Die Ferrari-Hospitality am Donnerstag des Ungarn GP ist proppenvoll. Alle Journalisten warten auf Sebastian Vettel. Der viermalige Weltmeister ist - wie so oft - einige Minuten zu spät. Ferraris Pressesprecher versucht die Wartezeit zu überbrücken: "Seb ist jetzt auf dem Weg hierher. Schlechte Nachricht für die deutschen Medien: Er wird seinen Rücktritt nicht bekanntgeben."

Der kleine Scherz des Pressesprechers ging in Richtung eines bestimmten deutschen Journalisten. Der hatte zuvor um die Aussage von Christian Horner, Vettel würde bei Ferrari die Lust verlieren und 2018 für Mercedes fahren, eine Geschichte konstruiert. Es war nicht die einzige Geschichte, über die sich Ferrari in dieser Woche ärgern musste. Italienische Medien vermeldeten, dass James Allison, Technischer Direktor der Scuderia, nach Zerwürfnis mit Präsident Sergio Marchionne, seinen Hut nehmen müsse.

Am Medientag, dem Donnerstag vor dem Grand Prix, stehen bei Ferrari traditionell die beiden Piloten Rede und Antwort. Weil Kimi Räikkönen zu diesen Themen wohl kaum interessante Aussagen zu entlocken sind, bekommt Sebastian Vettel vor dem Ungarn GP die volle Ladung.

Sebastian, es gab Kommentare von Christian Horner, dass du dich bei Ferrari nicht mehr wohl fühlst und deshalb 2018 für Mercedes fährst...
Sebastian Vettel: Bis heute war er ziemlich zuverlässig, aber ich weiß nicht, mit wem er da gesprochen hat und was in seinem Kopf vorging. Es ist interessant, dass manche Leute solche Ideen haben, jeder darf Ideen haben...

Gut, dass er das alles so weiß, ohne mit mir zu sprechen. Ich denke, es ist normal, dass immer irgendwo etwas gesagt wird und dass Fetzen daraus gezogen werden und versucht wird, das Ganze ein bisschen aufzublasen. An dem Ganzen ist nichts dran, ich fühle mich sehr wohl. Wir alle bei Ferrari sind nicht ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie diese Saison begonnen hat, denn die Ziele sind sehr hoch. Aber es hat sich nichts geändert. Wir sind alle hochmotiviert und drauf und dran, dafür zu sorgen, dass Ferrari sehr bald wieder ganz oben steht.

Was bewirkt die Personalie James Allison?
Sebastian Vettel: Wie, was er bewirkt? Das ist ganz klar, er ist unser Technischer Direktor und damit verantwortlich für die wichtigsten Dinge, dass alles zusammenkommt. Er ist verantwortlich für das Auto, er und sein ganzes Team sind drauf und dran, aber daran ändert sich nichts.

Geht er oder bleibt er?
Sebastian Vettel: Ich wüsste es, wenn er geht. Wenn wir das so lesen, was geschrieben wird, können wir nur darüber lachen. Vielleicht wisst ihr ja mehr, wir sollten aber mehr wissen...

Ist das dein schwierigstes Jahr? Wie kommst du mit den Rückschlägen klar?
Sebastian Vettel: Nein, das glaube ich nicht. Man muss kein Genie sein: Wir sind bei drei Rennen nicht ins Ziel gekommen. Wenn wir die Rennen beendet hätten, würden die Dinge ganz anders aussehen. Wenn man sich die Leute ansieht, mit denen ihr uns vergleicht, die haben die meisten dieser Rennen beendet. Sicherlich ist es nicht so gelaufen, wie wir wollten, wir sind nicht da, wo wir sein wollen, aber es ist nicht so schlecht. Ich musste nicht mit großen Rückschlägen oder so zurechtkommen. Insgesamt ist es nicht die schwierigste Saison die ich je hatte. Es gab bessere Starts, aber vor zwei Jahren zum Beispiel war es schwieriger.

