Mit zwei Punkten Vorsprung auf Nico Rosberg ging Weltmeister Lewis Hamilton in die Asien-Tournee der Formel 1 - mit 33 Punkten Rückstand reiste er wieder ab. Der Motorschaden von Malaysia hat den vierten WM-Titel für den Briten in weite Ferne rücken lassen. Während Rosberg auf der anderen Seite der Garage auf einer Erfolgswelle in Richtung des ersten WM-Gewinns reitet, zeigte Hamilton nach der jüngsten Enttäuschung Nerven - auf und neben der Strecke. Sepang zeigte jedoch auch, dass der Wind sich in der Formel 1 schnell drehen kann. Ist Rosberg also tatsächlich schon so gut wie durch, oder kann Hamilton noch einmal zurückkommen?

Auf den ersten Blick spricht einiges für Rosberg. Denn abgesehen vom aktuellen Punktevorsprung, konnte er auf drei der kommenden vier Rennstrecken vergangene Saison triumphieren. "Ich kann die letzten vier Saisonrennen kaum noch erwarten", sagte ein selbstsicherer Rosberg bei der Feier zur gewonnenen Konstrukteurs-WM in Brackley. Die Erfolgsgeschichte von 2015 hat allerdings einen Haken: Rosberg gewann erst, nachdem Hamilton in Austin den Titel fixiert hatte.

Austin - Hamiltons zweites Wohnzimmer. Der durchaus als US-affin zu bezeichnende Brite gewann auf dem Circuit of The Americas bereits drei Mal, inklusive oben genanntem Weltmeisterschaftsgewinn. Viele Beobachter sahen einen Mangel an Ehrgeiz als Auslöser dafür, dass Hamilton Rosberg in den letzten drei Rennen der Saison 2015 unterlegen war, nachdem er ihn zuvor scheinbar nach Belieben dominiert hatte. Ob Vermutung oder Fakt: Eine Wiederholung kann sich Hamilton dieses Jahr nicht leisten.

Hamilton statistisch nicht im Nachteil

Dass es soweit gar nicht kommen muss, zeigt die Statistik - denn hier muss sich Hamilton keineswegs vor Rosberg verstecken. Unter dem Strich scheint nur eine der ausstehenden Rennstrecken für ihn ein rotes Tuch zu sein: In Interlagos gelangen ihm in neun Anläufen erst zwei zweite Plätze - beide Male hinter Rosberg.

In Mexico City, wo ihm ebenfalls noch ein Sieg fehlt, wurde 2015 erstmalig seit der Rückkehr des Rennens in den Kalender wieder gefahren. Rosberg gewann, doch eine besonders aussagekräftige Statistik für oder gegen einen der beiden Fahrer existiert hier dementsprechend nicht. In Abu Dhabi wiederum konnte Hamilton bereits zwei Mal gewinnen, Rosberg nur ein Mal.

Der Knackpunkt ist jedoch, dass Hamilton angesichts des Punkterückstandes dazu verdammt ist, alle kommenden Rennen zu gewinnen. Selbst eine Niederlage auf nur einer dieser Rennstrecken käme für ihn dem K.o. im WM-Kampf gleich. Eine Drucksituation, die Hamilton in den vergangenen WM-Duellen gegen Rosberg so noch nicht erlebt hat. Im Rahmen des Japan-GP erlebte die Formel-1-Welt vielleicht auch deshalb einen Hamilton, den sie so noch nicht erlebt hatte.

Siege Poles Punkte
Rosberg HamiltonRosberg HamiltonRosberg Hamilton
Austin 0 320 3887
Mexiko City 1 010 2518
Sao Paulo 2 021 7962
Abu Dhabi* 1 222 6092

Ist Hamilton mental angezählt?

Nach dem Malaysia-Debakel gab Hamilton sich zunächst kämpferisch: "Dies ist nicht mein absoluter Tiefpunkt. Da gab es ganz sicher andere. Ich werde meine innere Stärke nutzen, um an den nächsten fünf Rennwochenenden zurückzuschlagen." Dass der Rückschlag in ihm möglicherweise doch etwas verändert hatte, zeigte sich in der Pressekonferenz am Donnerstag vor dem Suzuka-Wochenende.

Erst sorgte er für Aufsehen, indem er fleißig auf Snapchat postete - und hinterher ging er in der Mercedes-Medienrunde angesichts der ihm dafür entgegengebrachten Kritik völlig auf Block. "Das war nur ein bisschen Spaß. Aber was respektloser war, war das, was geschrieben wurde. Ich plane nicht, jetzt hier etwas zu machen. Sorry, ich hoffe ihr genießt den Rest des Wochenendes", so Hamilton.

Auch im Cockpit konnte Hamilton nicht in der von ihm gewohnten Form brillieren, geschweige denn gegen Rosberg zurückschlagen. Die 13-Tausendstel-knappe Niederlage gegen den Stallgefährten im Qualifying war ein weiterer Nadelstich für den dreimaligen Weltmeister. Beim Rennen vergeigte er den Start und überließ dem Widersacher auf diese Weise mehr oder weniger kampflos das Feld. Die Medienrunde nach dem Grand Prix fand gemäß seiner Ankündigung ohne ihn statt, da er zusammen mit Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda frühzeitig von der Strecke abreiste.

