Drei Jahre lang ging fast alles gut, selbst Spa 2014 war kein Vergleich mit dem Silber-Gau in Barcelona am vergangenen Wochenende. Nico Rosberg und Lewis Hamilton kollidierten in der ersten Runde des Spanien GP und strandeten beide spektakulär im Kiesbett. Aus der Traum vom fünften Saisonsieg und vom achten Sieg in Folge für Nico Rosberg. Statt Champagner und Freudentaumel gibt es bei Mercedes nach dem Rennen eher Frustbier und Katerstimmung.

Noch immer streitet sich die Formel-1-Welt darüber, wer an der Kollision Schuld hat. Rosberg, weil er Hamilton die Tür zu spät und dann zu extrem zugemachtt? Oder Hamilton, weil er statt zu versuchen, die Kollision zu verhindern, voll auf dem Gas bleibt und auf dem Gras überholen will? Die Stewards ahndeten de Zwischenfall als Rennunfall.

Über den Unfall selbst lässt sich streiten. Interessanter als der Kontrollverlust von Hamilton und dem anschließenden Zusammenstoß mit Rosberg ist das, was zuvor passierte. Weil Rosbergs Motor im falschen Setting war, hatte der Deutsche zu wenig Leistung - so viel steht fest.

Das falsche Motormapping spielte beim Unfall eine große Rolle: Hamilton sah Rosbergs Warnlampe aufleuchten. Die signalisiert, dass die MGU-K keine 163 Zusatz-PS liefert. Hamilton witterte also seine Chance: Jetzt oder nie. Als Hamiltons Frontflügel neben Rosbergs Hinterrad ist, beträgt der Geschwindigkeitsunterschied satte 17 Stundenkilometer. Wegen der hohen Geschwindigkeitsdifferenz kommt es dann überhaupt zum Silber-GAU.

Rosberg: Darüber will ich lieber nicht reden

Die Checkliste ist rechts neben dem Display, Foto: Sutton
Die Checkliste ist rechts neben dem Display, Foto: Sutton

Die Gretchenfrage lautet nun: Warum war Rosbergs Motor im falschen Mapping? Nach dem Rennen meinte Rosberg noch: "Das wissen wir noch nicht, das müssen wir uns noch ansehen." Motorsport-Magazin.com traf den WM-Führenden bei den Testfahrten zwei Tage später. "Darüber will ich lieber nicht reden", meinte er zu diesem Thema nur - mit einer Mimik, die sagte: 'Weil ich sonst sagen müsste, dass ich den falschen Modus gewählt habe.'

Auch die Entscheidung der Stewards lässt erahnen, dass Rosberg selbst für die falsche Einstellung verantwortlich war. "Der Zwischenfall startete, als Auto Nummer sechs in einen falschen Power-Modus gegangen ist, den der Fahrer vor dem Start gewählt hat."

Bei Force India gibt es auch eine Checkliste am Lenkrad, Foto: Sutton
Bei Force India gibt es auch eine Checkliste am Lenkrad, Foto: Sutton

Interessant: Rosberg hat auf seinem Lenkrad eine Art Bedienungsanleitung kleben, wie das Prozedere vor dem Start aussieht. Nach dem Check der Bremsbalance steht 'Strat 3'. Hierbei handelt es sich um das Motormapping. Die entsprechende Legende klebt unter dem Display: 'Strat 3' ist für den normalen Rennmodus gedacht. 'Strat 4' ist der Qualifikationsmodus.

Lewis Hamilton verzichtet auf eine Anleitung, Foto: Sutton
Lewis Hamilton verzichtet auf eine Anleitung, Foto: Sutton

Auf den Onboard-Aufnahmen ist zu erkennen, dass Rosberg im Modus 'Strat 12' losfährt. Diesen Modus verwenden die Piloten in der Einführungsrunde. Hier braucht man keine Leistung. Hier geht es nur darum, die Batterie komplett aufzuladen, damit in der ersten Runde volle Leistung abgerufen werden kann.

Rosberg aber vergaß offensichtlich, den Drehregler in Position drei zu bringen - trotz Anleitung. Teamkollege Hamilton, der fast eine komplett andere Lenkrad-Konfiguration fährt, verzichtet auf eine Anleitung. Auch die anderen Piloten im Feld verzichten größtenteils auf die Checkliste. Lediglich Force India hat ähnliche Aufkleber auf dem Lenkrad. Warum Rosberg die Umstellung vergaß, ist fraglich.

