Rummmms! Kurz vor Kurve vier der ersten Runde ist der Große Preis von Spanien 2016 für die beiden hoch favorisierten Mercedes-Fahrer schon vorbei. Die Silberpfeile von Nico Rosberg und Lewis Hamilton sind kollidiert, ihre Boliden zertrümmert im Kiesbett gelandet. Frustriert fliegen Lenkräder und Handschuhe.

Überall geschockte Gesichter bei Mercedes - von Kommandostand bis Garage. Diesen Worst Case - oder "Super-GAU" (O-Ton Niki Lauda) - hatte es lange nicht mehr gegeben. Genauer gesagt seit dem berüchtigten Crash beim Belgien GP 2014 in Spa. Damals ein Rennen mit gravierenden Folgen. Für Mercedes, Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Dieses Mal auch? Motorsport-Magazin.com fasst zusammen und beleuchtet (mögliche) Auswirkungen.

Mercedes-Crash in Spanien: Was ist überhaupt genau passiert?

Lewis Hamilton startete den Spanien GP dank einer Fabelrunde in der Qualifikation von Pole. Doch Nico Rosberg hoffte schon am Samstag auf eine Schwäche durch mangelnde Selbstsicherheit des Briten am Start. "Er ist dieses Jahr noch nie als Erster aus der ersten Kurve gekommen", stichelte Rosberg. Genauso kam es: Nach dem längsten Beschleunigungsduell im Rennkalender überrumpelte Rosberg seinen Teamkollegen auf der Außenbahn der ersten Kurve.

Hamilton blieb aber dran, saugte sich in der ultraschnellen Rechtskurve drei an Rosberg heran und versuchte, den Deutschen vor Kurve vier innen auszubremsen. Rosberg aber coverte die Innenbahn, Hamilton geriet aufs Gras, verlor die Kontrolle und drehte sich - genau ins Auto von Rosberg. Abflug für beide Silberpfeile, erster Doppelausfall für Mercedes seit 2011.

Wie konnte es zu dem Mercedes-Crash in Spanien kommen?

Im ersten Moment schien die Antwort noch relativ klar und simpel: Rosberg ist vorne, er darf die Linie vorgeben. "Wenn man den Start gewinnt und das Rennen anführt, hat man das Recht, sich seine Position auszusuchen", sagt Gerhard Berger. Der hinterherfahrende Hamilton müsse sich anpassen. "Auch wenn er mit Überschuss ankommt, muss er entweder die Außenposition nehmen oder bremsen. Auf dem Gras geht´s nicht", meint der Österreicher.

Das wichtigste Wort in dieser Aussage: Überschuss. Hamilton kam mit 17 km/h mehr als Rosberg angebrettert. Wieso dieser Unterschied? Immerhin erzielt ohne DRS. Die Antwort liefert eine falsche Motoreinstellung an Rosbergs Silberpfeil: Für den Start befinden sich F1-Boliden in einem 'Launch-Mode'. Dieses Programm sorgt für eine bessere Energiebereitstellung. Nach Kurve eins deaktivieren die Piloten diesen Spezial-Modus. Das hat Rosberg auch getan.

Normalerweise schaltet der Motor daraufhin in den Rennmodus - genau das passierte bei Rosberg jedoch nicht. Die MGU-K versagte daher ihre Power, es fehlte Vortrieb. Hamilton musste damit jedoch rechnen: Aus Sicherheitsgründen blinkt in solchen fällen die Heckleuchte rot. "Ich habe das Blinken der Leuchte gesehen", sagt der Brite sogar.

Wer trägt die wirklich Schuld an dem Mercedes-Crash?

Formal niemand. Die Stewards plädierten nach Anhörung aller Beteiligten auf Rennunfall. So sieht es auch Toto Wolff. "Fakt ist, dass man keinem Fahrer die Schuld zuweisen kann", meint der Mercedes-Motorsportchef. "Es war ein sehr unglücklicher Rennzwischenfall, bedingt durch die Umstände." Niki Lauda sieht es anders. Der Chefaufseher sieht die Schuld klar bei Hamilton. "Für mich ist das inakzeptabel, so kann man nicht fahren. Schuld ist Lewis, der Versuch nach vorne zu fahren war vollkommen sinnlos", sagt Lauda schon in einer ersten Reaktion.

