Ferrari und die Rennstrategie. Unter Michael Schumachers Superhirn Ross Brawn einst das Steckencavallino der Scuderia. Seit dessen Abschied jedoch in unschöner Regelmäßigkeit ein Trauerspiel. Gerade in der Saison 2016 ging es am Ferrari-Kommandostand des öfteren drunter und drüber. Dabei sind es in der Mehrzahl der Fälle nicht einmal die katastrophalen Fehlentscheidungen, Anfängerfehler, mit denen sich die Scuderia praktisch selbst besiegt.

Häufiger agiert Ferrari schlichtweg völlig uninspiriert, scheut das Risiko wie Dracula das Weihwasser. Während Red Bull bereits im Qualifying teilweise mit den Reifenmischungen und damit den Startpneus spielt, im Rennen die Strategien von Max Verstappen und Daniel Ricciardo splittet, agiert Ferrari fast ausschließlich passiv. Reagieren statt Agieren. So auch der Fall beim Formel-1-Saisonfinale 2016 in Abu Dhabi - zumindest auf einer Seite der Garage.

Ferrari: Strategie-Bock für Räikkönen, -Finesse für Vettel

Denn während Kimi Räikkönen nach einem starken Start - es ging vor auf Rang drei, vorbei an Ricciardo - im Lauf des Grand Prix durch die übliche Standard-Zwei-Stopp-Strategie Ferraris einem Undercut Ricciardos sowie einer Ein-Stopp-Strategie Verstappens zum Opfer fiel, musste er obendrein noch Teamkollege Sebastian Vettel, gegen den der Iceman am Vortag noch das Qualifying-Duell 2016 mit 11:10 final für sich entschieden hatte, passieren lassen, da die Scuderia bei Vettel plötzlich ungewohnte Strategie-Finesse an den Tag legte.

Kimi Räikkönen katapultierte sich am Start auf P3 nach vorne, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen katapultierte sich am Start auf P3 nach vorne, Foto: Sutton

Aber der Reihe nach. Was war genau passiert? Nachdem sich Verstappen in Kurve eins per Dreher zunächst ans Ende des Feldes verabschiedet hatte, verfolgte das Trio Räikkönen/Ricciardo/Vettel in dieser Reihenfolge die Mercedes-WM-Duellanten. Die erste Boxenstoppwelle verlief noch unspektakulär. Räikkönen wechselte in Runde sieben als erster auf Soft, Vettel folgte eine, Ricciardo zwei Runden später. Ferrari war somit erfolgreich einem Undercut gegen Räikkönen zuvorgekommen, aber mit einem eigenen für Vettel gegen Ricciardo gescheitert. An deren Reihenfolge änderte sich somit nichts. Einzig den bis dahin ohne Wechsel fahrenden Verstappen spülte es an dem Trio vorbei.

Ferrari vs. Red Bull: Die Strategien im Abu Dhabi GP:

VerstappenRicciardo
Räikkönen
Vettel
1. StoppR21 - SoftR9 - SoftR7 - SoftR8 - Soft
2. Stopp-R24 - SoftR25 - SoftR37 - Supersoft

Durch seinen ersten und einzigen Wechsel in Umlauf 21 - ebenfalls auf Soft - fiel Verstappen nur kurzzeitig zurück. Schon drei Runden später kam Ricciardo zum zweiten Mal - und diesmal hatte Ferrari den Undercut gegen Räikkönen verschwitzt. Als der Finne eine Runde später wie Ricciardo zum zweiten Mal auf Soft wechselte, war der Zeitverlust bereits zu groß, Räikkönen also ein leichtes Opfer und der Australier vorbei.

Vettels Supersoft-Schlusssting erwies sich als goldrichtig, Foto: Sutton
Vettels Supersoft-Schlusssting erwies sich als goldrichtig, Foto: Sutton

Für Vettel - zuvor Letzter in dieser Kampfgruppe - wäre bei einen sofortigen Stopp nun nichts mehr drin gewesen, also hielt Ferrari den Deutschen auf dem Kurs, ließ Vettel extrem lang - bis Umlauf 37 - draußen. Das bescherte ihm zwischenzeitlich sogar kurzzeitig die Führung, also viel Clean Air für gute Zeiten. Der Clou: Weil beim Stopp schließlich nur noch 18 Runden zu fahren waren, versuchte Ferrari einen Supersoft-Schlussstint. Mit überragendem Erfolg: In Runde 40 winkte Räikkönen Vettel vorbei, sodass der Deutsche die Bullen-Jagd eröffnete. In Runde 45 war Ricciardo, in Runde 50 Verstappen fällig. Weil vorne dann auch noch Lewis Hamilton Nico Rosberg einzubremsen versuchte, erschien kurzzeitig sogar ein Sieg nicht gänzlich ausgeschlossen. Vettel überquerte die Ziellinie als Dritter mit keiner Sekunde Rückstand auf Sieger Hamilton. Räikkönen indes musste sich mit seiner Magerkost-Strategie mit Rang sechs begnügen.

