Hätte Ferrari die Strategie beim Australien GP richtig hinbekommen, wäre Sebastian Vettel mit um den Sieg gefahren. Reifenabbau hin und her, Track-Position ist gegen die Mercedes Trumpf. Doch warum konnte Ferrari Mercedes lange Zeit unter Druck setzen? Ist Ferrari wirklich so nah dran? Motorsport-Magazin.com zeigt die erste Datenanalyse der Saison.

Natürlich war es nur das erste Rennen, natürlich war es nur der Albert Park, eine - wie die Historie zeigt - nicht unbedingt aussagekräftige Rennstrecke. Dennoch: Die Uhr lügt nicht. Geschwindigkeitsmessungen und dergleichen ebenfalls nicht. Und hier sind eindeutige Tendenzen zu erkennen.

Ferrari mit radikalstem Umschwung

Der Ferrari SF16-H ist im Vergleich mit dem Vorgänger das radikalste Auto im Feld. Die Chassis-Abteilung in Maranello hat die Motorenbauer so stark in Bedrängnis gebracht, dass die neu Power Unit ein komplett anderes Packaging bekommen hat. Anders wären derart stark eingezogene und schmale Seitenkästen nicht möglich gewesen.

Bei Ferrari wird das niemand bestätigen, aber das neue Packaging ging zulasten der Leistung. Die Werte belegen das eindeutig. Als Referenz dienen die Topspeed-Werte der Qualifyings. Im Schnitt war das Werksteam an der Messstelle 2015 schneller als 2016. Das gleiche Bild zeigt sich bei Sauber, das ebenfalls mit dem neuen Ferrari-Motor unterwegs ist.

Topspeed-Vergleich (km/h) Australien Qualifying

2015 2016 Diff
Team Motor Speed Motor Speed
MercedesMercedes323,1 Mercedes326,7 + 3,6
FerrariFerrari326,45 Ferrari 325,85 - 0,6
WilliamsMercedes328,3 Mercedes329,25 + 0,95
Red BullRenault318,95 Renault320,2+ 1,25
Force IndiaMercedes324,85 Mercedes329,35+ 4,5
Lotus/RenaultMercedes326,3 Renault321,0- 5,3
Toro RossoRenault315,3 Ferrari '15320,25+ 4,9
SauberFerrari324,25 Ferrari322,4- 1,85
McLarenHonda312,7 Honda320,3+ 7,65

Zum Vergleich: Abgesehen von den beiden Teams haben alle anderen beim Topspeed zugelegt. Außer Renault, das im letzten Jahr noch mit Mercedes-Power unterwegs war. Die Franzosen sind mehr als fünf Stundenkilometer langsamer. Umgekehrtes Bild bei Toro Rosso: Im vergangenen Jahr noch mit Renault unterwegs, bringt die alte Ferrari Power Unit knapp fünf Stundenkilometer mehr.

Ferrari geht Kompromisse beim Motor ein

Die Ferrari-Aerodynamiker haben die Motoren-Ingenieure natürlich nicht ohne Grund unter Druck gesetzt. Bei der Konzeptfindung des neuen Boliden wurde genau simuliert, wie viel Zehntel man durch besseres Packaging und dadurch bessere Aerodynamik gewinnt, wie viel man wegen Motorleistung verliert. Das ist von Strecke zu Strecke stark unterschiedlich, am Ende zählt bei den Analysen das Jahresmittel.

Der Vorteil des neuen Ferrari: Die Kurven. Die Aerodynamik war im vergangenen Jahr definitiv die Schwachstelle der roten Göttin. Kurvengeschwindigkeiten sind leider Mangelware, repräsentative Messstellen gibt es leider nur auf sehr wenigen Rennstrecken. Doch auch die Geschwindigkeitsmessstellen im Albert Park können darüber einiges aussagen.

Der Albert Park ist nicht der ideale Gradmesser, aber gibt dennoch einiges her, Foto: FIA
Der Albert Park ist nicht der ideale Gradmesser, aber gibt dennoch einiges her, Foto: FIA

Es gibt Geschwindigkeitsmessungen am Ende jeden Sektors. Ende von Sektor 1 befindet sich 147 Meter vor Kurve 6. T5 ist eine mittelschnelle Rechtskurve, die maßgeblich für die Geschwindigkeit vor T6 ist. Desto besser das Auto in T5 liegt, desto mehr Geschwindigkeit wird auf die kleine Gerade mitgenommen.

Sektor 2 ist weniger repräsentativ: Hier geht es um pure Motorenleistung, zumal nicht einmal DRS auf der Vollgas-Passage zuvor geöffnet ist. Ende Sektor 2 liegt genau 143 Meter vor der ultraschnellen Links-Rechts-Kombination. Die letzte Messstelle ist die Start/Ziel-Linie. Für die Geschwindigkeit hier ist die mittelschnelle letzte Kurve maßgeblich.