Mit Abstand und nach Analyse aller Daten und der TV-Bilder muss man jedoch zu einem differenzierten Schluss kommen: Ohne die falsche Motoreinstellung an Rosbergs Silberpfeil wäre es nie zu diesem Geschwindigkeitsunterschied, damit nicht zum Angriff Hamilton und letztlich nicht zum Crash gekommen. Umso interessanter ist eine Passage in der Urteilsbegründung der Stewards.

"Der betreffende Vorfall begann, als Auto sechs in einen falschen Power-Modus geschaltet hat, den der Fahrer vor dem Start eingelegt hat", heißt es dort. Im Klartext: Rosberg versäumte es, den Rennmodus einzuschalten. Wieso er trotzdem zumindest am Start noch gut aus der Box kam? Offenbar überschreibt der Launch-Modus bei Mercedes alle anderen Programme. Erst als Rosberg diesen jedoch korrekt ausschaltete, machte sich sein augenscheinlicher Fehler vor dem Start bemerkbar. Rosberg selbst will davon natürlich nichts wissen. Man müsse das erst genauer analysieren.

Bleibt noch das Blinklicht. Hätte Hamilton vorsichtiger sein müssen? "Nein", sagt Toto Wolff. Die Attacke sei nicht überambitionbiert gewesen. Im Gegenteil: "Es spricht nichts gegen diesen Überholversuch. Das Ergebnis war unglücklich. Dieses Manöver anzusetzen, als er das Licht blinken sah, war genau das, was er auch hätte tun sollen. Man kann aber auch Nico nicht beschuldigen, dass er die Tür zu gemacht hat. Der Geschwindigkeitsunterschied hat den Zwischenfall ausgelöst."

Herrscht jetzt Mercedes-Krisenstimmung wie nach Spa 2014?

Zuerst sah es danach aus. Hamilton pfefferte wütend das Lenkrad ins Kies, Rosberg in ähnlicher Stimmungslage die Handschuhe gleich hinterher. Direkt nach dem Rennen kam zudem die gesamte Mercedes-Riege zur Krisensitzung im Motorhome zusammen. Weitere Meetings und Rapports wie nach Spa 2014 wird es jedoch offenbar nicht gegeben. Denn die ganz große Konfrontation blieb letztlich aus - auch weil sich Hamilton sofort entschuldigte.

"Es tut mir nur sehr leid für das Team", sagte der Weltmeister. "Deshalb habe ich mich auch entschuldigt, weil wir null statt 43 Punkte geholt haben." Eine Reaktion, die Lauda trotz seiner vorherigen Schulzuweisung adelt. "Lewis hat sich jedoch sofort entschuldigt und alles auf sich genommen. Das ist für mich in Ordnung. Wenn jemand etwas einsieht, dann kann man auch wieder in die Zukunft schauen", sagt der Chefaufseher. "Wir haben uns seit Spa 2014 entwickelt. Die Teamsituation damals war eine komplett andere", ergänzt Toto Wolff. "Für mich war das in Spa etwas anderes."

"Wir hatten in den letzten paar Rennen einen großartigen Spirit im Team, viele Hochs und Tiefs. Wir ließen uns niemals aus der Ruhe bringen. Was jetzt zählt, ist, wie wir da jetzt als Team wieder rauskommen", sagt Wolff.

Wie groß ist das Risiko weiterer Mercedes-Crashes?

Auszuschließen ist das nicht. Mercedes lässt seine Piloten immerhin mit offenem Visier kämpfen. "Wir lassen beide frei gegeneinander fahren", sagt Daimler-Vorstand Dieter Zetsche himself. Einzig solche Vorfälle wie nun in Spanien müssen man vermeiden. "Also müssen wir schauen, was passiert ist, und dann werden wir darüber reden."

An Mercedes' Ansatz wird das Team jedoch sicher nichts ändern. "Wenn man die Fahrer frei gegeneinander fahren lässt, wie wir das machen, kann so etwas passieren. Trotzdem werden wir unsere Herangehensweise nicht verändern. Wir sind es der Formel 1 und den Fans schuldig, sie gegeneinander Rennen fahren zu lassen", sagt Toto Wolff. Dass Nico Rosberg inzwischen anders als früher längst mit dem Messer zwischen den Zähnen fährt (siehe nächste Frage) potenziert den Risiko-Faktor unterdessen mehr denn je.

