Lewis Hamilton war der große Verlierer beim Qualifying zum Europa Grand Prix. Nach seiner Dominanz in den Trainings erlebte der Mercedes-Pilot anschließend ein Debakel. Beim Kampf um die Pole Position verbremste sich Hamilton in Kurve 11 und knallte mit seinem Silberpfeil in die Streckenbegrenzung. Nur Startplatz 10 für den Weltmeister beim allerersten Rennen in Baku. Teamkollege Nico Rosberg souverän auf Pole - schlimmer hätte es kaum kommen können. Motorsport-Magazin.com analysiert: Das lief bei Hamilton völlig falsch.

1. - Fehler ohne Ende im Qualifying

Hamilton fuhr in Baku das vermutlich schlechteste Qualifying seiner Formel-1-Karriere. Insgesamt dreimal unterlief ihm am Samstag ein Fehler. Im entscheidenden Q3 gleich zweimal auf den beiden schnellen Runden, die das Team einkalkuliert hatte. "Es war nichts Spezielles", sagte Hamilton anschließend mehr als kurz angebunden. Aus seiner schlechten Laune machte er kein Geheimnis: "Hatte nichts mit jemand anderem zu tun. Ich bin einfach keine guten Runden gefahren."

Nach dem katastrophalen Qualifying wollte der Weltmeister einfach nur noch weg, keine Fragen mehr beantworten. "Lewis ist so angepisst, er kann es gar nicht glauben", sagte Niki Lauda zu Motorsport-Magazin.com. "Ich verstehe das. Nächstes Mal wird ihm das nicht mehr passieren." In der Runde vor seinem Einschlag verbremste er sich ebenfalls, musste den Notausgang nehmen. Damit zerstörte er gleichzeitig die Runde von Teamkollege Nico Rosberg.

2. - Warum kam Hamilton nicht klar?

Die Trainings am Freitag dominierte Hamilton nach Belieben, strahlte ein fast schon unglaubliches Selbstvertrauen aus. Hamilton eben, wenn es läuft. Am Samstag lief allerdings gar nichts mehr, schon im 3. Training fühlte er sich nicht wohl im Silberpfeil. "Am Auto lang es nicht, ich habe einfach nicht in meinen Rhythmus gefunden", sagte er. Aber: Mercedes hatte von Freitag auf Samstag etwas umgebaut - nicht zum Wohle Hamiltons: "Ich konnte nicht mehr dort bremsen, wo ich am Freitag noch gebremst habe. Das Auto fühlte sich anders an, war aber immer noch gut genug für Pole."

Nachfrage bei Toto Wolff: Was genau haben die Ingenieure am Silberpfeil über Nacht verändert? Der Motorsportchef: "Wir haben Dinge ausprobiert. Er war nach dem 3. Training nicht happy. Es ist aber nicht so, dass wir das Auto auf den Kopf gestellt hätten. Es waren marginale Setup-Anpassungen. Wie man sehen konnte, war er in den Sektoren, in denen er keine Fehler gemacht hat, sehr schnell." Rosberg lag der Silberpfeil unterdessen perfekt, er sicherte sich seine 25. Pole in der Formel 1.

Abgeschleppt: Früher Feierabend für Lewis Hamilton in Baku, Foto: Sutton
Abgeschleppt: Früher Feierabend für Lewis Hamilton in Baku, Foto: Sutton

3. - Hat Hamilton zu viel riskiert?

Es war offensichtlich, dass Mercedes in Baku in einer eigenen Liga fährt. Frage: Hätte es Hamilton im Q3 nicht etwas langsamer angehen können? Ein paar Prozent weniger, um auf dem tückischen Straßenkurs bloß keinen Unfall zu haben? Laut Hamilton sei diese Herangehensweise keine Option gewesen. "Offensichtlich nicht", sagte er auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Ich habe es nicht in Betracht gezogen, sonst hätten wir es ja gemacht. Du fährst nicht langsamer, um in den Rhythmus zu kommen."

Unterstützung gab es in dieser Hinsicht von Toto Wolff. Hamilton sei sowieso kein konservativer Fahrer, so der Österreicher. Und dann wäre da ja noch Rosberg im Nacken... Wolff: "Es ist auch sehr schwierig ins Auto zu steigen und defensiv zu fahren, wenn dein Auto die Benchmark ist und dein Hauptrivale der Teamkollege ist. Da die Balance richtig hinzubekommen, ist sehr schwer." Etwas anders sah es Niki Lauda. Auf die Frage, ob Hamilton so viel riskieren musste: "Ich denke nicht. Das weiß er auch selber. Jeder kann mal einen Fehler machen, das ist normal. Ich beschwere mich nicht über ihn."

4. - War Hamilton zu schlecht vorbereitet auf Baku?

