Eigentlich gehört der China GP seit Jahren zu den stärksten Schauplätzen des Lewis Hamilton im gesamten Rennkalender der Formel 1. Doch die 2016er Ausgabe des Rennens in Shanghai stand für den Mercedes-Piloten unter keinem guten Stern. Wie verflucht war sein Wochenende. Schon der Getriebewechsel am Freitag und die resultierende Strafversetzung am Freitag waren bitter genug, doch schlug der Defektteufel am Samstag abermals zu.

Leistungsverlust, Defekt an der Energierückgewinnung seiner Power Unit. Frühes Aus im Qualifying, fast ein kompletter Motorwechsel, Start vom letzten Platz im Grid, dann noch eine Startkollision - mehr als Schadensbegrenzung war nicht mehr drin. Noch dazu die Sorge, bereits beim dritten Lauf der F1-Saison eine von nur fünf erlaubten Power Units völlig verloren zu haben.

Erster Schnell-Check an der Rennstrecke

Denn in China hatte Mercedes aus Zeitgründen das genaue Problem nicht eruieren können. Im beim Mercedes-Team üblichen ersten Analyse-Schritt - in enger Abstimmung der Ingenieure an der Strecke selbst mit einem noch viel größeren Mitarbeiterstab am Motorenstandort Brixworth - war Mercedes die Sensoren der Power Unit durchgegangen, um die Schwere des Problems festzustellen.

In China verlief das noch ohne konkretes Ergebnis. Daher wechselte Mercedes zur Vorsicht erst einmal die mechanischen Komponenten: Verbrennungsmotor, MGU-K, MGU-H und Turbolader. Die entfernten Komponenten bereitete das Team sofort für den Transport nach Brixworth vor. Dort werden diese genauer analysiert - anhand einer Anleitung mit detaillierten Anweisungen des zuständigen Ingenieurs des vermutlich betroffenen Bereichs an die Technik-Monteure in der Fabrik. So sieht es die Mercedes-Maschinerie vor.

Peinlich genaue Analyse-Anleitung für die Fabrik

Die Anleitung wird noch während des Transports verfasst. Sie beinhaltet, wer welchem einzelnen Abschnitt des Prozesses zugeteilt wird, welche Spezialausrüstung und Untersuchungsmethoden benötigt werden und welche Schritte durchgeführt werden müssen - das alles in chronologischer Abfolge, sodass der genaue Zeit- und Personalaufwand gut abgeschätzt werden kann.

Eingetroffen ist die Power Unit in Brixworth schließlich am frühen Donnerstagmorgen. Seitdem analysiert Mercedes die Systeme. Zunächst, indem Öl durch Leitungen und Filter zurückgespült wird. So kann Mercedes Kleinstteilchen erkennen, die oft auf den Ursprung eines Problems hindeuten.

Hamilton-Motor: Mercedes findet Kleinstteilchen im Ölsystem

Genau das ist auch in diesem Fall geschehen: Im Ölsystem haben sich Teilchen befunden, was schließlich einen Tausch von Turbolader und Ölpumpen erforderte. Die Teilchen selbst werden unterdessen noch genauer begutachtet - sogar mikroskopisch. So soll festgestellt werden, ob es sich nur um Abriebmaterial handelt oder eine größere Komponente in kleinere Splitter zerschmettert wurde. Unter dem Elektronenmikroskop scannt Mercedes die Teilchen abschließend noch auf deren chemische Zusammensetzung. Auch das kann Anhaltspunkte liefern, woher sie stammen.

Ist all das geklärt, folgt mit Hilfe virtueller Werkzeuge eine Simulation des möglichen Ablaufs der Ereignisse, die zu dem Defekt geführt haben. Dies gleichen die Techniker mit den Datenaufzeichnungen von der Strecke ab, um Unregelmäßigkeiten festzustellen, die zur der durch die Simulation aufgestellte Theorie passen.

Defekt-Simulation: Erst virtuell, dann physisch

Schließlich folgt als letzter Schritt eine weitere Simulation, diesmal physisch. Hier werden absichtlich Fehler eingebaut, um den Defekt zu reproduzieren und damit vorläufig zu verifizieren. Das klinge teuer, sei laut Mercedes aber preiswerter, als denselben Defekt nochmals auf der Strecke zu erleiden. Auch lassen sich nur so etwaige nötige Änderungen der Toleranzwerte im System an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Nicht-mechanische Elemente der Power Unit wie elektronische Komponenten werden unterdessen parallel begutachtet, falls nötig. Leiterplatten beispielsweise auf Grenzwerte in Sachen Hitzebeständigkeit in einem Ofen - so können die Ingenieure feststellen, ob eine Überhitzung als Ursache eines Defekts in Frage kommt.

Mercedes ist dem ERS-Problem am Hamilton-Auto in China auf der Spur, Foto: Sutton
Mercedes ist dem ERS-Problem am Hamilton-Auto in China auf der Spur, Foto: Sutton

Zurück zum konkreten Fall des Hamilton-Motors. Da steht inzwischen fest: Das ganz große Drama bleibt Lewis Hamilton erspart. Die Ursache des MGU-H-Problems ist zwar noch immer nicht zu 100 Prozent geklärt. Aktuell vermutet Mercedes einen Zusammenhang mit der Isolierung. Ansonsten müssen, wie oben beschrieben, nur Ölpumpen und Turbolader getauscht werden. Der Rest der Power-Unit-Charge verbleibt im Pool und soll schon beim kommenden Russland GP in Sochi als Ersatzaggregat fungieren. Lewis Hamilton kann erst einmal aufatmen.