Zum 58. Mal in dreieinhalb Jahren steht ein Mercedes auf Pole Position. Doch der Singapur GP ist trotzdem besonders: Vor allem, weil die Silberpfeile im vergangen Jahr plötzlich unfassbar stumpf waren. Die größten Probleme scheint Mercedes in diesem Jahr aussortiert zu haben. "Mit der aktuellen Abstimmung wären wir letztes Jahr auf Pole gewesen", ist sich Pole-Setter Nico Rosberg sicher.

Aber: Während sich Nico Rosberg mit dem Auto eins fühlt, hadert Lewis Hamilton an diesem Wochenende mit allem. Mit der Technik, mit dem Gefühl, mit der Strecke. Der Weltmeister steht nur auf Platz drei, musste sich von Daniel Ricciardo im Red Bull geschlagen geben. Knapp dahinter lauern auch noch Max Verstappen und Kimi Räikkönen.

Lewis Hamilton hat in Singapur Probleme, Foto: Sutton
Lewis Hamilton hat in Singapur Probleme, Foto: Sutton

Dass sich Hamilton so schwer tut, hängt natürlich zum einen am Technik-Pech. Es zeigt aber auch, dass Singapur für Mercedes noch kein Rennen wie jedes andere ist. Ja, Rosberg steht auf Pole und der Vorsprung beträgt gut fünf Zehntelsekunden. In Monza war der Vorsprung aber noch deutlich größer. Dabei ist die Runde in Singapur um 20 Sekunden länger.

Interessant könnte es vor allem werden, weil Red Bull eine andere Reifenstrategie im Q2 wählte. Während Mercedes auf Ultrasofts in das finale Qualifyingsegment einzog, ging Red Bull auf Supersofts raus. Die Top-Ten müssen auf jenem Reifensatz starten, auf denen sie ihre Bestzeit in Q2 gefahren sind. Also Hamilton und Rosberg auf Ultrasoft, Red Bull auf Supersoft.

Paddy Lowe gab nach den Trainingssitzungen zu: "Es ist absolut offen, welche Reifen die besten für das Rennen sein werden." Auch Pirellis Mario Isola bestätigt: "Es gibt hier keinen Reifen, den man im Rennen ausschließen kann." Oftmals lassen die Teams die härteste Mischung das komplette Wochenende links liegen - nicht in Singapur.

Reifenabbau größer als Abnutzung

Reifenstrategie und der Umgang mit den sensiblen Pirellis könnten am Sonntag der Schlüssel sein. Man unterscheidet im Wesentlichen zwischen Reifenabbau und Reifenabnutzung. Abbau bedeutet, wie viel die Reifen durch die Nutzung an Rundenzeit abbauen. Abnutzung bedeutet, wie viel Gummi sich noch auf der Konstruktion befindet.

In Singapur ist der Verschleiß deutlich höher als die Abnutzung. Heißt: Der Reifen verliert schnell an Performance. Theoretisch sind laut Pirelli 31 Runden mit den Soft-Pneus möglich, 23 Runden mit Supersoft und 18 mit Ultrasoft. Diese Werte werden wegen des hohen Abbaus jedoch kaum erreicht.

Je sanfter ein Auto mit den Reifen umgeht, desto eher können die maximalen Stintlängen erreicht werden. Heißt: Die Unterschiede zwischen den Teams werden größer sein. Das macht die Strategie von Red Bull besonders interessant.

Pirellis Strategie-Prognose

  • Schnellste: 3 Stopps - 3 x 15 Runden Ultrasoft + 1 x 16 Runden Supersoft
  • Möglich: 2 Stopps - 1 x 27 Runden Soft + 1 x 18 Runden Supersoft + 1 x 16 Runden Ultrasoft
  • Möglich: 2 Stopps - 1 x 27 Runden Soft + 2 x 17 Runden Ultrasoft
  • Langsamte: 2 Stopps - 1 x 30 Runden Soft + 2 x 15 Runden Ultrasoft

Mercedes hingegen hat keine sinnvollen Referenzwerte auf dem Supersoft, weil Lewis Hamilton, der eigentlich dafür vorgesehen war, die letzten 30 Minuten des 2. Freien Training mit einem Hydraulik-Leck in der Garage verbrachte. Verstappen fuhr auf dem Supersoft einen sensationellen Run.

