Der Belgien GP war von Anfang an ein äußerst schwieriges Unterfangen für Mercedes und Lewis Hamilton: Weil der Brite früh in der Saison zwei Turbolader samt MGU-H verlor, war klar, dass der Weltmeister nicht mit dem Kontingent von fünf Power Units über die Runden kommen wird. In Spa ist es so weit: Hamilton bekommt neue Teile und somit auch Strafen - von beiden eine ganze Menge.

Komponenten gelten erst als eingesetzt, wenn der Fahrer damit die Boxengasse verlassen hat. Demnach konnte Mercedes nur zu jeder Trainingssitzung neue Teile bringen. Im 1. Freien Training bekam Hamilton Turbolader und MGU-H Nummer sechs. Weil es die ersten Komponenten der sechsten Power Unit waren, gibt es fünf Plätze extra, weil eine zusätzliche Power Unit angebrochen wurde. Für jede Komponente gibt es dann noch einmal fünf. Somit war Hamilton nach FP1 schon bei 15 Startplätzen.

Im 2. Freien Training kamen Turbolader und MGH-H Nummer sieben, also weitere 15 Strafplätze. Den Freitag beendete der Mercedes-Pilot mit 30 Plätzen Strafversetzung. Im 3. Freien Training griff Mercedes noch einmal richtig ins Ersatzteillager: Verbrennungsmotor und MGU-H Nummer sechs wurden eingebaut, dazu noch Turbolader und MGU-H Nummer acht. Macht noch einmal 25 Plätze extra.

Hamilton muss in Spa von hinten starten, Foto: Mercedes-Benz
Hamilton muss in Spa von hinten starten, Foto: Mercedes-Benz

Somit ergeben sich - in der Theorie - 55 Strafplätze für den Weltmeister. Allerdings werden nicht abgesessene Strafen nicht mehr ins nächste Rennen oder als Durchfahrtsstrafen und dergleichen mit ins Rennen genommen. Hamilton startet also vom vorletzten und damit 21. Platz.

Weil Hamilton schon zwei Verwarnungen in dieser Saison gesammelt hat und bei der dritten eine weitere Strafversetzung um zehn Plätze winkt, gab es auch die Vermutung, Hamilton würde in Spa seine dritte Verwarnung provozieren. "Klar haben wir darüber nachgedacht", gesteht Hamilton. "Aber das würde bedeuten, dass wir absichtlich einen Regelverstoß begehen würden und das ist nicht fair, nach diesen Regeln spielen wir nicht."

"Das wäre einfach keine elegante Idee", erklärt Hamilton. Möglicherweise würde die FIA den vorsätzlichen Regelverstoß härter bestrafen. "Das funktioniert einfach nicht." Für das Verpassen einer offiziellen FIA-Pressekonferenz wäre eine Verwarnung denkbar. Hamilton wurde ausgerechnet in Spa in die Fahrer-PK am Donnerstag eingeladen. Mit einem Schmunzeln gesteht Hamilton: "Ja, daran habe ich gedacht."

Luftdruck macht Mercedes zu schaffen

Nun also Startplatz 21 ohne zusätzliche, absichtliche Strafe. Dabei gab es durchaus auch Überlegungen, gleich aus der Boxengasse loszufahren, um der riskanten ersten Kurve aus dem Weg zu gehen. "Das mag ich aber nicht", gesteht Hamilton. "Man muss warten, bis das gesamte Feld vorbei ist, erst dann darf man losfahren. Bis dahin sind die anderen schon halb den Berg hinunter zu Eau Rouge. Diese sechs bis acht Extra-Sekunden kann ich mir nicht leisten."

Schon in China musste Hamilton von ganz hinten ins Rennen gehen. Dort allerdings war die Ausgangslage anders, wie Hamilton meint: "Dort hatten wir normale Reifen. Die Luftdrücke hier sind lächerlich. So etwas hatte ich noch nie. Zusammen mit der Hitze gibt es eine extreme Blasenbildung. In China gab es im Vorjahr keine Reifenschäden, hier schon. Deshalb sind die Drücke so lächerlich hoch."

Tatsächlich ging Pirelli in Spa auf Nummer Sicher und hob die ohnehin schon recht hohen vorgeschriebenen Mindestdrücke noch einmal. Besonders, weil auch der Supersoft-Reifen auf der Ardennen-Achterbahn zum Einsatz kommt. An der Vorderachse sind 23,5 PSI, an der Hinterachse 22 PSI vorgeschrieben. "Wenn ich im Verkehr bin, werde ich wahrscheinlich nicht einmal die anvisierten Boxenstopps schaffen."

Die extremen Luftdrücke, gemeinsam mit den für Spa ungewöhnlich hohen Temperaturen von teilweise über 30 Grad im Schatten sind es auch, die Mercedes bei der absoluten Performance Probleme bereiten. "Es gibt nie den einen Grund, warum man langsamer ist, aber die Reifen und die Temperatur helfen uns nicht", sagt Mercedes Teamchef Toto Wolff. "Auf den Soft-Reifen sind wir schnell, aber wir können dann aus den Supersofts nicht mehr viel rausholen."

Dabei sollte Spa Mercedes eigentlich besonders liegen. Mercedes rechnete damit, dass Hamilton in Belgien eine verhältnismäßig einfache Aufholjagd haben würde. Wolff verteidigt die Entscheidung, die neuen Motorkomponenten hier gebracht zu haben: "An einem gewissen Punkt mussten wir diese Strafe nehmen. Wenn man sich aber jetzt die Abstände ansieht, wird es für ihn morgen vielleicht schwierig, sich zu auf eine gute Position vorzuarbeiten. Im Nachhinein - wenn wir das gewusst hätten - wäre Monza vielleicht die bessere Entscheidung gewesen. Aber ich bin 100 Prozent überzeugt, dass es auf Grundlage der Parameter, die wir zu Spa hatten, richtig war, die Strafe hier zu nehmen."

Der Vorteil: Hamilton bekommt die neuen und sogar um fünf Token aufgerüsteten Teile früher. "Außerdem wäre es nicht einmal sicher gewesen, das der alte Motor das Rennen hier überstanden hätte. Er befand sich schon in Hockenheim in den letzten Runden seines Lebens. Ich habe zuletzt nur noch auf meine Motoren aufgepasst, jetzt kann ich wieder angasen."

Hamilton mit gedämpften Erwartungen

Ob der vielen Probleme geht es für Hamilton am Sonntag in Spa nur noch um Schadensbegrenzung: "Die Top-10 sind das Ziel, das Podium scheint unmöglich. Hoffentlich liege ich falsch." Tiefstapelei oder eine ehrliche Einschätzung? "Wenn es morgen heiß wird, wird es für ihn schwer, sich auf eine annehmbare Position zu verbessern", glaubt auch der Teamchef.

Und selbst die Konkurrenz hat Lewis Hamilton nicht wirklich auf dem Zettel. "Wenn uns im Rennen niemand aufhält, der nicht vor uns sein sollte, werden wir ihn wohl nicht im Spiegel sehen", meint Daniel Ricciardo, der von Startplatz fünf aus ins Rennen geht. "Wenn wir unser optimales Rennen fahren, werden wir ihn nicht sehen. Aber er wird natürlich durchs Feld kommen. Ich denke, wenn wir Top-5 alles richtig machen, wird er uns nicht einholen."