Ist es so schwierig, weil ihr im letzten Jahr die Messlatte gleich so hoch gesetzt habt?
Sebastian Vettel: Ich denke schon, dass die Ziele zu erreichen waren, aber wir haben es nicht geschafft. Dafür gibt es Gründe, aber es ist auch kein Versagen - um Gottes Willen. Hie und da wissen wir, woran es liegt, es ist aber nicht ganz so einfach, sofort zu reagieren. Die anderen schlafen auch nicht. Man sieht deutlich, dass unser Auto schneller ist als letztes Jahr, aber die anderen haben auch dazugewonnen. Aus dem nichts heraus alles anzuzweifeln wäre extrem falsch. Unser Anspruch ist klar, der hat sich nach dem letzten Jahr sicherlich dahingehend bestätigt, dass man gewinnen will. Wenn man im Jahr vorher Zweiter wird, dann greift man den Führenden an. Das ist uns ernsthaft bislang noch nicht gelungen aber wir sind drauf und dran.

Vettel fühlt sich weiter bei Ferrari wohl, Foto: Sutton
Vettel fühlt sich weiter bei Ferrari wohl, Foto: Sutton

Habt ihr irgendeinen Plan, wie ihr Weltmeister werden wollt? Es sieht so aus, als würdet ihr mit Schrot schießen...
Sebastian Vettel: Die Frage ist, woher sich der Eindruck bildet. Als Außenstehender sieht man nicht sehr viel. Ich sehe da ein bisschen mehr. Es gibt nicht irgendeinen Plan, sondern einen sehr definierten Plan. Ich habe oft genug gesagt, dass wir in diesem Jahr darauf gehofft hatten, von Anfang an konkurrenzfähiger zu sein. Nun war es nicht so, aber das Auto macht Fortschritte. Von Anfang bis jetzt. Wir haben bislang sehr viele Dinge gelernt, die man aber nicht in der Woche drauf umsetzen kann. Das dauert ein bisschen und braucht ein bisschen Zeit. Wir haben ja noch ein paar Rennen Zeit.

Aber Italiener sind anders, sie haben immer hohe Erwartungen an Ferrari, vielleicht sind auch die italienischen Medien einen Tick ungeduldiger. Wie wird das im Team aufgenommen?
Sebastian Vettel: Für uns ist es eigentlich kein so großes Thema. Ich glaube auch nicht, dass sich die Italiener darin groß unterscheiden. In dieser Hinsicht scheint die italienische Presse der deutschen Presse sehr ähnlich zu sein. Dass man sich, statt das Gute und Positive zu sehen, eher darauf konzentriert, was man schlechtreden kann. Ich glaube, das ist vielleicht interessanter zu schreiben oder zu berichten. Das finde ich ein bisschen schade, denn das Problem dabei ist, dass die Leute die Sachen teilweise auch lesen und man dann denkt: Was ist jetzt? Stimmt irgendetwas nicht? Ich glaube, bei den meisten Sachen, die in diesem Jahr geschrieben wurden, kann man pauschal sagen, dass es Quark ist. Aber gut, wir schreiben es ja nicht, deswegen muss man es so hinnehmen. Ich glaube, dass alle im Team wissen, was Sache ist. Das wird oft genug erklärt, deshalb ist es kein so großes Thema.

Und wenn die Fans ungeduldig werden?
Sebastian Vettel: Schuld daran, seid ihr! Der ganze Stress kommt nicht von uns. Wir springen nicht nach jeder Session raus uns sagen, dass alles Mist ist, wir müssen alles ändern und Leute rausschmeißen. Das ganze Missverständnis basiert darauf, dass nicht ordentlich recherchiert und geschrieben wird. Man sieht es ja: Irgendein Kommentar wird hochgenommen und in die Luft gehängt und dann wird sich daran aufgegeilt, obwohl es gar nichts zu bereden gibt.

