Max Verstappen wurde in Brasilien einmal mehr zum Mann des Rennens gewählt. Der Red-Bull-Teenager legte in der Schlussphase eine eindrucksvolle Aufholjagd hin und stürmte vom hinteren Teil des Feldes auf das Podium. Dass es zu dieser Aufholjagd überhaupt kam, war allerdings einer ziemlich verkorksten Strategie von Red Bull geschuldet, denn Verstappen und sein Teamkollege Daniel Ricciardo wechselten jeweils fünf Mal die Reifen, wobei nicht jeder dieser Wechsel notwendig war. Motorsport-Magazin.com zeichnet das Rennen aus Sicht der Bullen nach.

Strategien im Brasilien GP:

VerstappenRicciardo
1. Stopp
Streckenstatus
R13 / Wet neu - Intermediate neu
Grün
R13 / Wet neu - Intermediate neu
Safety Car
2. Stopp
Streckenstatus
R20 / Intermediate neu - Wet neu
Rot
R20 / Intermediate neu - Wet neu
Rot
3. Stopp
Streckenstatus
R28 / Wet neu - Wet gebraucht
Rot
R28 / Wet neu - Wet gebraucht
Rot
4. Stopp
Streckenstatus
R43 / Wet gebraucht - Intermediate neu
Grün
R40 / Wet gebraucht - Intermediate neu
Grün
5. Stopp
Streckenstatus
R54 / Intermediate neu - Wet gebraucht
Safety Car
R52 / Intermediate neu - Wet gebraucht
Safety Car

Einmal Intermediates und zurück

Verstappen nahm den Grand Prix von der vierten Startposition auf, Ricciardo ging zwei Plätze dahinter ins Rennen. Nach sieben Runden hinter dem Safety Car wurde das Rennen auf nasser Strecke endlich freigegeben, und Verstappen kassierte im Senna-S sogleich Kimi Räikkönen, was ihn auf den dritten Platz brachte. Auch Ricciardo verbesserte sich kurz darauf um einen Rang, weil der vor ihm klassierte Sebastian Vettel stoppte.

Verstappen kam gerade noch rechtzeitig an die Box, Foto: Sutton
Verstappen kam gerade noch rechtzeitig an die Box, Foto: Sutton

In Runde 13 wurde es zum ersten Mal an diesem Nachmittag so richtig turbulent. Sauber-Pilot Marcus Ericsson zerlegte sein Auto in der letzten Kurve und parkte den havarierten Wagen ausgerechnet in der Boxeneinfahrt. Während Verstappen die Boxen gerade noch legal anlaufen konnte, war Ricciardo, der knapp hinter ihm fuhr, ein paar Sekunden zu spät dran und enterte die Boxengasse, als diese bereits geschlossen und das Safety Car auf der Strecke war, wofür er mit einer Fünf-Sekunden-Strafe belegt wurde.

Beide Piloten wechselten auf Intermediates, weil man bei Red Bull die Strecke im Abtrocknen begriffen sah. Verstappen verlor durch seinen Stopp nur eine Position und fiel wieder hinter Räikkönen auf Platz vier zurück, Ricciardo kam hingegen lediglich als Neunter wieder zurück auf die Piste. In der 19. Runde erfolgte der Restart. Während es Verstappen unter größer Anstrengung gelang, seinen Wagen mit Intermediates auf der Strecke zu halten, war Räikkönen dieses Glück nicht hold und er crashte kapital auf der Start- und Zielgeraden.

Räikkönens Crash führte zur ersten Rennunterbrechung, Foto: Sutton
Räikkönens Crash führte zur ersten Rennunterbrechung, Foto: Sutton

Daraufhin wurde das Rennen zum ersten Mal an diesem Nachmittag per roter Flagge unterbrochen. Wie von der Rennleitung angeordnet, wechselten Verstappen und Ricciardo während der Pause von Intermediates zurück auf Regenreifen, sodass der optimistische erste Reifenwechsel ohne dramatische Folgen wieder korrigiert werden konnte. Weil Räikkönen aus dem Rennen war, rückte Verstappen auf Position drei vor, und Ricciardo war Achter.

