Kimi Räikkönen sorgte beim 2. Freien Training zum China GP mit seiner Tagesbestzeit für die große Überraschung. Aber nicht nur der Finne alleine, auch Sebastian Vettel stellte den Ferrari vor beide Mercedes-Piloten. Nico Rosberg und Lewis Hamilton blieben nur die Plätze drei und vier. Wie ist dieses Ergebnis zu bewerten?

Im Training gibt es prinzipiell zwei Anhaltspunkte: Die schnellste Rundenzeit und Longruns. Die absolut schnellsten Runden sind aus mehreren Gründen gefährlich: Man weiß nicht, wie viel Leistung die Teams freigegeben haben, man kennt die Spritladung nicht. Dazu verändert sich die Strecke stark, beim Betrachten einer einzelnen Runde gibt es außerdem große Ausschläge.

Leistung und Spritlevel sind unbekannt, doch der Rest kann annährend betrachtet werden. Beide Ferrari-Piloten legten saubere Runden hin, die Silberpfeil-Lenker ebenfalls. Der Unterschied: Ferrari konzentrierte sich in der Nachmittagssession zunächst auf Longruns - was auch später noch einen Unterschied machen wird.

Ferrari 15 Minuten nach Mercedes auf Zeitenjagd

Hamilton und Rosberg fuhren ihre schnellsten Runden in der ersten halben Stunde des Trainings, Räikkönen und Vettel erst mehr als 15 Minuten später. Bei viel Betrieb auf der Strecke ist die Entwicklung des Gripniveaus vor allem zu Beginn des Wochenendes noch recht stark. In Zeit lässt sich das allerdings schlecht ausdrücken.

Der Mittelsektor ist Ferrari-Land, Foto: Motorsport-Magazin.com
Der Mittelsektor ist Ferrari-Land, Foto: Motorsport-Magazin.com

Am Ende lag Räikkönen 0,237 Sekunden vor Rosberg und 0,433 Sekunden vor Hamilton. Interessant ist, wo Ferrari die Zeit auf Mercedes gewonnen hat. Es ist der kurvenreiche Mittelsektor, der Ferrari Zeit bringt. Mehr als zwei Zehntelsekunden waren Räikkönen und Vettel hier im Schnitt auf eine Runde schneller als die Mercedes-Piloten.

In den Kurven kostet Benzin zwar am meisten Zeit, doch der Ferrari SF16-H hat bereits gezeigt, dass er ein Kurvenfresser ist. Sein Problem ist das Geradeausfahren. Davon gibt es im letzten Sektor bekanntlich jede Menge. Hier war der Ferrari quasi komplett gleich schnell wie der Mercedes.

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3 Runde
Kimi Räikkönen 25.186 28.987 42.723 1:36.896
Sebastian Vettel 25.388 29.112 42.505 1:37.005
Ferrari-Schnitt 25.287 29.050 42.614 1:36.951
Nico Rosberg 25.286 29.272 42.575 1:37.133
Lewis Hamilton 25.400 29.263 42.666 1:37.329
Mercedes-Schnitt 25.343 29.268 42.621 1:37.231
Diff. Ferr/Merc - 0,056 - 0,218 - 0,007 - 0,280

An dieser Stelle stellt sich die Frage: Wie viel haben beide noch in der Hinterhand, oder in den Worten von Maurizio Arrivabene: Wie viel Viagra kann Mercedes noch nehmen? Mercedes ist bekannt dafür, spätestens im Qualifying noch ordentlich Leistung aus dem Motor holen zu können. Ferrari hat zwar inzwischen auch einen stärkeren Qualifying-Modus, auf Mercedes-Niveau ist der aber noch nicht.

"Es sieht so aus, als ob wir hier wieder schnell wären. Aber am Nachmittag war Ferrari ebenfalls sehr schnell. Wir müssen definitiv auf sie achten", lautete Nico Rosbergs erste Analyse. Etwas detaillierte wurde Technikchef Paddy Lowe: "Unsere Pace und die von Ferrari liegen auf einer Runde und auf Long Runs mit allen drei Reifenmischungen sehr eng beisammen."

Neue Reifenregeln machen Freitag spannender

Auf eine Runde scheint Lowes Analyse zu stimmen, doch wie sieht es bei den Longruns aus? Da es seit dieser Saison drei Reifenmischungen gibt, erschwert sich hier die Analyse. Auch die Teams haben sich darauf eingestellt und splitten am Freitag die Strategien öfter - schließlich gibt es drei Reifenmischungen zu evaluieren.

