Es ist das Top-Thema im Fahrerlager. An jeder Ecke und in jedem Motorhome wird einzig und allein darüber gesprochen. Kaum haben wir am Donnerstagvormittag das Drehkreuz am Eingang des Paddocks in Monza durchquert, begrüßt uns schon unser Fotograf Patrik mit den Breaking News: "Lewis hat jetzt blonde Haare!" Lewis Hamilton hat die F1-Welt fest in seinem Würgegriff. Aber nicht nur die - seine Dominanz lässt die Gegner reihenweise verzweifeln. Während seine neue Haarfarbe eher für ein Schmunzeln sorgt, rufen seine Serien-Poles und Siege tiefe Sorgenfalten hervor. Entsprechend selbstbewusst tritt Hamilton auf.

"Ich hatte nie Zweifel daran, der schnellste Fahrer zu sein", sagt er ganz offen. "Aber der Glaube daran ist noch stärker geworden, obwohl ich natürlich wie jeder andere noch Zweifel und Sorgen habe, wenn die Dinge nicht so recht laufen wollen." Dazu gab es in dieser Saison nur selten Gelegenheit. Abgesehen von einigen eher nebensächlichen Diskussionen um die Kupplung zu Saisonbeginn wirkten Hamilton und sein neuer Silberpfeil wie aus einem Guss. Ein nahezu unschlagbares Duo. Seine Fähigkeiten am Lenkrad möchte er selbst allerdings nicht beurteilen.

"Ich will nicht damit prahlen", betont er. "Ich sage nur, dass mein Talent ein großes Geschenk ist." In der modernen Social-Media-Welt heißt dies schlicht und ergreifend: #blessed. Vereinzelte Kritik prallt von ihm ab. Schon im vergangenen Jahr verriet Hamilton im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com: "Die einzige Person, die mich wirklich beurteilen kann, ist Gott." Seinen unbändigen Siegeswillen bremsen die Erfolge der vergangenen beiden Saisons jedoch keineswegs ein. Hamilton will immer siegen, bei jedem Rennen. "Ich habe in meinem Leben jede Niederlage gehasst", sagt er.

"Ich bin sicher, dass es Federer, Schumacher oder Senna genauso ging." Ein Vergleich mit den absoluten Größen der Sportwelt also. Wie Schumacher einst bei Ferrari könnte Hamilton nun mit Mercedes eine eigene Ära prägen. Hamilton ist in der Form seines Lebens, das Team ist perfekt aufgestellt, die Power Unit ist die beste im Feld und der F1 W06 Hybrid fährt Kreise um die Konkurrenz - ausschließlich im Mondlicht von Singapur fürchtet er sich ein wenig. Mit diesen Voraussetzungen im Rücken und einem neuen Dreijahresvertrag bis Ende 2018 in der Tasche könnte der Königsklasse in den kommenden Saisons die neue Ära bevorstehen - die von König Lewis.

Herausforderer I: Lewis Hamilton

"Er kann sich nur selbst schlagen." Diese Reporterfloskel wird allen erfolgreichen Sportlern oder Mannschaften gerne nachgesagt. Auch bei Lewis Hamilton ist dies eine Option - immerhin war es in der Vergangenheit schon öfter mal der Fall. Sein Talent ist unbestritten. Aber wenn ihn Einflüsse aus seinem Umfeld ablenken, kann es zu kollisions- und fehlerreichen Situationen wie 2011 bei McLaren kommen. Natürlich wird es auch in Zukunft Wochenenden wie in diesem Jahr in Ungarn geben, an denen Hamilton nichts gelingt, sich im Rennen ein Fehler an den anderen reiht und er dadurch einmal nicht auf dem Podium steht.

An schlechten Tagen kann sich auch ein Lewis Hamilton mal selbst im Weg stehen, Foto: Sutton
An schlechten Tagen kann sich auch ein Lewis Hamilton mal selbst im Weg stehen, Foto: Sutton

Aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Jeder Fahrer erwischt einmal einen schlechten Tag. Selbst hochbezahlte F1-Stars sind nur Menschen - und die machen manchmal Fehler. Auf eine Pannenserie als Gegenmittel für die Hamilton-Dominanz sollte die Konkurrenz also nicht setzen. Dafür ist der "Rockstar" Hamilton im Moment zu gefestigt und zu glücklich mit seinem Lebensstil. "Ich bin in einer Phase des Experimentierens angekommen. Ich riskiere etwas, probiere neue Dinge", sagt er. "Ich würde jedoch nie eine Entscheidung treffen, die schädlich für meine Leistungsfähigkeit im Auto wäre."

Herausforderer II: Regeln & Technik

Hamiltons Überlegenheit ist natürlich nicht nur Produkt seines unvergleichlichen Speeds. Ein Großteil geht selbstverständlich auf das Konto seines rekordbrechenden Silberpfeils. Mercedes hat seit Beginn der neuen Power-Unit-Ära Anfang 2014 die beste Arbeit geleistet - beim Antrieb sowie dem Chassis. Nicht umsonst schreit die Konkurrenz, allen voran Red Bull, nach Regeländerungen, um die Silbernen einzubremsen und dadurch selbst aufzuholen. In der zerstrittenen F1-Welt sind gravierende Änderungen an der Motoren-Formel aber vorerst nicht zu erwarten. Bleibt die Hoffnung auf technische Probleme.

Müssen sich die Regelhüter bald auf neue Gesetze einstellen?, Foto: Sutton
Müssen sich die Regelhüter bald auf neue Gesetze einstellen?, Foto: Sutton

In Monza debütierte Mercedes eine neue Ausbaustufe, die prompt bei Nico Rosberg getauscht werden musste. Ein Rennen später fiel Hamilton zum ersten Mal nach über einem Jahr (seit Belgien 2014) aus. Sein letzter technischer Defekt lag sogar noch fünf Grands Prix weiter zurück: Kanada 2014. Wenn die Gegner aufholen, muss auch Mercedes näher an die Grenzen gehen. Angesichts des Vorsprungs und der Kompetenz in Brixworth ist allerdings nicht mit Renault-ähnlichen Zuständen zu rechnen, wonach die Power Units im Minutentakt hochgehen.

Herausforderer III: Der Teamkollege

Kein Fahrer hat so gute Chancen, Lewis Hamilton zu bezwingen wie Nico Rosberg. Der Vizechampion sitzt im gleichen Auto, hat das gleiche Team hinter sich und es mangelt ihm auch garantiert nicht an Einsatzwillen, Speed und Rennintelligenz. Mit Rad-an-Rad-Duellen haben Hamilton und Rosberg 2014 spannenden Sport und spektakuläre Manöver gezeigt. In dieser Saison scheint Hamilton aber immer einen Tick vor seinem Teamkollegen zu liegen. In entscheidenden Momenten wie in der ersten Kurve in Suzuka geht der vor Selbstbewusstsein strotzende Champion als Sieger hervor. Rosberg wird immer wieder nachgesagt, er fahre nicht hart genug. Das Verhältnis der beiden hat sich derweil abgekühlt.

Für Nico Rosberg reichte es 2015 nur zur eigens ausgerufenen Mini-WM, Foto: Mercedes-Benz
Für Nico Rosberg reichte es 2015 nur zur eigens ausgerufenen Mini-WM, Foto: Mercedes-Benz

"Ich weiß nicht, was er denkt, weil ich nicht so viel mit ihm spreche. Nur das Nötigste", verriet er in Singapur. "Früher haben wir mehr gesprochen, da waren wir noch gute Freunde." Hamilton selbst hat wenig überraschend keine Lust auf Niederlagen gegen seinen Teamkollegen. "Ich will nie Zweiter werden, ich will immer gewinnen", sagt er. "Ich wäre stinksauer. Vor allem, wenn mich mein Teamkollege schlägt." In dieser Saison hatte er bislang kaum Grund, sauer zu sein. Aber die Formel 1 steht niemals still. Eine kleine Änderung am Fahrverhalten des neuen Autos könnte das Kräfteverhältnis in die andere Richtung ausschlagen lassen. Dass Hamilton dann aber regelmäßig von Rosberg gebügelt wird, erscheint derzeit nicht realistisch. Dass er öfter im Kampf um Hundertstel und Tausendstel den Kürzeren ziehen könnte, hingegen schon eher.

2014 war Hamilton in den Rennen klar besser, dafür hatte Rosberg in der Qualifikation deutlich die Oberhand. Diese Schwäche hat Hamilton über den Winter in eine Stärke verwandelt. Vielleicht gelingt dem Deutschen für 2016 der Konter. Vielleicht lautet der Name des gefährlichsten Gegners im eigenen Team in Zukunft aber auch gar nicht Rosberg. Mit Pascal Wehrlein zieht sich Mercedes bereits einen möglichen Nachfolger heran. Der junge Deutsche überzeugt in der DTM und sammelt als Simulator- und Ersatzfahrer wichtige Formel-1-Eindrücke. Was liegt da näher, als ihn als DTM-Champion zum F1-Fahrer beim Kundenteam Manor Marussia zu befördern und ihn so auf höhere Aufgaben im Silberpfeil-Werksteam vorzubereiten? Wie schnell Wehrlein dann bereit für ein Weltmeisterteam in der Formel 1 wäre, lässt sich natürlich schwer vorhersagen. An Talent, Speed und dem nötigen Selbstbewusstsein mangelt es ihm aber gewiss nicht. Im Gegenteil: mit seinem Temperament und kompromisslosen Überholmanövern erinnert er vielleicht sogar ein wenig an den jungen Hamilton.

Herausforderer IV: Red Bull

Red Bull als zweitgrößte Gefahr für Hamiltons F1-Herrschaft? Zustimmung, dies mag eher eine langfristige Bedrohung sein - doch vergessen wir eins nicht: obwohl der RB11 sicher nicht das Überauto vergangener Newey-Zeiten ist, schlecht ist der Red Bull keineswegs. Selbst der Toro Rosso wäre ohne die Renault-Misere ein podiumsfähiges Auto. Sollte die Mannschaft aus Milton Keynes also ein konkurrenzfähigeres Aggregat in die Finger bekommen, müssten Hamilton und Mercedes deutlich härter für ihr Geld arbeiten. Der Leidensweg bis dahin mag schmerzhaft sein, aber das Blatt kann sich in der Formel 1 schnell wenden.

Das Red-Bull-Duo kann Mercedes jederzeit gefährlich werden, Foto: Sutton
Das Red-Bull-Duo kann Mercedes jederzeit gefährlich werden, Foto: Sutton

Mit Daniel Ricciardo und eines Tages vielleicht umso mehr Max Verstappen besitzt Red Bull gleich zwei Fahrer von Welt(meister)format. Verstappen nimmt schon in seiner Rookie-Saison kein Blatt vor den Mund und scheut vor keinem Zweikampf auf der Strecke zurück - wie einst Hamilton. Die richtige Entwicklung vorausgesetzt, könnte der niederländische Shootingstar in ein paar Jahren mit mehr F1-Erfahrung auf dem Buckel ein harter Brocken für Hamilton werden. Also vielleicht genau dann, wenn Red Bull endlich wieder ein starkes Chassis mit einem leistungsstarken Antrieb vereint.

Herausforderer V: Ferrari & Vettel

Ferrari ist brandgefährlich! Toto Wolff wird nimmermüde zu betonen, dass die Stellung seines Teams an der Spitze des Feldes nicht selbstverständlich sei. Rennen wie in Malaysia, Budapest oder Singapur bestätigen das - sind aber noch die Ausnahme. Sie beweisen jedoch ganz klar: Ferrari ist auf dem Vormarsch. Auch Hamilton selbst glaubt, dass Sebastian Vettel noch nicht alles aus der Scuderia herausgeholt hat. "Das ist immer noch Alonsos Wagen, aber Vettel wird ihn in dieser und in der nächsten Saison so weiterentwickeln, dass es sein Auto wird", warnt der Brite. "Das habe ich bei Mercedes ebenfalls gemacht, bis ich mich in einem jahrelang auf Rosberg abgestimmten Auto wohl gefühlt habe. Die Resultate sieht man jetzt."

Setzen Ferrari und Sebastian Vettel 2016 ihren Aufwärtstrend fort?, Foto: Sutton
Setzen Ferrari und Sebastian Vettel 2016 ihren Aufwärtstrend fort?, Foto: Sutton

Hamilton dominiert. Vettel und Ferrari sind die wohl größte Gefahr für die Herrschaft der Silbernen im Allgemeinen und Hamilton im Speziellen. Nach einem Jahr des Umbruchs in dieser Saison soll bei den Roten im kommenden Jahr die Attacke auf den ersehnten WM-Titel erfolgen. Die Vorzeichen stehen gut: James Allison hat die Technikabteilung auf Vordermann gebracht, das Team hat Blut geleckt und Vettel gewinnt, sobald sich die Chance dazu bietet. Aufgepasst, King Lewis! Die Roten sind wieder ernst zu nehmen.

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