Verstappen kassiert Rosberg

Nach einer Pause von rund 35 Minuten wurde das Rennen hinter dem Safety Car wieder aufgenommen, aber bereits acht Umläufe später, in Runde 28, aufgrund vermeintlich zu starken Regens abermals unterbrochen. Erneut nutzten die Teams diese Gelegenheit, um die Reifen zu wechseln. Sowohl Verstappen als auch Ricciardo wurde mit einem weiteren Satz Regenreifen ausgestattet.

Verstappen ging an Rosberg vorbei, Foto: Sutton
Verstappen ging an Rosberg vorbei, Foto: Sutton

Nach einer weiteren Pause von 27 Minuten entschied sich die Rennleitung dazu, den Grand Prix wieder aufzunehmen. Zunächst wurden drei Runden hinter dem Safety Car gefahren, dann gab es grünes Licht für Racing. Wie schon nach dem ersten Start, wechselte Verstappen auch diesmal sogleich in den Angriffsmodus und nahm sich WM-Leader Nico Rosberg zur Brust, den er überholte und sich auf Platz zwei schob. Auch Ricciardo arbeitete sich nach vorne und verbesserte sich auf Rang fünf.

Verstappen gelang es in weiterer Folge, Rosberg abzuhängen, an den in Führung liegenden Lewis Hamilton kam er allerdings nicht heran. "Wir schafften es zwar, den zweiten Platz zu ergattern, aber es schien, als hätte Lewis die Geschwindigkeit, uns in Schach zu halten", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner bei Motorsport-Magazin.com.

Für eine Schrecksekunde sorgte ein Beinahe-Crash von Verstappen in Runde 39, als er in der letzten Kurve wie so viele andere Piloten mit dem linken Vorderrad auf die weiße Linie kam, seinen Boliden aber noch artistisch abfangen konnte und sogar vor Rosberg blieb. "Ich denke, das Abfang-Manöver war 50:50, Glück und Fähigkeiten", beschrieb der Niederländer später die heikle Szene.

Red Bull verzockt sich im Reifenpoker

Kurz nach diesem Aufreger wurde es aus strategischer Sicht fragwürdig. In Runde 40 beorderte Red Bull zunächst Ricciardo an die Box und rüstete den Australier auf Intermediates um, der daraufhin bis an die elfte Position zurückfiel - auch, weil er seine Zeitstrafe absitzen musste. Zwei Umläufe später war Verstappen an der Reihe, der ebenfalls Plätze einbüßte und als Fünfter zurück auf die Piste kam.

"Wir haben es schon so oft gesehen: Wenn du erstmal Temperatur hineinbekommst, sind die Intermediates der wesentlich schnellere Reifen. Ursprünglich haben wir uns entschieden, Daniel die Reifen aufzuziehen. Er ist dann gleich schnellste Sektorzeiten gefahren und war über eine Sekunde schneller als alle anderen auf der Strecke. Das hat uns dann dazu gebracht, das Risiko einzugehen und auch bei Max auf Intermediates zu gehen", erklärte Horner die Entscheidung, mit der man Mercedes unter Druck setzen wollte. "Wir sind ein Risiko mit der Strategie eingegangen, um die Würfel neu zu werfen und hofften, der Intermediate-Reifen würde funktionieren."

Womit Red Bull jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass der zwischenzeitlich abgeklungene Regen wieder an Intensität zulegte, was genügte, um den letzten Sektor schwierig fahrbar zu machen. Das bekam auch Lokalmatador Felipe Massa, ohnehin nicht als Regengott bekannt, zu spüren, der die Kontrolle über seinen Williams verlor. Somit wurde ein weiteres Mal Bernd Mayländer mit seinem Safety Car auf den Plan gerufen, um es den Streckenposten zu ermöglichen, Massas Wagen sicher zu bergen.

Die Red-Bull-Piloten mussten eine Aufholjagd starten, Foto: Red Bull
Die Red-Bull-Piloten mussten eine Aufholjagd starten, Foto: Red Bull

Während dieser Safety-Car-Phase absolvierten Verstappen und Ricciardo ihren jeweils fünften Reifenwechsel und gingen zurück auf Regenreifen. Dies hatte deutliche Auswirkungen auf das Klassement - Ricciardo war plötzlich nur noch Elfter, Verstappen wurde gar bis an die 14. Position zurückgeworfen.

