Als vorletztes Rennen der Formel-1-Saison 2016 steht mit dem Großen Preis von Brasilien ein wahrer Klassiker im Kalender an. Auf dem Autódromo José Carlos Pace nahe São Paulo wurden schon einige Weltmeisterschaften entschieden. Auch im Duell der diesjährigen Titelrivalen Lewis Hamilton und Nico Rosberg könnte in Interlagos die Entscheidung fallen. Die Augen vieler Fans werden neben dem WM-Kampf jedoch auf Lokalmatador Felipe Massa gerichtet sein, der zum letzten Mal mit der Formel 1 vor heimischem Publikum antritt. Dazu könnte das bekanntlich launische Wetter wieder für Spannung sorgen. Das sind die sechs Brennpunkte für den Grand Prix von Brasilien.

Brennpunkt #01: Hamilton kämpft um seine letzte Chance

Mit 19 Punkten Rückstand auf WM-Leader Nico Rosberg reist Lewis Hamilton zum vorletzten Rennen der Saison nach Brasilien. Die Aufgabenstellung für den Weltmeister ist klar: Wie in den vergangenen Wochen, muss er auch in Interlagos auf Sieg fahren, um seine Hoffnungen auf den WM-Titel weiter am Leben zu erhalten. Eines hat sich jedoch geändert. Anders als zuletzt, hätte eine Niederlage gegen Rosberg bei diesem Rennen schwerwiegendere Folgen: Bei einem Sieg des Teamkollegen könnte Hamilton seine Träume von der Titelverteidigung endgültig begraben.

Die Vorzeichen im Duell der Silberpfeile sprechen nicht gerade für den Briten. Zwar konnte er die letzten beiden Rennen auf dominante Art und Weise gewinnen, in Brasilien jedoch reichte es in neun Anläufen noch kein einziges Mal zum Triumph. Beim 50-maligen Grand-Prix-Sieger sorgt diese Statistik aber nicht für Bedenken. "Ich habe noch nie in Brasilien gewonnen und das möchte ich am Wochenende ändern", so Hamilton.

Grund genug zur Zuversicht hat der Titelverteidiger durchaus. In Mexiko hatte er zuletzt klar die Oberhand über Rosberg, obwohl das Kräfteverhältnis 2015 noch genau umgekehrt war. Gut möglich also, dass er auch den Brasilien-Fluch endlich brechen kann. Einen besseren Zeitpunkt könnte er sich dafür kaum aussuchen. Klar ist, dass Hamilton alles daran setzen wird. Denn den Glauben an den Titel hat er längst noch nicht verloren: "Seit dem Beginn meiner Formel 1-Karriere habe ich gesehen, dass sich das Blatt selbst im allerletzten Moment noch wenden kann. Deshalb musst du bis zum bitteren Ende kämpfen."

Brennpunkt #02: Sucht Rosberg die Entscheidung?

Theoretisch könnte Nico Rosberg mit einem zweiten und einem dritten Platz in den letzten beiden Saisonrennen den Titel fixieren. In Brasilien hat er allerdings die Chance, die Weltmeisterschaft mit einem Sieg über den Teamkollegen vorzeitig zu seinen Gunsten zu entscheiden. Eigentlich lässt Rosberg bei seiner Herangehensweise keine Fragen offen. Immer wieder hatte er in den vergangenen Wochen betont, dass er von Rennen zu Rennen denke und stets auf den Sieg aus sei.

Auch vor dem Rennen in Brasilien hat sich daran nichts geändert: "Ich muss weiter das machen, was mir dabei hilft, meine Bestleistung zu bringen - und das bedeutet, jedes Mal auf Sieg zu fahren," so Rosberg. Angesichts seiner bisherigen Erfolgsstatistik mit zwei Siegen in Interlagos, dürfte die Verlockung für den WM-Führenden umso größer sein, den direkten Kampf mit dem Teamkollegen und damit auch die Entscheidung auf der Rennstrecke zu suchen. Als Rennsieger den WM-Titel zu feiern, wäre wohl die deutlichste Ansage an alle Kritiker.

Die WM-Matrix zum Brasilien GP: Gelb = Rosberg holt den Titel (zum Vergrößern auf das Bild klicken), Foto: Motorsport-Magazin.com
Die WM-Matrix zum Brasilien GP: Gelb = Rosberg holt den Titel (zum Vergrößern auf das Bild klicken), Foto: Motorsport-Magazin.com

Abgesehen davon wäre Rosberg wohl auch gut beraten, die Weltmeisterschaft frühzeitig zu entscheiden. Denn sollte Hamilton den Rückstand in Brasilien weiter reduzieren, könnte es für den Deutschen in Abu Dhabi ein böses Erwachen geben. Auch Rosberg ist sich dessen bewusst: "Noch stehen zwei Rennen aus und in der Formel 1 kann alles passieren. Deshalb muss ich mich auf die Dinge konzentrieren, die ich beeinflussen kann."

Brennpunkt #03: Até logo, Felipe!

Felipe Massa würden seinen Podestplatz aus 2014 zum Abschluss gerne wiederholen, Foto: Sutton
Felipe Massa würden seinen Podestplatz aus 2014 zum Abschluss gerne wiederholen, Foto: Sutton

Auch für einen weiteren Fahrer im 22-köpfigen Feld wird der diesjährige Große Preis von Brasilien wohl eines der wichtigsten Rennen der Karriere: Felipe Massa wird 2016 zum 13. und letzten Mal in der Königsklasse vor den heimischen Fans antreten. Der Publikumsliebling kann auf einige erinnerungswürdige Rennen in Brasilien zurückblicken und will sicherlich dafür sorgen, dass er sich auch an seinen letzten Auftritt noch lange erinnern wird.

