Darauf zu wetten, dass der Formel-1-Weltmeister der Saison 2016 entweder Silber oder Rot trägt, verspricht bei Buchmachern selbst bei enorm hohem Einsatz nur eine verschwindend geringe Rendite. Mercedes gegen Ferrari, so wird das Duell in der kommenden Saison lauten, da sind sich alle Experten einig. Vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein Duell, und die Scuderia konnte den in der letzten Saison nach wie vor stattlichen Rückstand verringern oder gar aufholen.

Ferrari will die Ziellinie als Erster überqueren, Foto: Sutton
Ferrari will die Ziellinie als Erster überqueren, Foto: Sutton

Die ersten Testfahrten in Barcelona gaben nur bedingt Aufschluss darüber, ob sich am Kräfteverhältnis über den Winter etwas geändert hat. Geschuldet war dies den ziemlich konträren Programmen, die Mercedes und Ferrari auf dem Circuit de Catalunya abspulten.

Während Silber wahre Marathonläufe absolvierte und an den vier Tagen insgesamt mehr als 3.100 Kilometer abspulte, brachte es Rot lediglich auf die Hälfte dieses Pensums. Dafür widmeten sich Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen immer wieder der Zeitenjagd und griffen mehrfach zum neuen ultraweichen Reifen. Drei Tagesbestzeiten waren die Folge.

Lewis Hamilton und Nico Rosberg setzten hingegen ausschließlich die Medium-Mischung als weichsten Reifen ein, waren aber auch auf dieser langsamer als Ferrari, wenn die Scuderia ebenfalls mit den weiß gekennzeichneten Pirellis fuhr.

Zeitenvergleich Barcelona I: Mercedes vs. Ferrari

Tag Fahrer Team Zeit Runden Reifen
MontagSebastian VettelFerrari1:24.93959Medium
Lewis HamiltonMercedes1:25.409156Medium
DienstagSebastian VettelFerrari1:22.810126Ultrasoft
Nico RosbergMercedes1:24.867172Medium
MittwochKimi RäikkönenFerrari1:25.97777Medium
Nico RosbergMercedes1:26.08474Medium
Lewis HamiltonMercedes1:26.42188Medium
DonnerstagKimi RäikkönenFerrari1:23.47780Ultrasoft
Nico RosbergMercedes1:26.18786Medium
Lewis HamiltonMercdes1:26.29599Medium

Zwei ziemlich unterschiedliche Herangehensweisen also, die es schwierig machen, einen Vergleich zwischen den beiden Kontrahenten zu ziehen. Zumindest gilt dies für die Öffentlichkeit, denn intern ist es den Teams sehr wohl möglich, Lehren und Schlüsse hinsichtlich des Kräfteverhältnisses zu ziehen. "Wir wissen schon genau, wo wir im Vergleich zu den anderen stehen. Das können wir alles ausrechnen", deutete Rosberg an, dass der Titelverteidiger keineswegs im Dunkeln tappt.

Mercedes: Selbstbewusste Kilometerfresser

Die Herangehensweise von Mercedes kann als ein Resultat des über die letzten beiden erfolgreichen Jahre aufgebauten Selbstbewusstseins angesehen werden. "Schnell werden wir auf jeden Fall sein", gab Rosberg mit breiter Brust zu Protokoll. Vielmehr ging es den Silberpfeilen darum, so viel wie möglich zu fahren, um etwaige Defizite im Material festzustellen. "Nur dann findet man heraus, wo die Schwachstellen des Autos liegen, denn irgendwann wird das Auto kaputt gehen."

Und in der Tat, auch wenn der F1 W07 Hybrid nie auf der Strecke stehenblieb, das eine oder andere Problem entdeckte Mercedes. "Wir haben ein paar Teile am Auto gefunden, die kaputt gegangen sind. Die hätten wir nicht gefunden, wenn wir nur 2.000 Kilometer gefahren wären", strich Rosberg die Richtigkeit der gewählten Herangehensweise hervor. Dramatisch seien die Probleme zwar nicht gewesen, benennen wollte sie der Deutsche aus nachvollziehbaren Gründen trotzdem nicht.

Anstrengende Testtage für Rosberg und Hamilton, Foto: Sutton
Anstrengende Testtage für Rosberg und Hamilton, Foto: Sutton

Für die Mercedes-Piloten stellte diese Art der Testfahrten eine ungewohnte Herausforderung dar. "Das Team hat im Vorfeld davon gesprochen, 800 Kilometer am Tag zu fahren, und ich dachte, die sind verrückt", schmunzelte Hamilton. Um die körperliche Belastung der Piloten im Rahmen zu halten, entschloss sich Mercedes am Mittwoch und Donnerstag dazu, die Tage zwischen den beiden Fahrern zu splitten.

Doch nicht nur der physische Aspekt spielte bei dieser Überlegung eine Rolle. "Das Problem, das die Fahrer haben, ist, dass ihnen einfach langweilig wird", erläuterte Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda im Interview mit Motorsport-Magazin.com. Zwischenzeitlich stand sogar im Raum, dass Manor-Pilot Pascal Wehrlein für Testeinsätze zu Mercedes abgezogen werden könnte, dazu kam es schlussendlich aber doch nicht.

Ferrari: Noch funktioniert nicht alles

Von problemfreien Testfahrten konnte Ferrari indessen nur träumen. Vettel und Räikkönen verloren aufgrund kleinerer und größerer technischer Schwierigkeiten immer wieder wertvolle Streckenzeit, was zur Folge hatte, dass die Scuderia nur die sechstmeisten Kilometer aller Teams in Barcelona abspulte. Dennoch zeigte man sich im Lager der Roten unisono zufrieden.

"Wir haben uns in allen Bereichen verbessern wollen, und ich glaube, das ist uns auch größtenteils gelungen", zog Vettel ein erstes Fazit über den SF16-H, der mit allerhand Neuerungen wie Druck- statt Zugstreben daherkommt. "Ich habe das Gefühl, dass ich der Kapitän bin und das Auto macht, was ich möchte."

Ähnliche Töne schlug auch Räikkönen an, der nicht zuletzt dank der ultraweichen Reifen am abschließenden Testtag die Bestzeit erzielte. "Das Auto fühlt sich gut an. Das ist die Hauptsache", gab sich der Iceman trotz seines eingeschränkten Pensums gewohnt stoisch zuversichtlich. "Wir können noch immer viel verbessern, es kann noch viel angepasst werden. Ich bin sicher, dass da jede Menge Potential drin steckt."

Nähere Aufschlüsse über das Kräfteverhältnis dürfte es in der zweiten Testwoche geben, wenn sich Mercedes nach den erfolgreichen Zuverlässigkeitsläufen vermehrt der Performance widmen und auch zu weicheren Reifenmischungen greifen wird. Dann sollten Rückstände von über zwei Sekunden auf die rote Spitze der Vergangenheit angehören.