Er ist wieder da - falls er überhaupt jemals wirklich weg war. Lewis Hamilton fuhr in Montreal zur 53. Pole Position seiner Karriere und ließ endgültig jene Zweifler verstummen, die den Weltmeister nach zuletzt zwei Titeln in Folge bereits auf dem absteigenden Ast der Lustlosigkeit vermuteten. Auf dem Circuit Gilles Villeneuve befand sich Hamilton vor allem im ersten Sektor in einer eigenen Liga, in den beiden verbliebenen Streckenabschnitten konnte Teamkollege und Dauer-Kontrahent Nico Rosberg zulegen, ohne dem Briten jedoch die Pole streitig machen zu können.

Dementsprechend war Hamilton mit seiner Performance nicht ganz zufrieden. Am Ende des Qualifyings lag der 31-Jährige 0,062 Sekunden vor Rosberg, Sebastian Vettel folgte nur eine weitere Zehntelsekunde dahinter. Ein enges Ergebnis gemessen an der sonst gewohnten Routine der Silberpfeile. Dieses knappe Resultat wäre aber laut Hamilton gar nicht zustande gekommen, wenn er eine gute Runde erwischt hätte.

Pole-Runde am hinteren Ende der Karriere

"Ich denke, es gibt immer Raum für Verbesserungen. Ehrlich gesagt war es kein gutes Qualifying für mich, was die Runden betrifft. Die waren nicht gut. Meine Pole-Runde befindet sich am hinteren Ende aller Pole-Runden, die ich bislang gefahren bin", stellte er nach der Qualifikation klar. Seine letzte Runde hatte Hamilton in den Sand gesetzt, ebenso wie Rosberg, der sich in Kurve 1 gleich komplett verbremste.

Den Grundstein legte Hamilton im ersten Sektor, wo er die Konkurrenz - inklusive Rosberg - deutlich deklassierte. Grundsätzlich gehört das Layout zu seinen Lieblingsstrecken im Kalender. "Diese Strecke scheint mir immer zu liegen. Es kommt vor allem aufs Bremsen an und ich war schon seit meinen Kindertagen immer ein Spätbremser", erklärt er die Besonderheiten des Kurses. "Wahrscheinlich liegt die Strecke deshalb meinem Stil so. Das könnte auch der Grund sein, warum ich vor allem im ersten Sektor so stark bin. Es macht sehr viel Spaß, hier zu fahren. Man erreicht hohe Geschwindigkeiten und springt über die Kerbs - es ist wie eine Formel 1-Go-Kart-Strecke", beschreibt Hamilton, warum der Fun-Faktor beim Kanada GP besonders groß ist.

Trotz dieser Zuneigung war die Ausgangslage vor dem Qualifying nicht ganz klar. Am Freitag nahm Hamilton den Kontrahenten noch fast eine halbe Sekunde ab. Im dritten Freien Training am Samstagmorgen fielen die letzten Versuche aufgrund des Unfalls von Kevin Magnussen ins Wasser. Die Konkurrenz aber wirkte deutlich stärker. Zudem waren die Temperaturen niedriger als in den ersten Sessions. Als es schließlich ernst wurde, ging es eng zu. "Um ehrlich zu sein, spielt es keine Rolle, wie weit du vorne bist, solange du vorne bist", zeigt sich Hamilton unbeeindruckt.

Lewis Hamilton wirkte nach dem Qualifying tiefenentspannt, Foto: Sutton
Lewis Hamilton wirkte nach dem Qualifying tiefenentspannt, Foto: Sutton

Absolute Gelassenheit bei Hamilton

"Natürlich gab es im Training eine deutlich größere Lücke und ich hatte heute nicht die Pace des gestrigen Tages, aber es war immer noch genug", wischt Hamilton jegliche Diskussionen beiseite. Das enge Feld sorge gar für Attraktivität. "Es war definitiv noch mehr Zeit drin, aber für die Fans ist es doch toll zu sehen, wie knapp wir alle beieinander sind."

Ein Argument, das keinen Fahrer wirklich kümmern würde, wenn er deshalb den Verlust eines Sieges riskieren würde. Gibt er sich so gelassen, weil er weiß, dass Mercedes bei normalem Verlauf klar überlegen ist? Für das Rennen am Sonntag erwartet er zumindest starke Konkurrenz, besonders in rot. "Ferrari hat die Pace aufgrund ihrer Upgrades nach oben geschraubt. Das ist hier eine tolle Strecke, um den Speed des Autos zu testen", verweist der dreimalige Weltmeister auf den neuen Turbolader, den die Scuderia mit nach Kanada gebracht hat. Der Brite gibt sich gewarnt. "Ich denke, ihre Long Runs sind sehr stark. Ich weiß nicht, ob sie so gut waren wie unsere, aber wir sollten es morgen sehen."