es das einzige Rennen, das er in der Saison gewann. "Ich denke darüber nach, bevor ich ein Risiko eingehe. Ich gehe Risiko nicht für nichts ein. Wenn es eine großartige Möglichkeit ist, dann gehe ich das Risiko ein. Wenn nicht, dann bin ich geduldig und warte, bis die Möglichkeit besser ist", erklärt er sein Erfolgsgeheimnis. "Ich habe gelernt, dass es egal ist, ob du zwanzig Rennen gewinnst oder nicht. Am Ende zählt es, ob du die Meisterschaft gewonnen hast. Weil ich nicht gewinnen konnte, habe ich die Punkte genommen. Und am Ende erinnert sich niemand daran, wie viele Rennen ich in der GP3-Saison gewonnen habe. Ich habe den Titel geholt." Auch in der Formel 3 holte Ocon zwei Siege weniger als der Drittplatzierte Verstappen - aber eben den Titel.

Der Titel brachte ihn nicht nur sportlich weiter: Mercedes wurde auf Ocon aufmerksam und unterstützt ihn seitdem. Von der GP3 ging es deshalb in die DTM. Gleichzeitig leiht Renault Ocon in diesem Jahr als Test- und Ersatzfahrer in der Formel 1 aus. Der Ausflug in den Tourenwagensport war wenig erfolgreich. Ocon holte nur zwei Punkte in zehn Rennen. Noch während der Saison tat sich dann die Chance in der Formel 1 auf. "Es war gut, so schnell in die Formel 1 aufzusteigen, um den Ruf nicht zu beschädigen", gibt Ocon zu. "Wenn man die Ergebnisse nicht bringt, gerät man etwas in Vergessenheit. Ich hatte aber die Chance, mit Renault hier in der Formel 1 in Trainings zu fahren. Ich habe zuvor zwei wichtige Meisterschaften gewonnen. Das hat sich letztendlich für mich ausgezahlt. Und die Leute vergessen einen nicht vom einen auf den anderen Tag."

Ocon bestritt zehn Rennen in der DTM, ehe er in die F1 aufstieg, Foto: Simninja Photodesignagentur
Ocon bestritt zehn Rennen in der DTM, ehe er in die F1 aufstieg, Foto: Simninja Photodesignagentur

Dabei sieht Ocon seinen Ausflug in die DTM als gar nicht so schlecht an: "Ich war sofort sehr schnell. Wenn man sich all die ersten Jahre der anderen Fahrer dort ansieht: Sie hatten alle Probleme. Es war nicht so schlecht und das Team war zufrieden." In der Tat schlug sich Ocon bei seinem ersten Auftritt in Hockenheim beachtlich: Startplatz zwölf im ersten Rennen, Startplatz sieben am Sonntag. Ausfälle verhinderten gute Resultate. "Das haben die Chefs auch gesehen und deshalb bin ich jetzt hier."

Weil Rio Haryanto seinen finanziellen Verpflichtungen bei Manor nicht nachkommen konnte, wurde nach der Sommerpause plötzlich ein Cockpit in der Formel 1 frei. Mercedes packte die Chance beim Schopfe und setzte Ocon neben den anderen Junior Pascal Wehrlein. Auch der musste durch die harte Schule DTM gehen und tat sich zu Beginn schwer. In seinem dritten Jahr holte er allerdings die Meisterschaft. 2016 duellierten sich die beiden Junioren in der Formel 1 beim gleichen Team. "Ich habe weniger Erfahrung als er", verteidigt sich Ocon sofort.

Der Neuling befand sich in einer komfortablen Situation: Verliert er das teaminterne Duell, ist das leicht mit dem Erfahrungsrückstand zu erklären. Gewinnt er gegen Wehrlein, sieht er umso besser aus. Doch nach einer gewissen Zeit darf diese 'Ausrede' nicht mehr gelten. "Wann das ist, weiß ich nicht. Je mehr ich fahre, desto besser fühle ich mich im Auto. Man kann nicht sagen, dass drei Trainingssitzungen genug sind, um sich daran zu gewöhnen. Sie hatten vor der Saison eine ganze Woche Testfahren. Und zwölf Grands Prix. Ich liege also bei der Erfahrung weit zurück. Je mehr ich fahre, desto besser werde ich. Man darf nicht vergessen, dass eine Testwoche unfassbar wertvoll ist. Man kann Dinge ausprobieren, die man hier nicht ausprobieren kann. Wenn man etwas falsch macht, dann beeinflusst das immer irgendetwas am Rennwochenende. Man muss konstant fahren, um Daten zu liefern und gleichzeitig dabei an seinem Fahrstil arbeiten. Wenn man beim Testen mal abfliegt, ist es nicht so tragisch, es zeigt, dass man am Limit ist."

