Die Formel 1 hat ein neues Hassthema: Das Qualifying-Format der Saison 2016. In Australien floppte das neue System völlig. Zwischen Q1 und Q3 wechselte es munter zwischen den Extremen Chaos und Langeweile hin und her. Gleich am Morgen danach einigten sich die elf Teamchefs einstimmig, das System schon für Bahrain wieder zu kippen.

Doch bei der in der Woche darauf folgenden elektronischen Abstimmung der F1-Kommission kam plötzlich alles anders. Die FIA spielte nicht mit, wollte der Idee eine zweite Chance geben. "Als ich letzte Woche mit Jean Todt gesprochen habe, sagte er, dass er eine strukturierte Herangehensweise will", erinnert sich Toto Wolff. FIA-Chef Todt habe gemeint, vielleicht werde das neue Format ja doch noch verstanden. "Deshalb würde er eher auf das Melbourne-Format oder eine Hybrid-Version gehen, um es herauszufinden", sagt der Mercedes-Motorsportchef in Bahrain.

Dort war es gerade tatsächlich zur zweiten Chance für das in Melbourne ungeliebte Format gekommen. Nur, um erneut total daneben zu gehen. Etwas weniger Chaos zwar als im Albert Park, dafür sogar noch mehr Tristesse auf der Strecke. "Die letzten zwei Minuten war erneut kein Auto mehr auf der Strecke. Was da eine Verbesserung sein soll, ist mir nicht klar. Zudem sind erneut die üblichen Verdächtigen vorne - in der gleichen Reihenfolge. Mercedes dreht den Motor auf und ist wieder eine halbe Sekunde vor Ferrari", poltert Red Bulls Motorsport-Berater Helmut Marko im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com.

Er verstehe selbst nicht, wie es überhaupt zu dieser zweiten Chancen habe kommen können. "Das ehemalige Qualifying war attraktiv und hat funktioniert. Es wurde etwas versucht und eine Änderung herbeigeführt. Für mich ist aber nur schwer verständlich, warum etwas zweifach probiert werden muss, um zu sehen, dass es nicht die richtige Sache ist", sagt Marko zu Motorsport-Magazin.com.

Selbst Mercedes blickt beim neuen Qualifying-Format nicht durch, Foto: Sutton
Selbst Mercedes blickt beim neuen Qualifying-Format nicht durch, Foto: Sutton

Qualifying: Selbst der Mercedes-Kommandostand blickt nicht durch

Während das noch halbwegs diplomatisch klingt, zieht Toto Wolff auch den letzten Fetzen Blatt vom Mund. "Wenn jemand einen Keil in das System treibt, damit wir stecken bleiben - dann sollten wir ihn öffentlich im Fahrerlager kreuzigen ...", wütet Wolff, bemerkt dann aber selbst die Härte seiner Wortwahl und schiebt ein 'Ist das politisch korrekt?' hinterher.

An seiner Position ändert das jedoch nichts. "Es ist unglaublich. Wir sitzen vor dem Bildschirm, haben ziemlich intelligente Leute am Kommandostand und trotzdem kann man nicht folgen. Die Leute springen aus den Autos, obwohl noch drei Minuten auf der Uhr sind. Perez ist auf einer schnellen Runde obwohl die Zeit schon abgelaufen war. Wehrlein hätte noch einen Schuss gehabt, aber sie haben es nicht realisiert. Und am Ende, als die Hälfte der Jungs aus dem Auto sprang obwohl Q3 noch gelaufen ist - das ist einfach ... ohne Worte", schildert Wolff das für nahezu jeden Zuschauer peinliche Bild der Formel 1.

"Nach jetzt zwei Malen sehe ich nicht, was man an Q1 und Q2 mögen kann. Man kann dem sehr schwer folgen. Wir haben den Auftrag, den Sport einfacher zu gestalten statt ihn noch komplexer zu machen", wettert Wolff. Es gebe einfach viel zu viel Politik. "90 Prozent Gespräche über Government, Quali-Formate und andere schreckliche Ideen", poltert Wolff. "Hoffentlich kommen wir bald wieder zurück zum Sport."

Zustimmung von Kimi Räikkönen. Selbst der sonst eher weniger redselige Finne geht bei dem Thema auf die Barrikaden. "Bullshit" sei die ganze Politik der Formel 1. Er wolle einfach gutes Racing. Teamkollege Sebastian Vettel verpackt seine Kritik derweil in Galgenhumor: "Wenn man eine schwache Blase hat, ist es vielleicht genau das richtige. Aber alles in allem ist es das falsche Qualifying-Format." Am Anfang sei vielleicht noch viel los, aber dann würde immer größere Löcher kommen. So gehe es sicherlich den Zuschauern.

Lauda: Qualifying ein Griff ins Klo

In ähnliche Gefilde wie der Blasen-Vettel bewegen sich auch die Kommentare Niki Laudas. Der ratterte unmittelbar im Anschluss an die Qualifikation nahezu dieselben Sätze runter wie in Australien. "Das Qualifying war nicht besser. Das ist nicht durchsichtig genug. Auch für uns nicht, die sich täglich bemühen das zu verstehen. Was ich auch nicht verstehe ist, warum nur noch acht Autos fahren am Schluss. Das ist falsch, zehn wären besser", sagt der Mercedes-Chefaufseher. "Es ist nach wie vor ein Griff ins Klo und wird morgen hoffentlich mit Jean Todt geändert."

Tatsächlich kommen morgen Früh erneut alle Teamchefs zusammen. "Am Sonntag gibt es erneut eine Besprechung, bei der auch Jean Todt anwesend sein wird. Ich weiß nicht, was er dabei vorschlägt", bestätigt Red Bulls Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com. Toto Wolff scheint da ein kleines Stück besser informiert: "Wenn wir alle realisieren, dass alles schlecht ist, wäre das realistischste Szenario, dass wir zu dem 2015er Quali zurückkehren. Das hat er (Todt) mir gesagt."

Teamchef-Meeting mit Jean Todt am Sonntag in Bahrain

Man sei als Gesamtprodukt Formel 1 nun einfach nicht mehr Position, in Shanghai erneut zu experimentieren. "Wir würden wie Idioten aussehen", sagt Wolff. Langfristig könne man sich dann ja noch einmal in Ruhe Gedanken machen. "Vielleicht gibt es ja ein ganz anderes Format, das interessant ist. Heute habe ich etwas von einem Single-Lap-Shootout mit den letzten acht Fahrern gehört. Ehrlich gesagt denke ich, dass das interessant sein könnte", meint Wolff.

"Aber wir müssen es richtig angehen. Wenn nach Ansicht aller Daten ein interessantes Format herausspringt, sollten wir es in die Regeln aufnehmen für nächstes Jahr. Aber auf eine strukturierte Art und Weise", fordert der Mercedes-Mann. Das dürfte dann auch ganz nach dem Geschmack eines Jean Todt sein.

Für den Moment scheinen die Teamchefs jedoch alles ihnen mögliche in Bewegung setzen zu wollen, um das 2015er Format ab China zu reanimieren. "Wir haben uns einstimmig dafür ausgesprochen, zum letzten Jahr zurückzugehen. Man braucht diese Einstimmigkeit unter den Teams. Wir waren uns in Australien einig. Dann braucht es eine Mehrheit inklusive Promotern, FOM und FIA in der F1 Kommission und das auch ist möglich. Wir können zum letztjährigen System zurückkehren", sagt ein optimistischer McLaren-Renndirektor Eric Boullier.