Mit dem Williams des Jahrgangs 2016 sind die Chancen auf eine große sportliche Überraschung zwar nicht sonderlich groß, doch einen würdigen Abschied von den brasilianischen Zuschauern schließt das nicht aus. "Ich freue mich darauf, jede einzelne Runde zu genießen. Ich war in Interlagos schon oft auf dem Podium und es wäre schön, ein weiteres einzufahren. Es wird nicht einfach, aber ich werde für meine Leute und für Brasilien in meinem letzten Heimrennen alles geben", so Massa.

Welche Tragweite dieses Rennen für Massa hat, ist selbst dem Gegner bewusst. "Die Atmosphäre in Brasilien ist ziemlich einzigartig, mit jeder Menge Lärm und einem guten Publikum. Besonders dieses Jahr, weil es Felipes letztes Rennen dort ist. Brasilien ist der Ort, an dem du nicht Felipe Massas Teamkollege sein willst. Da kommst du bei der Fahrerparade nicht gut weg", sagt Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo.

Brennpunkt #04: Vorletzte Ausfahrt für Ferrari

Ferrari muss sich richtig lang machen, um 2016 noch ein Rennen zu gewinnen, Foto: Sutton
Ferrari muss sich richtig lang machen, um 2016 noch ein Rennen zu gewinnen, Foto: Sutton

Ferrari befand sich in Mexiko weiter auf dem absteigenden Ast. Konnte sich Sebastian Vettel zunächst noch über einen dritten Platz und den vermeintlichen moralischen Sieg über Max Verstappen freuen, brummte ihm die Rennleitung später selbst eine Strafe auf, in deren Folge er den Podiumsplatz wieder verlor. In der Gesamtwertung ist Red Bull mittlerweile um 62 Punkte enteilt. Es wird ein Wunder brauchen, um diesen Rückstand in den noch ausstehenden Rennen wettzumachen.

Für die Scuderia bleibt damit nur noch ein Ziel für die Saison 2016 - und das lautet, mit aller Macht noch ein Rennen zu gewinnen und damit ein wenig Kosmetik in Sachen Statistik zu betreiben. Mit der bisher in diesem Jahr gezeigten Performance wird dies zwar ein schwieriges Unterfangen, doch Interlagos bietet mit den aus der Vergangenheit bekannten Wetterkapriolen sicher nicht das schlechteste Pflaster für einen Außenseiter-Sieg. Wirklich etwas zu verlieren haben Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen jedenfalls nicht mehr.

Brennpunkt #05: Vorentscheidung zwischen Force India und Williams?

Force India hat die Nase noch vor Williams, Foto: Sutton
Force India hat die Nase noch vor Williams, Foto: Sutton

Die Plätze an der Sonne sind bei den Konstrukteuren allesamt bezogen. Mercedes hat den Hersteller-Titel längst eingetütet und Red Bull hat mittlerweile auch einen komfortablen Vorsprung auf Ferrari. Wer glaubt, dass es dahinter nur noch um die Holzmedaille geht, irrt. Zwischen Force India und Williams läuft seit der Sommerpause ein heftiges Tauziehen um die vierte Position und jede Menge Preisgeld. In Mexiko konnte Force India den Vorsprung um einen weiteren Punkt ausbauen. Zum Ausruhen ist der Punktevorteil allerdings nicht komfortabel genug.

"Es ist ein sehr wichtiges Wochenende für uns, da wir uns in der entscheidenden Phase im Kampf um die vierte Position befinden. Bei nur noch zwei Rennen und einem Vorsprung von neun Punkten, kann jeder weitere Punkt entscheidend sein", sagt Force-India-Teamchef Vijay Mallya. Bei Williams hingegen ist man sich des Rückstandes bewusst und wird alles daransetzen, vor dem Gegner abzuschneiden.

Brennpunkt #06: Der Faktor Wetter

Regen und dramatische Wendungen gehören in Interlagos dazu, Foto: Sutton
Regen und dramatische Wendungen gehören in Interlagos dazu, Foto: Sutton

Der Grand Prix von Brasilien stellte im Laufe seiner Geschichte sowohl den Austragungsort für den Auftakt sowie für das Finale der Formel-1-WM. Eines änderte sich dabei jedoch nie: Egal ob März oder November, Interlagos ist seit jeher für sein launisches und oft unberechenbares Wetter bekannt. Überraschende Besuche auf dem Podium sind bei Chaos-Rennen nicht ausgeschlossen: So fuhr Nick Heidfeld im Jahr 2001 für Sauber auf den dritten Platz und Giancarlo Fisichella gelang 2003 im Jordan auf kurioseste Art und Weise der erste Formel-1-Sieg.

Dass die Fahrer im Verlaufe eines Rennens gleich mehrfach zwischen Trocken- und Regenreifen hin- und herwechseln müssen, ist nicht ungewöhnlich. Sogar Weltmeisterschaften wurden in Interlagos schon vom Reifen-Roulette entschieden. Etwas, das auch in der Saison 2016 der Fall sein könnte. Bisher ist zwar nur eine geringe Regenwahrscheinlichkeit für das Rennwochenende vorhergesagt, doch die dunklen Wolken tauchen in São Paulo auch gerne unangemeldet auf.