Wie sehr Lewis Hamilton seinen vierten Weltmeistertitel wollte, konnte die gesamte Welt in den letzten Runden des Abu Dhabi GP sehen: Hamilton fuhr absichtlich langsamer um Nico Rosberg aufzuhalten, damit der in Bedrängnis von Sebastian Vettel und Max Verstappen kommen sollte. Zur Erinnerung: Hamilton hätte ein eigener Sieg nicht zum Titelgewinn gereicht, denn Rosberg hätte in diesem Fall nicht auf dem Podest stehen dürfen.

Hamilton sorgte mit seiner Fahrweise für zahlreiche Diskussionen. War das fair? Hätte er nicht einfach sein Rennen durchziehen, mit 30 Sekunden Vorsprung gewinnen sollen, um somit der Welt zu zeigen, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass er der schnellste Mann des Planeten ist? Sportliche Fairness mal beiseite - die meisten Rennfahrer hatten übrigens größtes Verständnis für Hamilton -, die Aktion wirft nun größere Probleme auf, als sie schon am Sonntag verursacht hat.

Wolff: Anarchie funktioniert nicht

Der ein oder andere mag sich über die harten Worte von Mercedes-Benz Motorsportchef Toto Wolff gewundert haben. "Für 1.500 Mitarbeiter des Teams und 300.000 bei Daimler sind das wichtige Werte, die respektiert werden müssen. Diese Strukturen öffentlich zu unterwandern, bedeutet, deine eigenen Interessen über die des Teams zu stellen", kritisierte Wolff. "Und Anarchie funktioniert in keinem Team und in keiner Firma."

Der Hamilton-Train: Die ersten vier innerhalb weniger Sekunden, Foto: Sutton
Der Hamilton-Train: Die ersten vier innerhalb weniger Sekunden, Foto: Sutton

Man könnte sagen, letztlich ist alles gut gegangen, Mercedes müsse sich nicht weiter darum kümmern. Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner erklärt aber: "Lewis hat einen Präzedenzfall des Ungehorsams geschaffen, mit dem du das Chaos in einem so engen Kampf, wie dem zwischen Nico und Lewis, für das nächste Jahr vorprogrammierst."

Das Problem ist, dass Hamilton die Anweisung, schneller zu fahren, mehrmals erhielt. In letzter Instanz sogar von Paddy Lowe. "Wenn Paddy die Anweisung gibt, ist das die höchste Eskalationsstufe, die wir in unseren Verhaltensregeln festgelegt haben", erklärte Wolff nach dem Rennen.

Mercedes hat genaue Regelungen für fast alle erdenklichen Fälle aufgestellt, die berühmten 'Rules of Engagement'. Daran hat nicht nur die Teamleitung mitgearbeitet, sondern auch die beiden Fahrer. Dieser Kodex schreibt fest, wie sich Hamilton und Rosberg auf der Strecke verhalten müssen und in welchen Fällen das Team wie eingreift. Ein einfach Beispiel: Der besserplatzierte Fahrer darf immer als Erster zum Stopp kommen.

Hamilton Wiederholungstäter

Lewis Hamilton hat ganz klar gezeigt, dass er - selbst bei der höchsten Eskalationsstufe - sein eigenes Interesse über das des Teams stellt. Es war nicht das erste Mal, dass sich Hamilton den Teamanweisungen widersetzt hat, aber das heftigste Beispiel. Rosberg hingegen erwies sich schon mehrmals als Teamplayer, zuletzt in Monaco, als er Hamilton sogar vorbeiließ und somit dessen Sieg ermöglichte.

Rosberg ließ Hamilton in Monaco passieren, Foto: Sutton
Rosberg ließ Hamilton in Monaco passieren, Foto: Sutton

Wird Rosberg das auch in Zukunft noch machen? Das ist die große Frage. Rosberg hat sich schon in dieser Saison mehr zum Bad Boy auf der Strecke entwickelt - das hat ihn zum Champion gemacht. Solange sich zumindest einer der Piloten an die Regeln hält, geht es glimpflich ab. Warum soll sich aber Rosberg daran halten, wenn Hamilton offensichtlich nicht einmal bei der höchsten Eskalationsstufe reagiert?

Mercedes läuft Gefahr, dass die Rivalität aus dem Ruder läuft. Deshalb denkt die Teamführung auch offen über Konsequenzen für Lewis Hamilton nach. Doch ob er die nach der bitter verlorenen Weltmeisterschaft einfach so hinnehmen würde? Mercedes ist in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite soll Hamilton nicht verärgert werden, auf der anderen Seite muss es Konsequenzen geben, um ein Ausarten zu verhindern.

Mercedes musste in Abu Dhabi eingreifen

Hätte Mercedes das einfach verhindern können, indem man in Abu Dhabi nicht versucht hätte, einzugreifen? Schließlich wollte man sich ohnehin so wenig wie möglich in den Titelkampf einmischen. Das Problem sind die 'Rules of Engagement'. Hier hat Mercedes festgelegt, dass der Rennsieg immer oberste Priorität hat, auch wenn dadurch der Platz des anderen Fahrers gefährdet wird. Deshalb sollte Rosberg Hamilton auch in Monaco vorbeilassen.

Hätte Mercedes also im Saisonfinale nicht versucht, Hamilton zum schneller fahren zu animieren, hätte man sich nicht an die eigenen Regeln gehalten. Fast philosophisch wird es, wenn man fragt: Müssen die Regeln im 21. Rennen angepasst werden? Man würde meinen ja. Aber in Rennen 21 werden genauso viele Punkte vergeben wie in Rennen 3 oder 15. Somit wäre es unfair, in einem Rennen andere Regeln gelten zu lassen. So sieht es auch das Mercedes-Regelwerk. Für die Fans und die Show ist das natürlich schade.