Entsprechend groß die Stimmungs-Kluft im Ferrari-Lager. Vettel happy, Kimi hadernd. So bewerten Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen ihre Strategien beim Abu Dhabi GP:

Immerhin fehlte bei Kimi Räikkönen diesmal keine Radmutter, Foto: Sutton
Immerhin fehlte bei Kimi Räikkönen diesmal keine Radmutter, Foto: Sutton

Das sagt Kimi Räikkönen zur Ferrari-Strategie in Abu Dhabi:

Kimi Räikkönen: "Wir haben nicht wirklich daran gedacht (dieselbe Strategie wie Vettel zu fahren, Anm. d. Red.). Natürlich war es die bessere Wahl. Wir hätten länger draußen bleiben sollen. Aber wir wollten die beiden Autos in unterschiedliche Positionen bringen. Dabei ist es immer etwas einfacher, wenn du das Auto dahinter bist. Wenn du keine Chance hast, an der Box vorbei zu kommen, dann probierst du etwas ganz anderes, was vielleicht gut funktionieren könnte. Im Rückblick ist es immer leicht zu sagen, wir hätten dasselbe probieren sollen. Aber das passiert einfach manchmal. Es ist nicht ideal, ja. Aber es ändert nicht wirklich die Welt in einer Saison wie wir sie hatten. Als Seb mir dann nahegekommen ist, wusste ich, dass er auf einer anderen Strategie war und ich habe ich vorbeigelassen.

Insgesamt kein einfaches Rennen für mich. Das Auto war okay, aber wir haben damit gekämpft, die rechte Front am Leben zu halten. Wir haben uns fast nur damit befasst. Nach dem Start war ich in einer guten Position, aber dann hatte ich Probleme mit dem ersten Satz Softs. Der letzte Satz war dann viel besser am Anfang, aber am Ende ist auch der eingegangen und ich musste langsamer machen."

Sebastian Vettel fehlte keine Sekunde auf Sieger Lewis Hamilton, Foto: Sutton
Sebastian Vettel fehlte keine Sekunde auf Sieger Lewis Hamilton, Foto: Sutton

Das sagt Sebastian Vettel zur Ferrari-Strategie in Abu Dhabi:

Sebastian Vettel: "Mein Start war sehr gut, aber ich konnte nirgendwo hin. Dann hatte ich leichten Hals, weil ich nicht voran kam. Ich wusste, ich kann ein bisschen schneller. Aber ich hing hinter Kimi und Daniel fest. Als Max dann reingefahren ist war klar, dass er auf einen Stopp geht - mit ich glaube da noch 36 zu fahrenden Runden. Vier Runden später hatte ich dann freie Bahn. Da war uns klar, dass, sobald wir reinfahren, die anderen nachziehen und vor uns bleiben. Das hat ja auch der Daniel mit dem Kimi probiert, um den Platz gutzumachen.

Deswegen war dann die einzige Möglichkeit, länger draußen zu bleiben, um dann einfach mit dem Reifen einen Vorteil zu haben und das hat gut geklappt, das war der Schlüssel. Auch die Runden auf den gebrauchten Reifen vor dem zweiten Stopp waren sehr gut. Der Schlüssel war, da nicht viel Zeit zu verlieren und dann mit frischen Reifen an den Red Bull vorbei zu kommen. Es lag nicht daran, dass Lewis das Feld langsam gemacht hat. Zu dem Zeitpunkt, als ich Max überholt habe, war er an den beiden noch nicht nah dran. Ich habe diese letzten Runden genossen und die Autos, die ich überholt habe.

Dann habe ich beide Mercedes vor mir gesehen und für einen Moment gehofft, das Rennen zu gewinnen. Ihre Pace war nicht beeindruckend. Lewis muss ein Problem gehabt haben ... (lacht). Sonst gibts es keinen Grund, warum er so langsam war. Ich habe versucht, an Nico vorbei zu kommen, aber er hat das clever gemacht und sich gut verteidigt, ist direkt nach links gezogen, hat die Tür zugemacht. Ich habe es versucht, aber am Ende hatte er DRS, Windschatten von Lewis und meine Reifen sind langsam weggegangen. Ich konnte auch nicht zu viel Risiko gehen, das wäre nicht korrekt gewesen. Ich wollte nichts Dummes riskieren - für ihn und mich."