Mercedes ist in diesem Jahr noch dominanter als in der vergangenen Saison. Bislang hatten Ferrari und Red Bull aus eigener Kraft nicht den Hauch einer Chance. Deshalb starrt die gesamte Formel-1-Welt umso gespannter auf Singapur. Den Ort, an dem Mercedes 2015 schlichtweg chancenlos war. Im Qualifying fehlten Nico Rosberg und Lewis Hamilton fast anderthalb Sekunden. Und in diesem Jahr? Motorsport-Magazin.com liefert die spannendste Trainings-Analyse des Jahres.

Das Ergebnis des 1. Freien Trainings kann man schlichtweg vergessen. Mercedes fuhr als einziges Top-Team nur zu Beginn mit den Ultrasoft-Reifen. Als die Strecke schneller wurde, gingen Rosberg und Hamilton auf Soft raus. Der einzige Gradmesser ist das Nachttraining. Mit 0,275 Sekunden Vorsprung war Rosberg Schnellster. Auf einer der längsten Runden des Jahres kein riesiger Vorsprung.

Lewis Hamilton hatte am Freitag in Singapur einige Probleme, Foto: Sutton
Lewis Hamilton hatte am Freitag in Singapur einige Probleme, Foto: Sutton

Lewis Hamilton kämpfte nicht nur mit einem Hydraulik-Leck, sondern kam schon vor den technischen Problemen nicht besonders gut zurecht. Auf den Ultrasoft-Reifen brachte er am Abend keine sinnvolle Runde zusammen - was das Bild nicht unbedingt klarer macht.

Interessant ist der Blick auf die Sektorzeiten: Nur in Sektor eins hält Rosberg die Bestzeit. In Sektor zwei sind die beiden Red Bulls vorne, in Sektor drei Kimi Räikkönen. Das Bild ist diffus. Rosberg gewinnt seine Zeit im ersten Sektor. Sektor eins ist der einzige Abschnitt, wo Motorleistung gefragt ist. Hier befinden sich beide DRS-Zonen, hier werden die höchsten Geschwindigkeiten erreicht. Verstappen ist der einzige Pilot der Top-Leute, der seine schnellsten Sektoren nicht in seiner schnellsten Runde gefahren hat. Er hat eine Zehntelsekunde liegen lassen.

Während Red Bull am Nachmittag noch Klassenprimus im letzten Sektor war, verloren Verstappen und vor allem Daniel Ricciardo am Abend dort. Der Grund könnte in den Ultrasoft-Reifen liegen. "Es kann ziemlich einfach sein, auf dieser Strecke ein paar Zehntel zu finden", weiß Ricciardo, "weil es hier so viele Kurven gibt, dass die Reifen im letzten Sektor schon überhitzen. So kann man viel Zeit verlieren oder gewinnen."

Nur Verstappen bekommt neuen Motor

Auch wenn die reine Motorleistung in Singapur deutlich weniger zählt als auf anderen Strecken: Red Bull hat noch zwei Trümpfe im Ärmel. Mercedes kann es sich erlauben, schon im Training aggressivere Motormodi zu fahren. Im Qualifying können Red Bull und Ferrari normalerweise etwas mehr Dampf auf die Kette geben.

Außerdem bekommt Daniel Ricciardo mehr Leistung. Renault hat drei Token für eine Entwicklungsstufe des Motors ausgegeben. Max Verstappen fuhr die Ausbaustufe schon am Freitag, weil bei ihm ohnehin neue Power Unit Komponenten zum Einsatz kamen. Weil die modifizierten Bauteile aber größtenteils außerhalb der versiegelten Power Unit sind, bekommen auch die anderen Renault-Piloten die Ausbaustufe - ohne Motorwechsel.

Das diffuse Bild bei den Top-Zeiten spiegelt sich auch in den Longruns wider. Durch Hamiltons Hydraulik-Leck verlor Mercedes einen wichtigen Run. Mercedes hatte für Hamilton und Rosberg verschiedene Reifenmischungen von Pirelli geordert, weil beide im 2. Freien Training unterschiedliche Longruns fahren sollten: Rosberg Soft und Ultrasoft, Hamilton Ultrasoft und Supersoft. Somit fehlen Mercedes die Werte auf Supersoft. Mercedes' Technikchef Paddy Lowe beruhigt: "Wir haben jedoch viele Daten durch unsere Beobachtungen der anderen Teams."

