Erst nach einem Jahr Sperrfrist seitens Mercedes ist Jock Clear von dem amtierenden Weltmeister-Team der Formel 1 zur Scuderia aus Maranello gestoßen - um keine wichtigen Geheimnisse aus Brackley zu entführen. Jetzt ist es soweit: Ferrari hat seinen neuen Chefrenningenieur.

Seit dem Saisonstart in Melbourne steht Clear in leitender Funktion an der Boxenmauer Ferraris. Er überblickt damit die gesamte Performance-Arbeit an einem Rennwochenende. Bei ihm laufen die Fäden von Sebastian Vettels Renningenieur Riccardo Adami und Kimi Räikkönens Dave Greenwood zusammen.

Doch wie sieht die neue Rolle des Renningenieurs ehemaliger Champions wie Michael Schumacher, Jacques Villeneuve und Lewis Hamilton bei Ferrari genau aus? Wie kann er der Scuderia weiterhelfen und welchen Background bringt Clear mit? Motorsport-Magazin.com war dabei, als der 52-Jährige in Australien Rede und Antwort stand. So tickt Jock Clear:

Die Karriere des Jock Clear

Als Renningenieur von Lewis Hamilton bei Mercedes wurde Jock Clear 2014 Weltmeister, Foto: Sutton
Als Renningenieur von Lewis Hamilton bei Mercedes wurde Jock Clear 2014 Weltmeister, Foto: Sutton

Clear gehört zu den erfahrensten Ingenieuren der Formel 1. Vor seiner Zwangspause im vergangenen Jahr hat der studierte Maschinenbauer laut eigener Aussage in 21 Jahren Königsklasse nicht ein Rennen verpasst. Seine Karriere in der F1 begann Clear jedoch schon 1989 als Chefdesigner bei Benetton. Es folgte eine Station in derselben Rolle bei Leyton House, ehe Clear 1994 bei Lotus mit Johnny Herbert seine Karriere als Renningenieur startete.

Angesichts dieses Backgrounds hält Clear seine Eindrücke bei Mercedes allein nicht für vorrangig ausschlaggebend. "Die Erfahrung meiner ganzen Karriere ist relevant. Ich denke, dass ich einen anderen Aspekt von Informationen und Erfahrungen mitbringe, der etwas anderes ist, als das, was wir bei Ferrari haben. Und ich vertraue den Leuten, die mich eingestellt haben, dass meine besondere Erfahrung gut in die Zukunft des Teams passt", sagt Clear.

Bei Honda arbeitete Clear mit Barrichello, Foto: Sutton
Bei Honda arbeitete Clear mit Barrichello, Foto: Sutton

Besonders ist seine Arbeitsgeschichte definitiv: So zog es Clear nach dem Untergang Lotus' zu Williams. Dort betreute er erst David Coulthard, bevor er Jacques Villeneuve zu dessen WM-Titel 1997 lotste. Den Kanadier begleitete Clear auch bei dessen Wechsel zu BAR. Nach dessen Aus 2003 kümmerte sich Clear bis 2005 um Nachfolger Takuma Sato, genauso blieb er im Team, als erst Honda, dann Brawn GP daraus wurden - in dieser Zeit als Renningenieur von Rubens Barrichello.

Jock Clear betreute bei Mercedes Rekordweltmeister Michael Schumacher, Foto: Sutton
Jock Clear betreute bei Mercedes Rekordweltmeister Michael Schumacher, Foto: Sutton

Nach dem bisher abschließenden Wandel zu Mercedes GP übernahm Clear diese Aufgabe ein Jahr lang bei Nico Rosberg, dann je zwei bei Michael Schumacher und Lewis Hamilton, bevor er sich Richtung Ferrari erneut komplett neu orientierte. Ein Kindheitstraum, sagt Clear. Der Maßstab ist daher klar: Mit Ferrari an vergangene Erfolge anknüpfen. "Ich werde abliefern, was ich kann", sagt Clear. "Meine Erfahrung ist meine Erfahrung und ich weiß nicht, wie die sich genau von der der anderen unterscheidet. Andere Fahrer, anderes Team. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir so ein besseres Team werden."