Weil bei den Top-4 alle den Supersoft probierten, fuhr auch jeder einen Longrun auf diesem Reifen. Zeit kostet der Longrun auf den roten Pneus ohnehin nicht viel, weil er in Shnaghai nicht besonders lange hält. Am längsten fuhr Kimi Räikkönen mit den Supersoft, er schaffte nach seiner schnellen Runde und zwischenzeitlichem Auftanken noch neun Runden. Lewis Hamilton legte ihn nach fünf Runden schon ab.

Der Reifenverschleiß auf den Supersofts könnte am Sonntag entscheidend werden, weil die Top-10 wohl auf dem weichsten Reifen starten müssen. Fällt der Reifen schon zu früh ab und ein extrem früher Stopp ist nötig, droht man nach dem Wechsel im Verkehr rauszukommen.

Dessen ist sich auch Sebastian Vettel bewusst: "China ist sehr brutal für die Reifen. Wir sind viel gerutscht, der Reifenverschleiß war sehr hoch. Eine gute Runde wie heute ist gut fürs Quali, aber für das Rennen brauchst du idealerweise viele gute Runden."

Beim Supersoft-Longrun scheinen die Mercedes eine kleine Ecke besser zu sein. Rosbergs Schnitt liegt bei sieben Runden bei 1:43.174. Kimi Räikkönen kommt nach der gleichen Anzahl an Runden bei 1:43.303 raus, Vettel bei 1:43.691. Vorteil Mercedes.

Auf Soft und Medium sieht es auf den ersten Blick genau umgekehrt aus. Rosberg kommt mit Soft nach 14 Runden auf einen Schnitt von 1:44.053, Räikkönen sogar mit einer Runde mehr auf 1:43.539. Beim Vergleich zwischen Vettel und Hamilton auf Medium sieht es ähnlich aus: Vettel fährt bei 12 Runden einen Schnitt von 1:43.569, Hamilton kommt auf 1:44,058 bei einer Runde mehr.

Doch der Schein trügt: Ferrari fuhr die Longruns auf Medium und Soft - wie eingangs erwähnt - direkt zu Beginn der Session, Mercedes erst am Ende. Nicht nur Track-Evolution und Verkehr spielen hierbei eine Rolle, sondern auch das Alter der Reifen. Vettel und Räikkönen fuhren jeweils nur eine einzelne Installationsrunde auf ihren Pneus, dann kam der Longrun. Rosberg und Hamilton fuhren die Longruns auf jenen Reifen, auf denen sie zu Beginn der Session schon eine schnelle Runde gefahren hatten.

Somit waren die Reifen zu Beginn der Longruns unterschiedlich alt. Rechnet man ein Offset von drei Runden mit in die Longruns ein, sieht das Bild ausgeglichen aus. Rosberg und Räikkönen kommen bei ihren überschneidenden Runden auf einen Schnitt von 1:43.852, beziehungsweise 1:43.893 Minuten. Quasi gleich schnell. Bei Hamilton und Vettel auf Medium liegt Mercedes mit Offset sogar um knapp zwei Zehntel vorne.

Räikkönen Vettel Rosberg Hamilton
Supersoft
Runden9 77 5
Schnitt1:43,496 1:43,6911:43,174 1:43,273
Schnitt auf 7 Runden1:43,303 1:43,6911:43,174 -
Soft
Runden15 -14 -
Schnitt1:43,539 -1:44,053 -
Schnitt auf 12 Runden1:43,893 -1:43,852 -
Medium
Runden- 12- 13
Schnitt- 1:43,569- 1:44,058
Schnitt auf 9 Runden - 1:43,794- 1:43,610

Fazit: Mercedes kann in der Regel nach dem Freitag noch immer eine Schippe nachlegen - wenn es denn gefordert ist. So nah wie in Shanghai war Ferrari in dieser Saison noch nicht. Ferrari kann Mercedes zumindest unter Druck setzen. Wie das möglich ist? Die Streckencharakteristik des Shanghai International Circuit ist komplett anders als Melbourne oder Bahrain. Die Vorderachse ist der limitierende Faktor, es gibt richtige Kurvenkombinationen. Das kommt dem neuen Ferrari-Konzept entgegen.