Eigentlich kann der Shanghai International Circuit nicht Red Bulls Strecke sein. Mit 1170 Metern befindet sich hier die längste Gerade im gesamten Formel-1-Kalender. Dazu kommt die nicht gerade kurze Start- und Zielgerade. Und Geraden sind des Renaults Feind, so die allgemeine Annahme seit Beginn der Power-Unit-Ära. Doch beim China GP stand plötzlich ein Red Bull in der ersten Startreihe, Daniil Kvyat und Daniel Ricciardo beendeten das Rennen auf den Plätzen drei und vier und der Australier passierte die Radarfalle am Ende der Geraden als Schnellster.

Wie ist das möglich? Red Bull fuhr wie das Renault Werksteam beim dritten Saisonlauf mit Power Unit Nummer eins. Updates gab es also nicht. Noch immer muss Red Bull eigenen Angaben zufolge mit einem Manko von mindestens 50 PS klarkommen. Doch die Stoppuhr und das Radarmessgerät lügen nicht.

Daniel Ricciardo wurde im Rennen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 349,9 Stundenkilometer gemessen. Damit war er schneller als alle anderen. Doch wie immer ist die Höchstgeschwindigkeitsmessung im Rennen gefährlich. Ricciardo fuhr bei seiner Aufholjagd nach dem Reifenplatzer ständig im Verkehr. Den Höchstwert erzielte er im doppelten Winschatten mit geöffnetem DRS. "Alleine hätte er das nie geschafft", ist sich Red Bull Motorsportberater Dr. Helmut Marko sicher.

Top-10-Topspeeds China 2016: Rennen

PlatzFahrerTeamMotorGeschwindigkeit
1Daniel RicciardoRed BullRenault349,9 km/h
2Sebastian VettelFerrariFerrari349,5 km/h
3Valtteri BottasWilliamsMercedes348,3 km/h
4Sergio PerezForce IndiaMercedes348,3 km/h
5Lewis HamiltonMercedesMercedes346,9 km/h
6Nico HülkenbergForce IndiaMercedes345,3 km/h
7Max VerstappenToro RossoFerrari345,2 km/h
8Kimi RäikkönenFerrariFerrari345,1 km/h
9Felipe MassaWilliamsMercedes343,5 km/h
10Carlos SainzToro RossoFerrari343,4 km/h

Doch auch im Qualifying war der Topspeed der Red Bulls bei weitem nicht mehr so weit weg wie in den vergangenen Jahren. Ricciardo wurde am Samstag mit 329,5 Stundenkilometer geblitzt. Das sind genau fünf Stundenkilometer weniger als beim Top-Wert im Qualifying von Sergio Perez. Im vergangenen Jahr schafften die Red Bull gerade einmal 322,9 Stundenkilometer im Quali-Trimm. Rosberg war 2015 mit 334,6 Stundenkilometer schnellster.

Marko: Minimaler Abtrieb, trotzdem schnell in Kurven

Doch wie hat Red Bull die Lücke geschlossen, ohne dass Renault großartig näher an Mercedes herangekommen ist? Der Vergleich mit dem Werksteam ist interessant: Das Enstone-Chassis war in der Vergangenheit immer für seine aerodynamische Effizienz auf der Geraden bekannt, das Milton-Keynes-Chassis für das genaue Gegenteil. Im China-Quali lagen sie gleichauf.

"Uns ist es gelungen, mit minimalem Abtrieb auf den Geraden halbwegs mitzuhalten ohne dabei in den Kurven abzufallen", erklärt Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com und fügt ganz selbstbewusst hinzu: "Wir haben ganz sicher das beste Chassis."

Dazu täuscht die lange Gerade in China etwas. Die langgezogene Rechtskurve, die auf die 1170 Meter Vollgas führt, ist extrem anspruchsvoll für Fahrer und Chassis. Der Ausgang von Kurve 13 ist bereits essentiell für den Topspeed, der 240 Meter vor dem Scheitelpunkt von Kurve 14 gemessen wird. Red Bull zehrt also die 930 Meter zwischen Kurvenausgang und Messpunkt von der guten Kurvenlage.

Ganz ähnlich übrigens beim Italien GP 2014: Red Bull hatte damals etwa das gleiche Leistungs-Defizit wie heute. Auch damals fuhr Daniel Ricciardo auf der Power Strecke von Monza mit 362,1 Stundenkilometer den Bestwert. Auch hier hängt die Höchstgeschwindigkeit stark vom Ausgang der Parabolica ab.

Red Bull so stark wie 2014?

2014 war Red Bull ganz klar Best of the Rest, also Nummer eins hinter Mercedes. Drei Rennen gewann die Truppe von Teamchef Christian Horner in dieser Saison. Nachdem Red Bull im vergangenen Jahr vor allem zu Beginn der Saison auch Probleme mit dem Chassis hatte, scheint der einstige Dauerweltmeister inzwischen wieder bestens aufgestellt.

Das erste große Motoren-Update hat Renault für den Kanada GP angekündigt. Die Franzosen zogen über den Winter von allen Herstellern am wenigsten Entwicklungs-Token, um ihre Power Unit weiterzuentwickeln. Von ursprünglich 32 Token hat Renault noch 25 für die Entwicklung während der Saison übrig. In Montreal soll dann auch endlich der von Mario Illiens Motorenschmiede Ilmor entwickelte Zylinderkopf zum Einsatz kommen.

Hersteller Token benutzt Token übrig
Ferrari 23 9
Honda 18 14
Mercedes 19 13
Renault 7 25

Red Bull setzt große Hoffnungen auf das Upgrade beim sieben Saisonrennen. "Damit sollten wir nicht nur in Singapur oder Budapest, sondern auch auf anderen Strecken deutlich näher dran sein", glaubt Marko. Das vor der Saison ausgegebene Ziel, Rang drei in der Konstrukteurswertung, scheint inzwischen fast nach oben korrigiert werden zu müssen. Nach drei Rennen fehlen nur vier Punkte auf Ferrari. Marko mahnt noch zur Vorsicht: "Wir sind relativ nah an ihnen dran, aber jetzt warten wir mal ab, ob die Ausbaustufe zündet."