Anfang 2015 hatte Rosberg noch keine Anleitung am Lenkrad kleben, Foto: Sutton
Anfang 2015 hatte Rosberg noch keine Anleitung am Lenkrad kleben, Foto: Sutton

Am Start kam der WM-Führende trotz falscher Motoreneinstellung gut weg. So gut, dass er sogar an Hamilton vorbeigehen konnte. Auch hierfür gibt es eine Erklärung: Beim Start befinden sich die Autos in einem speziellen Launch-Modus von der FIA. Dieser wird nach dem ersten Bremsmanöver deaktiviert. Der Modus ist da, damit niemand beim Startprozedere mit der Elektronik tricksen kann. Er überschreibt alle anderen Programme - somit sind Manipulationen ausgeschlossen.

Ende 2015 hatte Rosberg eine Mini-Anleitung, Foto: Sutton
Ende 2015 hatte Rosberg eine Mini-Anleitung, Foto: Sutton

Rosberg hat die Anleitung übrigens noch nicht immer auf seinem Lenkrad kleben. Zu Beginn der letzten Saison war die Karbon-Oberfläche noch unbeklebt. Erst, als die Start-Regeln verschärft wurden und die Fahrer wieder selbst mehr am Start-Prozedere beteiligt waren, ließ sich Rosberg den Spicker aufs Lenkrad kleben.

Mercedes-intern gibt es keinen Schuldigen. Mercedes behandelt den Zwischenfall wie die Kommissare als Rennunfall. Für die Fabrik bedeutet der Unfall Überstunden. Unmittelbar nach dem Unfall klingelten in Brackley schon die Telefone. "Zuerst haben wir zehn Sekunden lang die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber dann haben wir uns schon Gedanken darüber gemacht, wie es weitergeht", verrät Mercedes' Leitender Geschäftsführer Rob Thomas.

So läuft der Wiederaufbau der Boliden

"Wenn so etwas passiert, sind wir hungrig nach Informationen", so Thomas. "Wir konnten vom Unfall sehen, dass es eine Menge Schaden gibt. Die ersten Mails gingen an die Abteilung Verbundwerkstoffe. In der Mail hieß es: Das nächste Wochenende sind alle da."

Die erste richtige Analyse findet statt, sobald die Autos zurück in der Garage an der Strecke sind. Sofort werden Fotos gemacht und nach Brackley geschickt. Anschließend wird eine Liste mit allen Teilen erstellt, die potentiell beschädigt sein könnten. "Diesmal waren 1200 Teile auf der Liste", verrät Thomas.

Als die Autos zurückkamen, wurden sie sofort komplett auseinandergebaut. Einzelne Baugruppen werden dann auf ihre Funktionalität getestet. Wenn die Funktionalität intakt ist, werden die Teile auf ihre Struktur getestet, also ob kleinste Risse oder Brüche vorhanden sind. Hierfür gibt es unterschiedliche Testverfahren, bei denen die Teile nicht zerstört werden müssen. Beispielsweise gibt es spezielle Farben oder Ultraschallgeräte.

"Es gibt aber viele beschädigte Teile", erklärt Thomas. "Zum Beispiel die Unterböden. Sie sind stark beschädigt. Die Jungs der Verbundwerkstoff-Abteilung schauen sie sich an und fragen sich, ob man sie noch reparieren kann." Je nachdem, wie viele der 1200 geprüften Teile noch intakt sind und wie viele repariert beziehungsweise ersetzt werden müssen, wird es dann arbeitsintensiv.

Querlenker dauern mehrere Wochen

Um dieses Prozedere koordinieren zu können, gibt es zwei größere Meetings am Tag. Weil in Spanien noch Testfahrten anstanden und der Monaco GP schon einen Tag früher beginnt als ein normales Rennwochenende, steht Mercedes besonders unter Druck. Schon am Freitag nach dem Spanien GP müssen die Autos im Werk wieder aufgebaut werden. Am Montag sollen sie fertig sein und verladen werden.

"Es ist immer machbar, man muss nur Kompromisse eingehen", erzählt Thomas. "Priorität Nummer eins ist immer, dass das Auto sicher ist. Dazu müssen Aufhängung und Nase okay sein. Wenn wir das sichergestellt haben, schauen wir uns die Performance-Teile an. Wir wissen, dass unser Auto gut ist, deshalb sieht jeder zu, damit wir die Performance-Teile zusammenbekommen."

"Die Vorderradaufhängung von Lewis braucht am meisten Arbeit", erklärt Peter Hodgkinson, der die Abteilung für Herstellung von Faserverbundwerkstoff-Teilen leitet. Allerdings hat Mercedes genügend Ersatzteile auf Lager. Es geht nur darum, das Ersatzteillager so schnell wie möglich wieder aufzufüllen. Vor allem in Monaco können Radaufhängungen schnell kaputt gehen. Querlenker und Co. brauchen in der Herstellung mehrere Wochen. Nicht strukturelle Teile wie die Seitenkästen sind dagegen weniger zeitaufwändig in der Herstellung.