Die Mission des Jock Clear

Jock Clear soll sicherstellen, dass sich Ferraris Entwicklungsfortschritte auf der Strecke auszahlen, Foto: Sutton
Jock Clear soll sicherstellen, dass sich Ferraris Entwicklungsfortschritte auf der Strecke auszahlen, Foto: Sutton

Noch braucht Clear jedoch etwas Eingewöhnungszeit - obwohl er sich mit seiner Familie in der Emilia Romagna bereits gut eingelebt habe. "Das Jahr nur auf dem Sofa zu sitzen, hat überhaupt keinen Spaß gemacht. Es ist unglaublich, wie schnell du den Kontakt zu dem Entscheidungsrhythmus verlierst, etwa beim Qualifying und auch Rennen. Das ist noch etwas, wo ich erst wieder auf die Höhe kommen muss. Ferrari steht aber nicht still und hat da ein paar gute Leute, die nach mir sehen", sagt Clear.

Ohnehin ist der Brite niemand, der sein eigenes Ego an erste Stelle setzt. "Ich komme nicht hierher und sage, ich weiß, was ihr tun müsst, um den Titel zu gewinnen. Das funktioniert nicht mehr. Der Sport bewegt sich dazu zu schnell. Ich entwickle mit dem Team und wir sind zuversichtlich, dass wir in eine Richtung gehen, die uns einen Meistertitel mit Ferrari gewinnen lassen wird", sagt er. Eine Lösung, mit der er vor 20 Jahren Erfolg gehabt habe, müsse heute eben längst kein Rezept für Titel mehr sein.

Genau das sei jedoch die Vorgabe, ganz klar. "Das erste Ziel ist, Rennen zu gewinnen. Und wenn das klappt, Weltmeistertitel. Wir entwickeln so schnell wie wir können. Das unmittelbare Ziel ist, das Maximum aus dem herauszuholen, was wir im Winter entwickelt haben und die Performance, von der wir wissen, dass sie im Auto steckt, bestmöglich abzurufen. Das hängt an den Fahrern und dem Team", sagt Clear. Genau an jener Schnittstelle also, an der er ins Spiel kommt.

Die Verantwortung des Jock Clear

Für Jock Clear steht der Mensch im Fokus - auch, die Mitarbeiter bei Laune zu halten ganz offensichtlich ..., Foto: Sutton
Für Jock Clear steht der Mensch im Fokus - auch, die Mitarbeiter bei Laune zu halten ganz offensichtlich ..., Foto: Sutton

Was er genau macht? "Im Alltag liegt meine Verantwortlichkeit darin, die Arbeiten an der Strecke effizient am Laufen zu halten und sicherzustellen, dass die Performance, die im Auto steckt, auch abgerufen wird", beschreibt Clear. Im Klartext: Er soll dafür sorgen, das die Fortschritte in der Fabrik auch auf der Strecke funktionieren.

Die größte Herausforderung dabei sei, ein Team von 50 Leuten 21 Rennen um die ganze Welt zu beaufsichtigen und dabei den einzelnen Menschen nicht zu vergessen. Clear, der Kümmerer - auch das zählt zu seinen Aufgaben. Ein anstrengender Job. "Wir reisen um die ganze Welt, die Leute werden müde und die Autos werden immer komplizierter", sagt Clear. "Und meine Verantwortung dabei ist, sicherzustellen, dass die Leute den Fahrern die Möglichkeit geben können, das Auto bei jedem Rennen in die bestmögliche Position zu bringen."

Die Erwartungen an Jock Clear

Kimi Räikkönen freut sich bereits auf die Zusammenarbeit mit Jock Clear, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen freut sich bereits auf die Zusammenarbeit mit Jock Clear, Foto: Sutton

Doch was sagen die Piloten zum neuen Mann? In erster Linie sehr viel Gutes. "Wir sind hoch erfreut, dass Jock zu uns gekommen ist. Jock gehört jetzt zu unserer Familie und wird für uns sehr hilfreich sein. Er ist erst seit kurzer Zeit in seiner neuen Rolle, aber ich bin sicher, dass er uns ganz enorm helfen wird", sagt Kimi Räikkönen.

"Er ist sehr klar, sehr strukturiert, hat sehr viel Erfahrung und ist auf jeden Fall eine Bereicherung für das Team. Er wird uns sehr helfen. Dass er clever ist und was auf dem Kasten hat, braucht man eigentlich nicht erwähnen ...", ergänzt Sebastian Vettel. Dennoch: Wunder könne auch ein Clear nicht bewirken, relativiert Räikkönen. "Die Ergebnisse hängen nicht von einer einzelnen Person ab. Ein Ziel zu erreichen ist das Resultat der Arbeit eines ganzen Teams", sagt der Iceman.