Red Bull mit starken Longruns

Longruns sind in Singapur ein wahres Problem: Erstens ist die Strecke mit Zeiten von rund 1:50 Minuten extrem lang, zweitens sind Verkehr und Gelb-Phasen echte Probleme. Entsprechend viele Rundenzeiten muss man aus den Longruns löschen. Die Teams haben hier allerdings mit GPS Messungen ganz andere Möglichkeiten.

Fahrer Stint-Länge Reifen-Alter Schnitt
Soft
Rosberg 10 Runden 17 Runden 1:51.012
Vettel 13 Runden 21 Runden 1:52.060
Supersoft
Verstappen 6 Runden 14 Runden 1:49.573
Ricciardo 7 Runden 13 Runden 1:50.446
Räikkönen 9 Runden 19 Runden 1:51.018
Ultrasoft
Ricciardo 6 Runden 13 Runden 1:49.920
Räikkönen 8 Runden 15 Runden 1:50.017
Verstappen 7 Runden 14 Runden 1:50.167
Rosberg 11 Runden 17 Runden 1:51.052

Auf den Soft-Reifen gab es nur zwei repräsentative Longruns der Top-Leute. Nico Rosberg und Sebastian Vettel fuhren die härteste Mischung. Rosberg fuhr 10 Runden, Vettel 13. Im Schnitt kam der Mercedes-Pilot auf 1:51.0 Minuten, der Ferrari-Pilot auf 1:52.0 Minuten. "Ich habe mich noch nicht ganz wohl gefühlt und wie haben ein paar Dinge ausprobiert", relativiert Vettel. Auch auf eine Runde war Vettel deutlich langsamer als Teamkollege Räikkönen.

Auf den Supersoft-Reifen gibt es nur Werte von Red Bull und Ferrari. Verstappens Run war inkonstant aber schnell. Der Niederländer kam auf 1:49.5 und war damit knapp eine halbe Sekunde schneller als Kimi Räikkönen. Teamkollege Daniel Ricciardo fehlten noch einmal vier Zehntelsekunden.

Nur auf den Ultrasoft-Pneus gibt es relevante Werte von allen drei Teams. Ferrari und Red Bull liegen hier extrem eng beieinander. Ricciardo fuhr den kürzesten, aber schnellsten Run mit 1:49,9 Minuten. Räikkönen kam auf 1:50.0 Minuten, Verstappen auf 1:50.1 Minuten. Rosberg fuhr zwei Runden mehr, kam aber nur auf einen Schnitt von 1:51.0 Minuten - deutlich langsamer als die Konkurrenz.

Die Lage ist undurchsichtig: Auf eine Runde ist Mercedes vorne, aber nicht weit. Im Longrun ist Rosberg auf Soft-Reifen top, auf Ultrasoft flop. Eines scheint sicher: Mercedes ist nicht mehr so schlecht wie noch vor einem Jahr. "Es ist viel besser als letztes Jahr, damals war es ein Desaster. Heute waren wir schnell. Sobald wir mit dem Auto rausgefahren sind, wussten wir, dass es ganz anders ist. Letztes Jahr sind wir viel rumgerutscht und hatten keinen Grip. Heute war es anders", bestätigt Lewis Hamilton den Eindruck.

Besser, aber wie viel besser? So lautet nun die große Frage. "Schwer zu sagen, ich glaube es wird vorne eine enge Kiste", mutmaßt Sebastian Vettel. "Ich glaube, es wird ein interessanter Kampf zwischen uns, Mercedes und Ferrari", meint Max Verstappen. Die ersten richtigen Antworten wird erst das Qualifying liefern.

Interessant könnte es auch bei der Reifenwahl werden. "Es ist absolut offen, welche Reifen die besten für das Rennen sein werden", gesteht Paddy Lowe. Ferrari, Mercedes und Red Bull haben noch unterschiedliche Sätze übrig. Mercedes geht mit zwei Soft, zwei Supersoft und fünf Ultrasoft in den Samstag, Ferrari mit einem Soft, zwei Supersoft und sechs Ultrasoft, Red Bull mit zwei Soft, drei Supersoft und vier Ultrasoft.

Motorsport-Magazin.com meint: Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor...