Sie ist blond, attraktiv, Rennfahrerin, und die wohl streitbarste Person im Fahrerlager der Formel 1: Carmen Jorda. Zur Überraschung einiger, bleibt die 27-Jährige der Königsklasse auch im Jahr 2016 erhalten. Rückkehrer-Werksteam Renault übernahm Jorda als Test- und Entwicklungsfahrerin. Die Häme ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst schoss ihr früherer Testfahrer-Kollege bei Lotus, Marco Sörensen, öffentlich gegen die Spanierin.

Wenig später wetterte auch Richie Stanaway gegen Jorda. "Wenn du nicht in jedem GP3-Rennen Letzte geworden wärest, würden die Leute keine Witze machen", twitterte der Sportwagen-Pilot und erhielt dafür reichlich Beifall von seinen Followern. Damit reihte sich der Neuseeländer in eine lange Liste an Kritikern, denen Jordas F1-Engagement offenbar gehörig gegen den Strich geht. Selbst die FIA-Frauenbeauftragte Michele Mouton konnte sich im vergangenen Jahr eine Spitze nicht verkneifen.

Carmen Jorda hat keinen leichten Stand in der Formel 1, Foto: Sutton
Carmen Jorda hat keinen leichten Stand in der Formel 1, Foto: Sutton

Wer ist hier der Schuldige?

Carmen Jorda, als Lachnummer verunglimpft, ständig unter Dauerbeschuss in einer Umgebung, in der niemand dem anderen etwas gönnt. Sicherlich ist es einfach, sich über die im Motorsport bislang recht erfolglose Dame lustig zu machen. Mit etwas Abstand muss man sich allerdings fragen, ob die harsche Kritik an ihrer Person gerechtfertigt ist.

Gegenfrage: Müssten sich nicht vielmehr die Verantwortlichen von Renault den Vorwurf gefallen lassen, eine Fahrerin anzustellen, die höchstwahrscheinlich niemals ein Formel-1-Rennen bestreiten wird?

Jordas Chancen auf einen F1-Einsatz tendieren gegen null, Foto: Sutton
Jordas Chancen auf einen F1-Einsatz tendieren gegen null, Foto: Sutton

Niemand würde diesen Job ablehnen

Diese Meinung vertritt Doreen Seidel. Das frühere Playmate und zuletzt Pilotin im Audi Sport TT Cup kann die Kritik an Jorda persönlich nicht verstehen. "Natürlich kann ich nachvollziehen, dass einige Fahrer sich aufregen", so Seidel im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Aber ich finde es einfach nicht fair, sie dafür anzugreifen. Es war ja schließlich nicht ihre Entscheidung, sondern die von Renault. Und sind wir mal ehrlich: Kein Fahrer würde diesen Job ablehnen und einem schnelleren Fahrer überlassen."

Ein nicht unberechtigter Einwand. Kein Fahrer würde einen Job in der Formel 1 ausschlagen, das hat die Vergangenheit häufig bewiesen. Piloten kauften sich für Unsummen als so genannte Entwicklungsfahrer bei Teams ein, um diesen Posten ihrer Vita hinzufügen zu können und dadurch weitere Sponsoren anzulocken. Klar ist auch: Wer einmal in der F1 - egal in welcher Rolle - unterwegs war, wird in den folgenden Jahren mit Kusshand von jeder kleineren Rennserie aufgenommen. Allein der Marketingaspekt ist Gold wert.

Doreen Seidel startete 2015 im Audi Sport TT Cup, Foto: Audi Communications Motorsport
Doreen Seidel startete 2015 im Audi Sport TT Cup, Foto: Audi Communications Motorsport

Cockpit dank Schönheit?

Seidels Situation im Motorsport ähnelt der von Jorda in der F1, wenn auch auf wesentlich kleinerer Bühne. Das Playmate musste sich ebenfalls einige Male anhören, nur wegen ihrer Optik seit fünf Jahren Motorsport (u.a. Mini Trophy, Scirocco R-Cup) betreiben zu können. "Ja, aber als allererstes ist das ja mal ein Kompliment, dass die Leute wirklich denken, man gibt mir ein Cockpit aufgrund meines Aussehens", sagte Seidel. "Die Menschen, die mich näher kennen, wissen, wie viel Zeit, Geld und Energie ich jedes Jahr in den Motorsport gesteckt habe. Alle anderen sind mir eigentlich egal."

Gleichzeitig räumte Seidel ein, dass ihr Aussehen und ihre Playboy-Auftritte für die Rennsportkarriere nicht von Nachteil waren: "Ich habe es natürlich ein wenig einfacher. Das kann ich gar nicht abstreiten. Aber das haben andere auch. Die haben dann vielleicht viel Budget von zuhause aus, einen berühmten Nachnamen oder sind von Natur aus ein super Talent auf der Strecke." Jeder habe seine Stärken und seinen eigenen Weg, sich in diesem Business durchzuboxen.

Seidel wurde 2008 zum Playmate des Jahres gewählt, Foto: www.fs-photography.de
Seidel wurde 2008 zum Playmate des Jahres gewählt, Foto: www.fs-photography.de

Schönes Gesicht - hässliche Realität

Das widerspricht natürlich der romantischen - und veralteten - Ansicht, im Motorsport setze sich allein das fahrerische Talent durch. Die Zeiten sind in Wahrheit längst vorbei, ohne Hilfe von Sponsoren oder Förderern endet die Karriere meist schon nach dem Kartsport. Dass in der Formel 1 oder überhaupt im Profi-Sport ausschließlich die talentiertesten aller Rennfahrer unterwegs sind, dürfte kaum noch jemand ernsthaft glauben.

Eine Person wie Carmen Jorda verschafft dieser unschönen Realität jedoch ein Gesicht - und wird somit gern als Sündenbock abgestempelt. Gleiches Phänomen bei so genannten Paydrivern, die nur selten von der Öffentlichkeit akzeptiert werden, ohne die der horrend teure Motorsport allerdings überhaupt nicht durchführbar wäre.

Vom Bunny-Kostum in den Rennfahrer-Overall: Doreen Seidel, Foto: Doreen Seidel
Vom Bunny-Kostum in den Rennfahrer-Overall: Doreen Seidel, Foto: Doreen Seidel

Seidel: Nicht Carmens Schuld

"Natürlich ist das ärgerlich", meinte Seidel auf die Frage, wie sie es bewerte, dass Fahrer ohne nennenswerte Erfolge es in die Formel 1 schaffen. "Aber das ist nicht die Schuld von Carmen, sondern von der ganzen Industrie. Und da läuft es nun einmal nicht so, dass immer wirklich der Beste nach vorne kommt. Da spielen noch ganz andere Faktoren eine Rolle, angefangen beim Budget, Vermarktungsmöglichkeiten, Herkunft und so weiter."

Seidels Antwort auf die Kritiker an Jorda: "Da bringt es gar nichts, zu Hause zu sitzen und sich darüber aufzuregen wie das Racing-Business läuft. Entweder man spielt das Spiel mit oder man lässt es!" Würde die 30-Jährige selbst - bislang auch eher in den hinteren Regionen der Ergebnislisten zu finden - ein F1-Jobangebot annehmen? Seidel: "Ja, selbstverständlich! Wie jeder andere auch."

Seidel kann die Kritik an Carmen Jorda nicht nachvollziehen, Foto: Doreen Seidel
Seidel kann die Kritik an Carmen Jorda nicht nachvollziehen, Foto: Doreen Seidel

F1-Chance gleich null

Nun stellt sich die Frage, warum Renault sich überhaupt entschlossen hat, Jorda anzuheuern. Bei der offiziellen Präsentation des Teams war sie zwar dabei, tauchte aber nicht auf den Presse-Gruppenbildern mit den anderen Fahrern auf. Daraus können sich Rückschlüsse ziehen lassen, wie hoch Jordas Chancen stehen, wirklich einmal ins F1-Auto steigen zu können... Laut eigener Aussage werde sie in einer anderen von Renault gesponserten Serie - womöglich der Renault Sport Trophy - antreten.

"Ich glaube, dass Renault sich schon etwas dabei gedacht hat", sagte Seidel. "Da geht es nicht nur um die reine Präsenz einer schönen Frau in der Boxengasse. Ich denke, Renault will ein Zeichen setzen: Wir fördern Frauen im Motorsport. Außerdem zeigt es ja auch, dass Frauen wohl mit schnellen Autos umgehen können. Diese Botschaft wird damit auch zu den Endkunden getragen und weckt bei Frauen höheres Interesse an den Sportmodellen von Renault. Und am Ende des Tages geht es ja darum, Autos zu verkaufen."

Carmen Jordas Karriere im Motorsport

  • 2006-2008: Spanische Formel 3 (51 Rennen - P9 als bestes Ergebnis)
  • 2009: Le Mans Series LMP2 / Euro F3 Open
  • 2010: Indy Lights (5 Rennen)
  • 2011: Lamborghini Super Trofeo
  • 2012-2014: GP3 (44 Rennen - P13 als bestes Ergebnis)

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Carmen Jorda hat mehr TV-Zeit als mancher Stammfahrer. Was sagt uns das? Sie ist spannend für die Medien, die sich nun mal auf das konzentrieren, was die Zuschauer interessiert. Das weiß auch Renault. Willkommen im Zirkus Formel 1, der am Ende mehr Business als Motorsport ist. Klingt nicht schön, ist aber so. Ohne Kohle keine Rennen. Selbst wenn Jorda selbst keine Geldgeber mitbringen würde, ist ihre Präsenz in Verbindung mit den Sponsoren-Logos auf der Kleidung bares Geld wert. Wo ist da der Unterschied zu x Bezahlfahrern, die genau wie Carmen niemals einen Grand Prix fahren werden? Wenn man etwas kritisieren möchte, dann doch bitte das Milliarden-Business Formel 1, das Jorda, Paydriver und Co. überhaupt erst möglich gemacht hat. Die Kritik an Jorda selbst ist einfach, aber völlig am Ziel vorbei. (Robert Seiwert)