Einen negativen Einfluss erwartet die Teamführung jedoch nicht. "Es ist klar, dass man nicht von ihnen erwarten kann, so etwas locker zu nehmen. Jeder von ihnen wird seine Meinung darüber haben. So funktionieren Rennfahrer. Wir können von ihnen nicht erwarten, anders zu reagieren", sagt Wolff. "Aber ich bin zu 100% sicher, dass es ihr Verhältnis nicht negativ beeinflussen wird."

Sekundenbruchteile vor dem Eklat beim Belgien GP 2014, Foto: Sutton
Sekundenbruchteile vor dem Eklat beim Belgien GP 2014, Foto: Sutton

Psycho-Effekt: Rosberg oder Hamilton gebrochen?

Die schlimmste Folge des Belgien-Vorfalls in Spa 2014 setzte es damals für Nico Rosberg. Damals wurde dem Deutschen intern wie extern die Schuld dafür zugesprochen, seinem Teamkollegen eingangs Les Combes den Reifen aufgeschlitzt zu haben. Ein Vorfall, von dem sich Rosberg lange, lange Zeit nie wieder erholte. Wie gebrochen wirkte der Deutsche. Bis zum Belgien GP fuhr Rosberg immerhin auf einem Level mit Hamilton, danach dominierte ihn der Brite. Erst ganz am Ende der Saison 2015 gewann Rosberg seine Fassung zurück.

Seitdem ist der Deutsche wie ausgewechselt. Inzwischen hält Rosberg wieder volle Kanone dagegen. "Das ist nicht mehr derselbe Rosberg vom letzten oder vorletzten Jahr, das ist ein anderer", bestätigt Christian Danner Motorsport-Magazin.com. "Das war der neue Rosberg", sagt er. Danner finde es gut, dass der Deutsche dagegen gehalten habe. "Das hat der Hamilton jetzt gelernt. Wenn er dann mit seiner Harakiri-Aktion versucht, den anderen zu kriegen, hat er halt Pech gehabt. Ich fand' das vom Rosberg genau richtig."

Doch versetzt der Spanien-Crash Rosberg jetzt vielleicht wieder einen Knacks? In den Medienrunden nach dem Rennen wirkte er zumindest deutlich angefressener als sein Teamkollege, fast schon verbittert. "Ich bin völlig leer. Nach meinem Start war ich auf dem besten Weg, das Rennen in Barcelona zu gewinnen. Nach dem Start war das mein Sieg", sagte der enttäuschte Mercedes-Fahrer. Hamilton steckte die Sache cooler weg. Vielleicht einfach, weil er in dieser Saison schon Routine mit Rückschlägen hat.

Wer hat jetzt Oberwasser im Team?

Genau deshalb ist Rosberg am Ende jedoch noch immer mehr Sieger als Verlierer, was das teaminterne Duell betrifft. Auch wenn er sagt, es sei sein Sieg gewesen: Sein WM-Vorsprung auf den Teamkollegen war bereits vor Spanien äußerst komfortabel. Zwar hat er diesen jetzt nicht ausgebaut, aber zumindest gehalten. Die Zeit spielt also für den Deutschen. Wieder ein Rennen weniger, in dem Hamilton an seinem 43-Punkte-Rückstand feilen kann.

Was bedeutet der Crash für den WM-Stand?

Etwas anders gestaltet sich die Situation mit Blick auf die Konkurrenz. Für den WM-Kampf gegen Ferrari bedeutet Spanien einen herben Schlag ins Kontor - sowohl für Rosberg und Hamilton als auch Mercedes. Nur dank eines starken Red Bull holte Ferrari immerhin nicht maximal möglich auf. Dennoch sammelte die Scuderia viele Punkte. Kimi Räikkönen eroberte durch seinen zweiten Platz sogar eben jenen Rang in der WM, luchste Hamilton P2 ab und ist mit 61 Zählern jetzt erster Jäger Rosbergs (100 Punkte). Bei den Konstrukteuren schmilzt der Mercedes-Vorsprung um 33 Punkte auf 48 Zähler - jedoch immer noch ein solider Vorsprung.