Beim Heimrennen will jeder Fahrer besonders glänzen. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit besteht eine beachtliche Kluft, insbesondere, wenn es nach Spanien, Russland oder Mexiko geht. In Großbritannien sieht es schon wieder ganz anders aus. Lewis Hamilton will immer gewinnen und kann derzeit immer gewinnen. Doch er muss auch gewinnen, wenn er sich die Chancen wahren möchte, den Weltmeistertitel zu verteidigen. Derzeit liegt Hamilton lediglich elf Punkte hinter Rosberg. Das war bis Rennen sechs, dem Monaco GP, wesentlich mehr. Genauer gesagt 43 Zähler.

Nach dem Silberpfeil-Crash in Spielberg, aus dem Hamilton als Sieger und Rosberg als klarer Verlierer hervorgingen, scheint der Brite Selbstbewusstsein getankt zu haben. Im ersten Freien Training lag er vor seinem Teamkollegen. Im zweiten Freien Training musste Rosberg gar zusehen, wie sein größter Rivale im WM-Kampf die zweite Tagesbestzeit holte. Der Deutsche musste nach einem Wasserleck an seinem W07 Hybrid die zweite Freitagssession aussetzen.

Hamilton: Positiver erster Tag in Silverstone

Vorteil Lewis Hamilton also? Zwar fehlt dem Briten durch den Ausfall von Rosberg eine klare Referenz, aber durch anderthalb Stunden mehr Streckenzeit liegt der Vorteil derzeit klar auf Seiten des amtierenden Weltmeisters. "Das war ein großartiger erster Tag. Wir haben bei der Fahrzeugbalance viele positive Schritte erzielt", gab Hamilton zu Protokoll. "Es war unglaublich windig, aber das ist eine der vielen wahnsinnigen Herausforderungen auf der Strecke."

Wie sehr es Hamilton genießt, vor Heim-Publikum zu fahren, zeigte er bei seiner ersten Ausfahrt im Vormittagstraining. Er winkte seinen Fans aus dem Cockpit zu. Das ist ein lockerer Lewis Hamilton, wie wir ihn schon lange nicht mehr gesehen haben. "Durch Maggots und Becketts bis zu Stowe habe ich in meinen Helm hineingeschrieben - so aufregend war es", so der Brite voller Enthusiasmus. "Was für eine Kurvenkombination. Ganz besonders, wenn der Wind aus der richtigen Richtung kommt."

Freier Nachmittag für Nico Rosberg, Foto: Sutton
Freier Nachmittag für Nico Rosberg, Foto: Sutton

Derzeit scheint der Wind hauptsächlich von hinten zu kommen. Innerhalb von nur vier Rennen verkürzte Hamilton den WM-Abstand zu Rosberg um sagenhafte 32 Punkte. Ob und inwiefern sich der neue Verhaltenskodex bei Mercedes auf die Streithähne auswirken wird, ist noch unklar. Klar ist jedoch, dass Hamilton weit weniger von Teamanweisungen hält als Rosberg. Beim Debüt in Mexiko 2015 holte das Team den in Führung liegenden Deutschen zu einem außerplanmäßigen Sicherheitsstopp an die Box. Als Hamilton, der dadurch die Führung erbte, an die Box beordert wurde, weigerte er sich zunächst. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich einfach nicht der Entscheidung zugestimmt, einen zweiten Stopp einzulegen", sagte der Brite nach dem Mexiko GP. Doch schließlich musste er klein bei geben, wenn auch zähneknirschend. "Diesmal war ich mir im ersten Moment nur eben nicht ganz sicher. Wie sich herausgestellt hat, gab es dann auch eine Safety-Car-Phase. Ich vertraue den Jungs komplett und wir haben als Team immer noch einen Doppelsieg geholt", so Hamilton.

So knabberte Hamilton den WM-Rückstand ab

Rosberg konnte den Schwung aus den letzten drei Rennen 2015 offensichtlich mit in die neue Saison nehmen. Eindrucksvoll verwies er Hamilton in den ersten vier Rennen 2016 in die Schranken. Nach dem fünften Rennen, dem Großen Preis von Spanien, kippte die Stimmung in Richtung Hamilton. Die beiden gerieten kurz nach Start aneinander, als Hamilton versuchte, am Deutschen vorbeizuziehen. Doppelausfall für Silber, 43 WM-Punkte verschenkt.

Monaco GP: In einem turbulenten Rennen sah Red Bull-Pilot Daniel Ricciardo lange als sicherer Sieger aus. Während Rosberg mit einem technischen Problem zu kämpfen hatte und viel Zeit verlor, ließen die Bullen Ricciardo beim Boxenstopp mit einem desaströs langen Reifenwechsel im Stich. Hamilton konnte sich vorne behaupten. Während der Brite mit Ricciardo erfolgreich um den Sieg kämpfte, backte Rosberg hinten kleinere Brötchen. Hamilton gewann, Rosberg wurde nur Siebter.
Rückstand Hamilton auf Rosberg: 24 Punkte

Kanada GP: In Kanada deutete sich bereits an, was in Österreich einige Wochen später seinen bisherigen Höhepunkt fand. Hamilton startete von Pole, Rosberg kam etwas besser weg. In Kurve eins lag der Brite innen und drückte Rosberg raus aufs Gras. Der Deutsche fiel zurück, Hamilton gewann die Kiste. Rosberg war nach dem Rennen sichtlich sauer: "Es hat schon am Start angefangen. Wir waren Seite an Seite in Kurve 1 und ich musste es versuchen. War ja nicht das erste Mal. Ich habe es wieder probiert - und es hat wieder nicht funktioniert. In dem Moment war ich extrem sauer, aber es war harter Rennsport."
Rückstand Hamilton auf Rosberg: 9 Punkte

Europa GP: Hamilton frustriert, Foto: Sutton
Europa GP: Hamilton frustriert, Foto: Sutton

Europa GP: Während Hamilton bereits in Q3 seinen Boliden gegen die Leitplanke setzte, holte Rosberg die Pole. Im Rennen war der Brite mit sämtlichen Reglern und Knöpfen auf seinem Lenkrad überfordert, sein Teamkollege holte hingegen souverän den fünften Saisonsieg. Hamilton betrieb Schadensbegrenzung und überquerte als Fünfter die Ziellinie.
Rückstand Hamilton auf Rosberg: 24 Punkte

Österreich GP: Spielberg ist nach wie vor in aller Munde. Schließlich führte die Kollision zwischen Hamilton und Rosberg so weit, dass die Führungsriege einen neuen Verhaltenskodex und Regeln einführen musste, um die beiden Streithähne im Zaun zu halten. Das Szenario: Die Silberpfeil-Piloten kämpften in der Schlussphase des Österreich GP hart. In der letzten Runde versuchte Hamilton vor der Haarnadel, außen an Rosberg vorbeizukommen. Der Deutsche lenkte später ein und drängte damit Hamilton von der Strecke. Damit demolierte sich Rosberg nicht nur den Frontflügel, sondern wurde auch noch von der Rennleitung bestraft. Hamilton gewann, Rosberg wurde Vierter.
Rückstand Hamilton auf Rosberg: 11 Punkte