Ich muss immer wieder hier sitzen und muss erklären, was Sache ist, wobei es eigentlich jedem klar sein sollte, der den Beruf hat, darüber zu schreiben oder zu berichten, weil es letzten Endes die Aufgabe ist, da zu sein und zuzuschauen, was passiert. Wir haben nie da gestanden und gesagt: Schaut her, hier kommen die Wunder! Unser Anspruch war immer realistisch. Wir waren die Ersten, die die Hand gehoben und gesagt haben, dass wir noch nicht da sind, wo wir sein wollen.

Aber von heute auf morgen, vom einen Rennen aufs andere wird sich nichts ändern. Es ist ganz normal, Druck zu haben. Den machen wir uns selbst mehr als er von außen gemacht werden kann. Aber man muss fair sein mit dem, was man sagt und was man den Leuten erklärt. Da läuft sehr viel schief und das ist nicht richtig. Da bekommen die Leute einen falschen Eindruck und haben dann vielleicht falsche Erwartungen.

Vettel hinkt mit Ferrari der Konkurrenz noch hinterher, Foto: Sutton
Vettel hinkt mit Ferrari der Konkurrenz noch hinterher, Foto: Sutton

Wo fehlt es euch Performanc-technisch denn noch?
Sebastian Vettel: Bei der Power Unit fehlt uns noch ein wenig, da haben wir noch ein bisschen Luft. Aber die Schritte, die wir in den letzten Monaten machen konnten, sind herausragend. Ich glaube, keiner hat so große Schritte gemacht wie wir. Aber trotzdem: Wir sind noch nicht fertig, weil wir noch nicht ganz an der Spitze sind.

Beim Auto ist es ähnlich, da ist es komplexer, da gibt es mehrere Dinge, die man in Betracht ziehen kann. Wie die Formel 1 heute aufgebaut ist, dreht sich alles um die Aerodynamik, den Rest baut man so ein bisschen drum herum. Es ist fair zu sagen, dass wir da nicht die besten sind, uns fehlt da noch ein bisschen.

Aber auch, was die Aerodynamik an sich angeht, kann man noch aufteilen: Es ist nicht nur Downforce, sondern auch aerodynamische Effizienz. Damit man nicht zu viel Widerstand auf der Geraden mit sich zieht. Alles muss zusammenspielen. Wie immer gibt es nicht eine Sache, die uns im Weg steht, es sind viele kleine Dinge, deshalb wird es nicht von heute auf morgen gelöst werden. Man darf aber nicht vergessen, wo wir Anfang des letzten Jahres oder zuvor gestanden sind und wo wir jetzt stehen. Das kann sich schon sehen lassen.

Aber nicht nur die Nachrichtenlage um Ferrari brachte Vettel vor dem Ungarn GP auf...

Die Funk-Regeln wurden hier noch einmal überarbeitet. Was hältst du davon?
Sebastian Vetel: Kompletter Bullshit. All die Radio-Probleme die wir hatten, das ist ein Witz. Ich habe mir das Rennen [Silverstone] mal angesehen und fand es als Zuschauer ziemlich unterhaltsam, einen Fahrer ein bisschen panisch am Radio zu hören und das Team, das gleichzeitig panisch wurde. Ich finde, das zeigt das Menschliche ein wenig in unserem Sport, der technisch sehr kompliziert ist. Das ist der falsche Weg. Es wurde sehr viel beim Radio gebannt, aber ich verstehe nicht, warum.

Wenn man etwas ändern will, dann ändern wir doch die Autos. Ich habe kein Problem damit, zurück zu V12-Motoren zu gehen, manuelle Getriebe und zwei Knöpfe zu haben, einen für Speed-Limit, einen als Bestätigungs-Knopf.