Auch Ocon hat mit den Besonderheiten der Pirelli-Reifen zu kämpfen. Schon Wehrlein klagte bei seinem Einstieg über die Reifen-Wissenschaft. Speziell für DTM-Piloten ist es schwierig, sich an die sensiblen Pirelli-Pneus zu gewöhnen. In der DTM liefert Hankook einen Reifen, der gerne mal als zu konstant kritisiert wird. Das genaue Gegenteil der Formel-1-Pneus.

Referenz Max Verstappen

Ocons Blick geht aber gar nicht so sehr Richtung Teamduell. "Meine Referenz ist Max Verstappen", sagt er selbstbewusst. "Ich bin schon gegen ihn Rennen gefahren und weiß, was er leisten kann. Ich will das genauso gut wie er machen oder noch besser." Respekt vor den Leistungen von Verstappen hat Ocon, mehr aber nicht: "Am Ende ist er auch nur ein Typ mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf." Seinen kometenhaften Aufstieg will er trotzdem nachmachen: "Er ist von einem guten, aber nicht siegfähigen Team, sofort zu einem Top-Team aufgestiegen. Ich kann das gleiche schaffen."

Allerdings musste sich Ocon 2016 eher mit den hinteren Startreihen anfreunden. Vom Prädikat 'gut' war der Manor noch ein Stück weit entfernt. Für viele Piloten, die in Nachwuchsserien einen Durchmarsch hingelegt haben, ist der Einstieg in die Formel 1 bei einem Hinterbänkler-Team ersteinmal ein Kulturschock. "Das ist nicht einfach, aber du hast eine andere Herangehensweise. Wenn ein Fahrer in die Formel 1 kommt und sofort ein siegfähiges Auto hat, ist das verrückt. Aber so ist es nicht in der Formel 1. Ich hatte es auch schon ein bisschen in der DTM. Ich glaube nicht, dass es dort möglich war, Rennen zu gewinnen oder die Pole Position zu holen. Ich bin am Ende des Tages ein professioneller Rennfahrer und ich muss den Job machen, der von mir verlangt wird. Ich habe das in der DTM ganz gut gelernt und das gleiche mache ich hier jetzt auch."

Sitzt Ocon irgendwann als Stammfahrer im Silberpfeil?, Foto: Sutton
Sitzt Ocon irgendwann als Stammfahrer im Silberpfeil?, Foto: Sutton

Doch die 'guten' oder 'sehr guten' Teams sind für Ocon in Reichweite. Als Mercedes-Junior hat ihn Motorsportchef Toto Wolff selbstverständlich auf dem Radar. Im November 2016 unterschrieb Ocon einen langfristigen Vertrag bei Force India und setzte sich als Nachfolger von Nico Hülkenberg gegen Wehrlein durch.

Ocon war als Test- und Ersatzfahrer des Renault Werksteams auch für ein Stammcockpit bei den Franzosen gehandelt worden. Dieses erhielt jedoch Hülkenberg, obwohl Ocon bei seinen Freitagseinsätzen überzeugen konnte. "Auf der einen Seite konnte ich mich hervorragend darauf vorbereiten, ins Renncockpit zu steigen. Und man fährt im Training normalerweise mehr oder weniger das gleiche Programm wie das andere Auto. Wenn man sich mein letztes Training ansieht, dann hatte ich den gleichen Speed wie Kevin [Magnussen]."

3 Fakten über...

...Esteban Ocon
1. 695 Runden im Formel-1-Boliden vor GP-Debüt
2. Mercedes, Renault, Manor: 3 Formel 1 Autos in einem Jahr gefahren
3. Meister der europäischen Formel 3 2014, Meister der GP3 2015

...Pascal Wehrlein
1. 952 Runden im Formel-1-Boliden vor GP-Debüt
2. 2007 Runden Erfahrungsvorsprung im Manor
3. Meister der DTM 2015, Vizemeister der Formel 3 Euroserie 2012

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