Wer sich den Wecker gestellt hatte, um beim Großen Preis von Australien live dabei zu, sollte diese Entscheidung nicht bereuen. Der Formel-1-Saisonauftakt in Melbourne bot alles, was die Königsklasse auszeichnet, von packenden Zweikämpfen über spektakuläre Unfälle bis hin zu taktischem Geplänkel. Am Ende durfte sich Nico Rosberg über seinen saisonübergreifend vierten Sieg in Folge freuen.

Allerdings hätte auch genauso gut Sebastian Vettel beim ersten Saisonrennen auf der Spitze des Podiums stehen können, doch Ferrari leistete sich einen schweren taktischen Schnitzer, sodass für den Heppenheimer nur der dritte Platz blieb. Motorsport-Magazin.com zeichnet das Rennen aus strategischer Sicht nach.

Ferrari gewinnt den Start

Der Start in Australien ging an Ferrari, Foto: Sutton
Der Start in Australien ging an Ferrari, Foto: Sutton

Der Australien GP begann mit einem Knalleffekt. Die aus der ersten Reihe gestarteten Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg kamen beim Erlöschen der Ampeln - vermutlich wegen Problemen mit der Kupplung - ausgesprochen schlecht weg und fielen hinter die beiden Ferraris zurück. Nach der ersten Runde lag Rosberg lediglich an der dritten Position, Hamilton war gar nur Sechster.

Zwar konnte der Brite nach einem Überholmanöver gegen Felipe Massa auf den fünften Platz vorstoßen, ansonsten änderte sich an der Reihenfolge bis zur ersten Serie der Boxenstopps aber nichts. Den Anfang machte in Runde zwölf Rosberg, der von den superweichen Reifen auf weiche Pneus wechselte. Einen Umlauf später kam Vettel, der hingegen weiter der superweichen Mischung vertraute.

Strategie der Top-3 im Australien GP:

Fahrer1. Stint2. Stint3. Stint4. Stint
RosbergSupersoft (alt) - 12 RSoft (neu) - 6 RMedium (neu) - 39 R
HamiltonSupersoft (alt) - 16 RMedium (neu) - 2 RMedium (alt) - 39 R
VettelSupersoft (alt) - 13 RSupersoft (neu) - 5 RSupersoft (alt) - 17 RSoft (neu) - 22 R

Da Ferrari Räikkönen erst in der 16 Runde zum Boxenstopp beorderte, verlor der Finne eine Position an Rosberg, der nun Zweiter war. Hamilton kam gleichzeitig mit Räikkönen zum Reifenwechsel und fasste die Medium-Mischung aus, da der im Verkehr feststeckende Brite von Mercedes eine Ein-Stopp-Strategie verordnet bekommen hatte, um das Rennen ohne weiteren Stopp beenden zu können.

Ferrari verpokert sich mit Supersoft

Zur rennentscheidenden Szene kam es bereits in der 17. Runde. Fernando Alonso flog nach einer Kollision mit Esteban Gutierrez heftig ab, was die Rennleitung dazu veranlasste, zunächst das Safety Car auf die Strecke zu schicken, und den Grand Prix kurze Zeit später mittels roter Flagge zu unterbrechen. Daraufhin liefen alle Piloten die Boxengasse an, wo auf die Fortsetzung des Rennens gewartet wurde. Gemäß dem Reglement war es den Teams erlaubt, die Reifen an den Boliden zu wechseln, was sowohl Mercedes als auch Ferrari taten.

Vettel nahm das Rennen wieder mit Supersoft auf, Foto: Ferrari
Vettel nahm das Rennen wieder mit Supersoft auf, Foto: Ferrari

Mit einem ganz entscheidenden Unterschied: Während Rosberg und Hamilton auf Medium-Reifen umgestellt wurden respektive auf dieser Mischung blieben, bekamen Vettel und Räikkönen erneut supersofte Pneus ans Auto geschraubt. Damit stand die weitere Marschrichtung für das Rennen fest: Während die Silberpfeile durchfahren konnten, mussten die Ferrari-Piloten definitiv noch einmal zum Reifenwechsel kommen.

Das Rennen wurde mit der Reifenfolge Vettel vor Rosberg, Räikkönen, Ricciardo, Verstappen, Sainz und Hamilton wiederaufgenommen. Da Räikkönen kurz nach dem Re-Start ausschied und das Red-Bull-Trio noch einmal stoppen mussten, lag Hamilton im bereinigten Klassement aber an der dritten Stelle.