All die Knöpfe, die wir auf dem Lenkrad haben, sind aus einem Grund da. Es ist nicht so, dass wir sagen: Ah, wir können Knöpfe machen, lasst uns sie auf das Lenkrad packen. Früher waren die Lenkräder einfacher, weil die Technologie einfacher war. Aber nicht wir Fahrer sind schuld daran, dass die Autos heutzutage so kompliziert sind, dass man eine dicke Bedienungsanleitung braucht und so viele Knöpfe, um es zu fahren. Wir gehen in die falsche Richtung. Lasst uns einfach dahin zurückgehen, dass wir sagen dürfen, was wir wollen.

Die Fans stehen weiter hinter Sebastian Vettel, Foto: Sutton
Die Fans stehen weiter hinter Sebastian Vettel, Foto: Sutton

Hier werden zum ersten Mal auch die Track-Limits elektronisch überwacht. Was hältst du davon?
Sebastian Vettel: Das ist keine gute Idee. Dann muss die FIA dafür sorgen, dass keine Strecken gebaut werden, auf denen es schneller ist, neben der Strecke zu fahren als auf. Ich bin heute Morgen um die Strecke gegangen und fand es ziemlich enttäuschend. Der Streckenbetreiber musst hier wohl viel Geld ausgeben, um bestimmte Kerbs zu installieren. Und das Ergebnis ist, dass es wahrscheinlich schneller ist, neben der Strecke zu fahre als auf. Das Ziel ist es, Strecken zu bauen, auf denen man auch bleiben muss und nicht welche, auf denen man daneben fahren kann und dann Sensoren installieren muss. Das macht nicht viel Sinn. Die Kerbs sind die gleichen, die wir auf all den anderen Strecken haben. Das ist ein bisschen traurig. Für die Strecken ist es eine größere Investition, die neuen Kerbs zu installieren.

Außerdem wurde die Strecke neu asphaltiert...
Sebastian Vettel: Über den Asphalt kann man vielleicht streiten. Es war irgendwie der Charakter von Ungarn, so uneben zu sein. Wir müssen schauen, wie viel davon noch da ist. Es wäre schade, wenn alle Bodenwellen weg wären. Aber auch die Kerbs: Sie sind Charakter und Seele der Strecke. Wenn wir die gleichen Kerbs auf alle Strecken machen, dann fühlen sich alle Strecken irgendwie gleich an, nur mit unterschiedlichen Kurventypen. Aber es gibt viel mehr als nur das Layout. Bodenwellen und Kerbs geben ein gewisses Gefühl und machen es für uns im Auto möglich, einen wirklichen Unterschied zu machen. Wenn überall die gleichen Kerbs sind, nehmen wir dieses Element weg. Das ist schade. Hier haben wir die typischen Kerbs verloren, das gleiche ist schon auf anderen Strecken passiert.

Wer ist denn schuld daran, dass plötzlich überall niedrige Kerbs installiert werden? Gehen die Fahrer in ihren Sicherheitsbestrebungen zu weit?
Sebastian Vettel: Uns hat niemand gefragt, wie die Kerbs aussehen sollen. Wir wissen alle, was unser Job ist, wir lieben unseren Job. Wir wissen, was die Gefahren sind. Man kann nicht die Augen verschließen, wenn man etwas besser machen kann. Deswegen wird hie und da mal darüber gesprochen, aber ich glaube nicht, dass die Fahrer dafür verantwortlich sind. Man muss vorsichtig sein, weil man es besser machen will, aber die Frage ist, ob man den richtigen Weg wählt.

Sind die Kerbs so sicherer?
Sebastian Vettel: Darüber kann man streiten. Auf der anderen Seite fahren wir schneller durch die Kurve, weil die Kerbs uns erlauben, dass wir mehr Strecke nutzen als in den Jahren zuvor. Dann ist man schneller und wenn dann etwas schief geht... Ich will damit gar nicht anfangen, aber das Ziel, das man verfolgt, verfehlt man ein bisschen mit dieser Art von Kerbs.