Am Donnertag machte Hamilton Schlagzeilen. Keine Lust auf Simulator oder Trackwalk, neue Strecken würde er sowieso nach ein paar Runden kennenlernen. Mit diesen Aussagen machte er sich nicht nur Freunde im Fahrerlager. Der Unfall im Qualifying war natürlich Wasser auf den Mühlen der Kritiker. Hier stellte sich der Kommandostand öffentlich jedoch geschlossen vor Hamilton. Niki Lauda klipp und klar: "Nein, das bezweifle ich. Der Unfall passierte, weil er zu nah an der Mauer fuhr."

Auch von Toto Wolff gab es zumindest in der Öffentlichkeit keine Schelte. Wobei nicht auszuschließen ist, dass das Thema intern noch einmal durchgesprochen wurde. "Man muss akzeptieren, dass sich jeder so vorbereitet wie er es für sich am besten hält", sagte Wolff diplomatisch. "Er hat viele Rennen und Titel gewonnen. Ich denke, das müssen wir ihm überlassen, ob ihm ein Trackwalk hilft oder nicht. Es hat in der Vergangenheit für ihn funktioniert."

5. - Was ist im Rennen am Sonntag drin?

Platz 10 auf einem Stadtkurs - keine gute Ausgangslage, um ein Rennen zu gewinnen. Unmöglich sei es nicht, glaubte Hamilton. Große Chancen rechnete sich der Brite aber nicht aus. "Wir haben ein gutes Auto und die Pace", sagte er. "Wenn wir keinen Fehler machen, sind gute Punkte drin. Ab jetzt ist es für mich Schadensbegrenzung." Die Strecke ist an vielen Stellen breit genug, um zu überholen. Hinzu kommt die 2 km lange Gerade, auf denen es einige Positionswechsel mithilfe des DRS geben sollte.

Selbst Teamkollege Rosberg war sicher, dass Hamilton noch lange nicht abgeschrieben ist. "Ich erwarte eine Aufholjagd von Lewis", so der Pole-Setter. "Er startet zwar nur vom zehnten Platz, aber er hat zuletzt schon gezeigt, dass er selbst vom Ende des Feldes noch auf Platz zwei vorfahren kann." 2014 schaffte es Hamilton in Hockenheim und in Ungarn vom 20. respektive 22. Startplatz jeweils auf Platz drei.

Aufhängung platt: Hamiltons Mercedes nach dem Unfall in Baku, Foto: Sutton
Aufhängung platt: Hamiltons Mercedes nach dem Unfall in Baku, Foto: Sutton

6. - Was kann Hamilton helfen?

Safety-Car-Phasen! Aus Hamiltons Sicht würde das Rennen im Idealfall so verlaufen: Er kommt unbeschädigt durch die Startphase, während die Top-Fahrer an der Spitze wegziehen. Dank seines Super-Silberpfeils macht er in den ersten Runden ein paar Positionen gut - dann kommt das Safety Car raus und führt das gesamte Feld wieder zusammen. Ein guter Boxenstopp und etwas Pech bei der Konkurrenz... der Sieg ist sicherlich kein Ding der Unmöglichkeit.

"Ich denke, dass Safety Cars für mich ein Segen sein können", meinte auch Hamilton. Selbst die direkte Konkurrenz war sicher, dass der dreifache Weltmeister eine Rolle im Baku-Rennen spielen wird. Helmut Marko zu Motorsport-Magazin.com: "Hamilton kommt von hinten und vor allem wird es Safety-Car-Phasen geben. Den Vorsprung, den Rosberg rausfahren kann, nehme ich an, dass er schrumpfen wird. Mit Hamilton ist voll zu rechnen, wenn er nicht wieder irgendeinen Fehler macht." Werde laut Niki Lauda auch nicht der Fall sein, er habe daraus gelernt. Einen Sieg hielt der Aufsichtsratsvorsitzende von Mercedes jedoch nicht für realistisch.

7. - Was ist mit den kaputten Reifen?

Laut Reglement muss ein Fahrer das Rennen auf den Reifen beginnen, mit denen er im Q2 seine persönliche Bestzeit erzielt hat. Das könnte für Hamilton ein Problem werden, nachdem er sich die Reifen infolge eines Verbremsers beschädigte. "Keine Ahnung, was damit vor dem Rennen passiert", murrte Hamilton während der Medienrunde. "Alle meine Reifen haben Bremsplatten."

Etwas mehr wusste das Team in Form von Toto Wolff, der große Blasen und einen Bremsplatten an Hamiltons Reifen bestätigte. "Laut Regularien kannst du dann den Reifen wechseln, wenn es eine Sicherheitsfrage ist", erklärte er. "Das werden wir mit der FIA abchecken. Eine genaue Antwort kann ich noch nicht geben."