Longruns vom Freitag

Fahrer Stint-Länge Reifen-Alter Schnitt
Soft
Rosberg 10 Runden 17 Runden 1:51.012
Vettel 13 Runden 21 Runden 1:52.060
Supersoft
Verstappen 6 Runden 14 Runden 1:49.573
Ricciardo 7 Runden 13 Runden 1:50.446
Räikkönen 9 Runden 19 Runden 1:51.018
Ultrasoft
Ricciardo 6 Runden 13 Runden 1:49.920
Räikkönen 8 Runden 15 Runden 1:50.017
Verstappen 7 Runden 14 Runden 1:50.167
Rosberg 11 Runden 17 Runden 1:51.052

Auch auf dem Ultrasoft war Red Bull am Freitag Klassenprimus. Rosbergs Longrun auf Ultrasoft war zwar mit 17 Runden der längste, dafür aber auch mit Abstand der langsamste der Top-Leute. Nur auf dem Soft-Reifen war Rosberg top.

Red Bull versucht es mit Zweistopp-Strategie

Die meisten rechnen mit drei Stopps. Laut Pirelli ist das auch die schnellste Variante. Weil Singapur ein Stadtkurs ist, gilt in der Boxengasse Tempolimit 60 statt 80. Red Bull will den niedrigeren Reifenverschleiß in Kombination mit den Supersofts am Start nutzen, um auf eine Zweistopp-Strategie zu kommen. Kommt man mit einem Stopp weniger aus, muss Mercedes nicht auf der Strecke überholt werden. Allerdings war es in Monza noch andersrum: Da kam Mercedes mit einem Stopp weniger aus.

Ferrari ist schwer einzuschätzen. Sebastian Vettel muss den Singapur GP vom letzten Platz aus aufnehmen und ist ohnehin raus. Kimi Räikkönen hatte auf seiner Quali-Runde kleinere Fehler, war mit dem Auto aber auch nicht ganz zufrieden. Sein Longrun auf den Ultrasofts war stark, auf den Supersofts weniger. Dabei sind sich die Mischungen eigentlich recht ähnlich.

Wie stabil sind die Mercedes-Starts?

Die Strategie wird der eine Schlüssel-Faktor beim Singapur GP. Überholen auf der Strecke wird schwierig bis unmöglich, vor allem für Red Bull. Der andere Schlüssel-Faktor ist der Start. Lewis Hamilton verlor den Italien GP durch einen schlechten Start. Sein Glück: Die Konkurrenz war meilenweit von Mercedes weg, so dass er zumindest leichtes Spiel hatte, immerhin auf Platz zwei zu kommen.

Lewis Hamilton verlor in Monza am Start zahlreiche Plätze, Foto: Sutton
Lewis Hamilton verlor in Monza am Start zahlreiche Plätze, Foto: Sutton

In Singapur werden Red Bull und Kimi Räikkönen Mercedes das Leben schwerer machen. Mercedes' Problem liegt in der Kupplung selbst. Sie ist zu stark Abhängig von der Temperatur. Minimale Schwankungen haben große Auswirkungen. Dass die Ingenieure das Problem bis Singapur beseitigt haben, ist eher unwahrscheinlich. Das Material hat neben der Konstruktion einen großen Einfluss, Änderungen auf dieser Baustelle brauchen Zeit. Einen kleinen Bonus hat Mercedes: Der Ultrasoft-Reifen ist beim Wegfahren ein kleiner Vorteil gegenüber den Supersofts.

Räikkönen allerdings startet wie Hamilton und Rosberg auf Ultrasoft. Die Starts der Ferrari-Piloten sind in dieser Saison besonders stark. Fernando Alonso zeigte in Singapur 2013, was am Start möglich ist. Die erste Kurve in Singapur ist speziell.

Ebenfalls interessant: Mercedes hat bei beiden Piloten nur noch jeweils einen Satz Supersoft-Reifen übrig. Red Bull hat zusätzlich zu den Startreifen noch jeweils zwei frische Sätze für beide Piloten. Rosberg und Hamilton haben jeweils noch zwei Soft-Sätze. Laut Pirelli braucht man aber nur maximal einen Satz.

Fazit: Rosbergs Wunderrunde zeigt, dass Mercedes noch Reserven hatte. Hamiltons Abschneiden zeigt aber gleichzeitig, dass die Reserven nicht riesig sind. Start und Strategie entscheiden das Rennen. Red Bull muss am Start vorbei oder einen Stopp weniger machen. Sonst könnte es ein Alleingang werden.