Ferrari Qualifying-Geschwindigkeiten (km/h)

S1 S2ZiellinieSpeed-Trap
2015 281,2 296,05 308,35 326,45
2016 287,8 295,5 311,6 325,85
Diff + 6,6 - 0,55 + 3,25 - 0,6

Dank besserer Aerodynamik und natürlich dank extra-Grip der weicheren Reifen war der Ferrari an Messstelle Sektor 1 in diesem Jahr im Schnitt um 6,6 Stundenkilometer schneller. Auf der Start- und Zielgeraden war er immerhin noch 3,3 km/h schneller. Umgekehrtes Bild an den Power-Messstellen: Am Ende von Sektor 2 war er einen halben Stundenkilometer langsamer als 2015, an der Topspeed-Messstelle 123 Meter vor T1 etwa genauso viel.

Der Vergleich mit dem Mercedes ist besonders interessant: Der F1 W07 Hybrid ist an allen Messstellen deutlich schneller als sein Vorgänger. Der Mercedes war nie ein Hochgeschwindigkeits-Wunder. Er holt seine Zeit vor allem in den Kurven. Das zeigt, dass die Höchstgeschwindigkeit natürlich nicht nur von der Motor-Power abhängt, sondern auch vom aerodynamischen Konzept und vor allem der aerodynamischen Effizienz. In den Kurven hat Ferrari dank des neuen Konzepts ein wenig aufschließen können, dafür fehlt jetzt der Topspeed.

Qualifying-Geschwindigkeiten (km/h) Ferrari vs. Mercedes

2015 S1 S2ZiellinieSpeed-Trap
Mercedes 284,45 297,35 307,45 323,05
Ferrari 281,2 296,05 308,35 326,45
Diff - 3,25 - 1,3 + 0,9 + 3,4
2016 S1 S2ZiellinieSpeed-Trap
Mercedes 290,65 301,95 312,8 326,7
Ferrari 287,8 295,5 311,6 325,85
Diff - 2,85 - 6,45 - 1,2 - 0,85

Das Ergebnis in Rundenzeit ist auf jeder Strecke anders. In Melbourne war es in diesem Jahr schon deutlich besser. Auch wenn acht Zehntelsekunden Rückstand von Sebastian Vettel auf Lewis Hamilton aus dem diesjährigen Qualifying exorbitant viel scheinen: Vettel ist im entscheidenden Q3 nur eine Runde gefahren, Hamilton zwei. Die zweiten Runden waren etwa zwei Zehntel schneller.

Außerdem: 2015 fehlten Vettel auf die Polezeit von Hamilton unfassbare 1,4 Sekunden. Der Vorsprung von Mercedes war in Melbourne riesig. Das zeigen auch die Test-Analysen von Barcelona, wo die Aerodynamik besonders wichtig ist: Auch hier war Mercedes im vergangenen Jahr auf und davon. Im Qualifying fehlten Ferrari acht Zehntel, im Rennen am Ende 45 Sekunden. Bei den Testfahrten war Ferrari im Renntrimm richtig dicht dran.

Ferrari mit Vorteilen am Start

Beim Start hat Ferrari die Nase vorne, Foto: Sutton
Beim Start hat Ferrari die Nase vorne, Foto: Sutton

Ein wichtiger Faktor ist in diesem Jahr einmal mehr der Start. Ferrari legte in Australien hier den Grundstein, um Mercedes so sehr in Bedrängnis bringen zu können. Die technischen Hilfsmittel wurden in diesem Jahr weiter eingeschränkt. Neben dem Verbot, am Rennsonntag den Schleifpunkt noch zu ändern, dürfen die Piloten auch nur noch einen Kupplungshebel nutzen.

Somit kommt es wieder deutlich mehr auf den Fahrer an. Doch auch hier gibt es starke Unterschiede zwischen den Autos. Mercedes hatte die Starts bis zu den Änderungen im vergangenen Jahr gut im Griff. Danach gab es Probleme. Mercedes hatte die Technik so perfektioniert, dass sie bei manueller Bedienung nicht mehr richtig gut funktionierte. Das Problem scheint noch immer nicht gelöst zu sein.

Mercedes mit Problemen im Verkehr

Ist der Ferrari einmal vorne, tut sich auch Mercedes extrem schwer. In verwirbelter Luft ist auch der Silberpfeil ein normales Rennauto. Lewis Hamilton biss sich beim Australien GP an Max Verstappen im Toro Rosso die Zähne aus, Nico Rosberg hatte gegen Vettel keine Chance. Ein ähnliches Bild zeigte sich schon im vergangenen Jahr in Silverstone und Ungarn.

Ein Schwachunkt Ferraris könnte in diesem Jahr die Zuverlässigkeit sein. Schon bei den Testfahrten hatten die Italiener damit zu kämpfen. Durch das aggressivere Packaging im Heck wird das Thermo-Management deutlich komplexer. Kimi Räikkönen fiel in Australien wegen eines Feuers am Fahrzeug aus. Es soll vom Turbolader gekommen sein. Damit hatte auch Haas beim Test zu kämpfen.

Fazit: Ferrari hat das Konzept beim neuen Auto grundlegend geändert. Simulationen haben ergeben, dass das für die Rundenzeit besser ist. Das wird auf den meisten Strecken stimmen, auf anderen Strecken könnte Ferrari dadurch deutlich weiter weg sein. Insgesamt ist Ferrari aber näher an Mercedes dran, aber noch lange nicht vorbei. Die Chance ist der Start. Wenn der gelingt, ist - richtige Strategie vorausgesetzt - alles möglich. Achillesferse könnte 2016 die Zuverlässigkeit werden.