Hamilton musste sich in Suzuka wieder nach vorne kämpfen, Foto: Sutton
Hamilton musste sich in Suzuka wieder nach vorne kämpfen, Foto: Sutton

Keine Titelverteidigung aus eigener Kraft

Hamilton scheint zu spüren, dass ihm die Zeit davonläuft. Mit 33 Punkten hat er den in dieser Saison bisher zweitgrößten Rückstand auf Rosberg. Nur nach dem fünften Saisonrennen in Barcelona war der Abstand mit 43 Zählern schon einmal größer. Danach hatte Hamilton allerdings noch 16 Rennen Zeit, diesen aufzuholen - was ihm mit einer eindrucksvollen Siegesserie zur Saisonmitte auch gelang. Sechs Rennen brauchte der Weltmeister, um Rosberg die WM-Führung wieder zu entreißen.

Zeit, die er jetzt nicht mehr hat. Wenn Hamilton das Ruder im Titelkampf noch einmal herumreißen will, muss er in jedem der übrigen vier Rennen auf Sieg fahren - und obendrein noch hoffen, dass Rosberg von Red Bull, Ferrari oder der eigenen Technik überrumpelt wird. Denn dem Deutschen würden bei der momentanen Ausgangslage auch vier zweite Plätze zum WM-Titel reichen. Etwas, das Rosberg in seiner momentanen Form durchaus gelingen könnte.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff glaubt jedoch daran, dass Hamilton auch angesichts dieser Aussichten noch längst nicht das Handtuch geworfen hat. "Lewis funktioniert am besten, wenn er unter Druck steht. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das bis zum Ende ein intensiver Kampf wird. Es ist noch längst nicht vorbei", so der Österreicher.

Keine Stallorder bei Mercedes

Die Aussage Wolffs unterstreicht die bisherige Philosophie im Team, beide Fahrer ohne ein Eingreifen vom Kommandostand gegeneinander fahren zu lassen. Wolff bekräftigte dies nach Suzuka auch noch einmal explizit: "Wir lassen sie fahren, daran hat sich nichts geändert. So haben wir in den vergangenen drei Jahren agiert und es hat gut funktioniert."

Den Kurs beizubehalten ist nicht nur im Sinne der Fans, sondern auch im Sinne des Haussegens bei Mercedes. "Wenn wir jetzt anfangen würden, Details zu verändern, würde das die Lage nur unnötig erhitzen", so Wolff weiter. Auf Hilfe vom Team kann Rosberg also nicht hoffen. Die Rückendeckung von der Technik sieht Rosberg allerdings auf seiner Seite.

Rosberg ohne Angst vor Hamilton-Schicksal

Damit, dass ihn wie Hamilton ein Defekt ereilen könnte, rechnet der WM-Führende nicht: "Ich bin überhaupt nicht besorgt. Wir hatten die ganze Saison, abgesehen von Lewis' Problem, keine Probleme. Ich wüsste nicht, warum es ein zweites Mal passieren sollte", so Rosberg. Ungewohnte Töne vom sonst so auf Understatement bedachten Rosberg, der sich in Austin obendrein auf eine frische Power Unit freuen darf: "Suzuka war mein letztes Rennen im vorletzten Motorenzyklus."

Wolff mahnt hingegen, dass auch Rosberg nicht vor dem Defektteufel sicher ist. "In Malaysia konnten wir sehen, wie schnell es geht. Du scheidest aus und der andere Kerl gewinnt, dann hast du 25 Punkte verloren und dann sind es nur noch acht Punkte. Es ist ein mechanischer Sport."

Die Zuversicht, die er in Bezug auf die Technik hat, scheint Rosberg im Kampf gegen Hamilton jedoch nach wie vor zu fehlen - oder er will sich in gewohnter Manier nicht zu weit aus dem Fenster lehnen: "Er ist mein Teamkollege und es ist immer hart, ihn zu schlagen. Wir haben noch ein paar Rennen vor uns", sagt Rosberg.

Wolff sieht Rosberg mit dieser Einstellung auf dem richtigen Weg: "Die Art und Weise, wie Nico die WM angeht, in dem er jedes Wochenende einzeln betrachtet, hat sich für ihn als der richtige Weg erwiesen."

Hamilton muss auf Rosberg-Pech hoffen

Rosberg ist wohl gut beraten, seiner Einstellung auch für die letzten vier Rennen treu zu bleiben. Der Verlust des 43-Punkte-Vorsprungs ist für ihn noch keine drei Monate her. Außerdem fährt der WM-Leader bereits seit vier Jahren an der Seite von Hamilton und weiß, dass mit dem Briten jederzeit zu rechnen ist - schließlich hatte Hamilton 2014 schon einmal das Titelduell gegen ihn im Saisonendspurt gedreht. Einen 29-Punkte-Rückstand verwandelte der Brite damals in nur zwei Rennen in einen Vorsprung von drei Zählern.

Allerdings gelang ihm dies nur, weil Rosberg in Singapur von einem technischen Defekt heimgesucht wurde. Und tatsächlich scheint es so, als ob Hamilton auch dieses Jahr darauf hoffen muss, dass der Defektteufel für einen Ausgleich zwischen ihm und dem Teamkollegen sorgt. Denn im Gegensatz zu Hamilton, musste Rosberg 2016 noch keinen technischbedingten Ausfall hinnehmen. Ohne diesen Fakt wäre der WM-Kampf deutlich enger. Doch mit ihm hält Rosberg alle Trümpfe in der Hand, um den ersten WM-Titel unter Dach und Fach zu bringen.