"Nach einer weiteren Safety-Car-Phase mussten wir die schwierige Entscheidung fällen, unsere Position zugunsten des sichereren Reifens zu opfern. Nachdem wir mit Max diskutiert haben, entschieden wir uns für das Extrem - dasselbe mit Daniel. Beide hatten dann einen recht frischen Satz Regenreifen montiert und dann lag es an ihnen für die verbleibenden 15 Runden", schilderte Horner.

Verstappen rast wie Senna zu Platz drei

Und diese verbleibenden Runden sollten es in sich haben, vor allem aus Verstappens Perspektive. Sobald das Rennen in Runde 56 wieder freigegeben wurde, legte der Niederländer eine eindrucksvolle Aufholjagd an den Tag, im Zuge derer er das halbe Feld überholte. Dabei machte Verstappen weder vor seinem Teamkollegen Ricciardo Halt, noch vor Sebastian Vettel, den er ein wenig von der Strecke drängte, dafür aber keine Strafe kassierte.

Verstappen jubelte über Platz drei, Foto: Sutton
Verstappen jubelte über Platz drei, Foto: Sutton

Dass es Verstappen sogar noch auf das Podium schaffen würde, war zum Zeitpunkt des Restarts nicht abzusehen gewesen, denn auf den Drittplatzierten Sergio Perez fehlten um 12,5 Sekunden, zudem lagen neun Autos zwischen den beiden Piloten. Doch Verstappen gelang es, nicht zuletzt, weil er als Einziger eine offensichtliche Regenlinie wählte, in Windeseile, Boden auf Perez gutzumachen, und überholte den Force-India-Fahrer schließlich drei Runden vor dem Fallen der Zielflagge.

Damit war der Plafond allerdings erreicht, denn an die beiden Mercedes-Piloten kam Verstappen nicht mehr heran. "Nach all den Zwischenfällen und dem Umstand, dass wir auf den falschen Reifen waren... wie er das weggesteckt hat und durch das Feld gefahren ist, war unglaublich. Es ist nur noch vergleichbar mit Senna in Donington 1993", zog Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Interview mit Motorsport-Magazin.com dennoch den Hut und attestierte Verstappen sogar eine besser Leistung als Michael Schumacher 1996 in Barcelona bei dessen erstem Sieg in Diensten von Ferrari, der sich ebenfalls im strömenden Regen zugetragen hatte.

Red Bull trauert Sieg hinterher

Ein bisschen haderte man Red Bull verständlicherweise mit den Bedingungen beziehungsweise den strategischen Entscheidungen, da angesichts der an den Tag gelegten Performance wesentlich mehr als nur Rang drei drin gewesen wäre. "Wenn es richtig gewesen wäre, hätten wir das Rennen gewonnen. Wir hätten es aber, glaube ich, auch gewonnen, wenn wir auf den Regenreifen geblieben wären", meinte Marko hinsichtlich der rasch revidierten Entscheidung, zwischenzeitlich auf Intermediates zu wechseln.

Für Ricciardo lief es indessen nicht ganz so gut wie für Verstappen. Der Australier machte in der Schlussphase des Rennens zwar auch ein paar Positionen gut, mehr als Platz acht war für ihn schlussendlich aber nicht drinnen. Dafür gab es aber auch einen guten Grund - ein beschlagenes Visier, das seine Sicht einschränkte. "Ich habe mein Visier immer wieder aufgemacht und habe versucht, zu wischen. Ich hatte so etwas zuvor noch nicht, das hat mich wirklich zurückgehalten", klagte Ricciardo.

Unter dem Strich bleibt somit ein aus Verstappens Sicht denkwürdiges Rennen, dem jedoch der krönende Abschluss fehlte. Und dieser wäre an diesem verregneten Nachmittag in Sao Paulo definitiv möglich gewesen, hätte Red Bull bei der Strategie ein etwas glücklicheres Händchen bewiesen.

Daniel Ricciardo kam als Achter ins Ziel, Foto: Sutton
Daniel Ricciardo kam als Achter ins Ziel, Foto: Sutton