Reihenfolge beim Re-Start:

PositionFahrerReifenWeiterer Stopp nötigSpäterer Ausfall
1.VettelSupersoftX
2.RosbergMedium
3.RäikkönenSupersoftXX
4.RicciardoSoftX
5.VerstappenSoftX
6.SainzSoftX
7.HamiltonMedium

Vettel, nun im Bewusstsein, einen enormen Nachteil gegenüber den Mercedes-Piloten zu haben, versuchte sich sogleich vom Rest des Feldes abzusetzen, um einen Vorsprung für seinen zusätzlichen Boxenstopp herauszufahren. Zunächst schien dieser Plan auch aufzugehen, nach sechs Runden jedoch brachen seine superweichen Reifen bereits wieder ein und Rosberg kam dem Deutschen sukzessive näher.

In Runde 34, als der Vorsprung bereits auf weniger als anderthalb Sekunden geschrumpft war, steuerte Vettel schließlich die Boxen an und fasste frische weiche Reifen aus. Damit war der Weg zum Sieg für Rosberg frei, und auch Hamilton setzte sich an Vettel vorbei. Als dieser zurück auf die Strecke kam, betrug sein Rückstand auf Hamilton rund zehn Sekunden.

Vettels Aufholjagd scheitert

In weiterer Folge blies Vettel zur Aufholjagd auf den Briten, dessen Medium-Reifen abbauten, und kam ihm wenige Runden vor dem Fallen der Zielflagge tatsächlich bis auf eine halbe Sekunde nahe. Zu einem Angriff reichte es allerdings nicht, denn Vettel verbremste sich in der vorletzten Kurve, musste durchs Gras fahren und war endgültig auf dem dritten Platz einzementiert.

"Vielleicht hätten wir bei der Strategie ein bisschen was besser machen können", gab Vettel nach dem Rennen zerknirscht zu, wohlwissend, dass er gute Chancen gehabt hätte, den Saisonauftakt zu gewinnen, hätte Ferrari beim Re-Start auf die Medium-Mischung gesetzt. Bei der Scuderia selbst wollte man sich den strategischen Fauxpas hingegen nicht so recht eingestehen. "Zu diesem Zeitpunkt des Rennens mussten wir ein bisschen aggressiver vorgehen - das könnte falsch oder richtig gewesen sein", verteidigte Teamchef Maurizio Arrivabene die Herangehensweise.

Im Mercedes-Lager war man hingegen ausgesprochen froh, dass ein direktes Duell mit Ferrari vermieden wurde, und der Doppelsieg zum Auftakt letztlich relativ ungefährdet gelang. "Wir waren tatsächlich recht überrascht über die Reifenwahl der anderen", gab Motorsport Toto Wolff zu, der im gleichen Atemzug die Leistung des silbernen Chefstrategen James Vowles lobend hervorhob, der den Medium-Plan ausgetüftelt hatte. "Es war der richtige Call." Und Rosberg meinte mit Blickrichtung Ferrari: "Ich war froh, dass sie auf den Supersofts waren."

Vereitelter Rennsieger Hamilton?

Doch was wäre eigentlich passiert, wäre es nicht zur Berührung zwischen Alonso und Gutierrez und der daraus resultierenden roten Flagge gekommen? Zu diesem Zeitpunkt des Rennens befanden sich die die Spitzenpiloten bekanntlich auf unterschiedlichen Strategien. Rosberg (Soft) und Vettel (Supersoft) hätten jeweils noch einen Stopp vor sich gehabt, Hamilton wäre dank der Medium-Reifen hingegen in der Lage gewesen, durchzufahren.

Hamilton war von Anfang an auf einer Ein-Stopp-Strategie, Foto: Sutton
Hamilton war von Anfang an auf einer Ein-Stopp-Strategie, Foto: Sutton

"Für mich hat es zu dem Zeitpunkt so ausgesehen, dass Lewis die bessere Chance hat, weil er auf dieser ungewöhnlichen Strategie war", sah Wolff Hamilton als Favoriten auf den Rennsieg. Da sich der Österreicher wie die gesamte Mercedes-Mannschaft nicht sicher war, welche Herangehensweise - ein oder zwei Stopps - besser sein würde, entschied man sich schon vor dem Start des Rennens, die Strategien zwischen Rosberg und Hamilton zu splitten.

"Obwohl das sicher nicht die Art des Rennens ist, die am besten zu Lewis passt", gestand Wolff ein. "Er attackiert gerne und hat gerne einen Reifen, der das möglich macht." Letztlich sollten die Gedankenspiele von Mercedes aber keinen Einfluss auf das Resultat haben, schließlich sorgte Ferrari mit dem Taktik-Fauxpas dafür, dass Silber Australien mit der maximalen Punktausbeute verlassen konnte. "Sicherlich war der Medium nach dem Re-Start der Schlüssel zum Sieg", brachte Wolff das Rennen auf den Punkt.