TV-Interviews hier, Presserunde dort. Marcus Ericsson ist im Stress. So ein Medientag vor einem Formel-1-Rennwochenende kann ganz schön anstrengend sein. Eben noch umringt von einer riesigen Journalistenmeute, wie sie das Sauber Motorhome schon eine ganze Weile nicht mehr in dieser Anzahl gesehen hatte. Schon steht der nächste Termin für den Schweden an: ein Exklusivinterview und Fotoshooting mit Motorsport-Magazin.com. "Oh ja! Es war sehr viel los, aber das ist gut so", lässt sich Medienprofi Ericsson davon nichts anmerken. Nur der brutalen Hitze unter dem Dach der Team-Hospitality entgehen wir geschwind und flüchten in die untere Etage. Die Hitzewelle hat das Fahrerlager von Budapest an diesem Donnerstag Ende Juli fest im Griff. Ericsson wirkt in seinem dunkelblauen Team-Hemd und einer kurzen Jeanshose dennoch topfit.

Der Zeitpunkt für das Interview könnte nicht besser gewählt sein. Keine zwei Stunden bevor wir Ericsson treffen, gab das Team die Vertragsverlängerungen mit ihm und seinem Teamkollegen Felipe Nasr für die Saison 2016 bekannt. Zu einem heutzutage eher ungewöhnlich frühem Zeitpunkt. Ein Zeichen an den Rest der F1-Welt, dass Sauber nach dem schwierigen Jahr 2014 und den Querelen mit Ex-Fahrer Giedo van der Garde nun auf Kontinuität setzt? "Es wird sich sicherlich positiv darauf auswirken, aber es war kein Beweggrund", verrät Teamchefin Monisha Kaltenborn wenig später auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Wichtiger war es jetzt, wo wir auch den Technischen Direktor als Neuzugang haben, dass wir Stabilität nach innen und nach außen, aber vor allem nach innen ausstrahlen." Ericsson findet für das perfekte Timing der Bekanntgabe und unseres Interviews jedoch noch eine schmeichelhaftere Erklärung - zumindest aus unserer Sicht. "Das haben wir nur wegen euch heute bekannt gegeben!", sagt er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht und greift sich unser auf dem Tisch liegendes Magazin.

"Sprichst du Deutsch?", wollen wir von ihm wissen. Dann könnten wir das Interview ja gleich auf Deutsch führen! "Als Kind hatte ich drei Jahre lang Deutsch in der Schule", verrät Ericsson. "Dort habe ich etwas gelernt, aber das ist mehr als zehn Jahre her. Das Meiste davon habe ich also schon wieder vergessen. Ich erinnere mich noch an ein paar Brocken. Jetzt bei Sauber schnappe ich aber wieder etwas mehr auf." Zum Glück können wir auf eine multilinguale Truppe zurückgreifen: denn beim anschließenden Fotoshooting wird weder Deutsch noch Englisch gesprochen - unser Fotograf Patrik ist wie Ericsson Schwede. Eine wahrlich multilinguale Aktion nimmt ihren Lauf...

Mit der Leistung Ericssons war man bei Sauber zufrieden, Foto: Sutton
Mit der Leistung Ericssons war man bei Sauber zufrieden, Foto: Sutton

Vertragsverlängerung eine positive Überraschung

MSM: Für eine Vertragsverlängerung ist es für heutige Verhältnisse noch recht früh in der Saison. Ich denke, darauf kannst du stolz sein. Denn das bedeutet, dass du bislang gute Leistungen gezeigt hast...
Marcus Ericsson: Absolut, ich war selbst überrascht, dass das Team so früh auf eine Vertragsverlängerung drängte, um Felipe [Nasr] und mich auch nächstes Jahr im Team zu behalten. Das fühlt sich natürlich großartig an. Es zeigt, dass sie mit meiner Performance und meiner Entwicklung zufrieden sind. Ich bin dadurch etwas ruhiger. Jetzt kann ich mich ganz auf meine Leistung auf der Strecke und die Arbeit mit dem Team konzentrieren. Sonst hat man das nächste Jahr immer noch ein kleinwenig im Hinterkopf. Man denkt darüber nach, was wohl nächste Saison passieren wird. Das kann ich nun zur Seite schieben und mich voll und ganz auf den Rest der Saison konzentrieren, um das Beste herauszuholen. Das fühlt sich sehr gut an.

Du weißt damit zum ersten Mal in deiner noch jungen F1-Karriere, dass du nächstes Jahr beim gleichen Team fahren wirst wie jetzt. Das bedeutet auch, dass du die Entwicklung des Autos in deine Richtung vorantreiben und dem Team dabei helfen kannst. Freust du dich darauf?
Das ist eine tolle Sache, die sehr interessant für mich ist. Bei Caterham wurde ich recht spät verpflichtet und als ich bei Sauber unterschrieben habe, konnte ich noch keinen Einfluss auf die Entwicklung des Autos nehmen, schließlich war ich damit noch nicht gefahren. Schon jetzt haben wir aber Meetings mit Blick auf die Hauptbereiche für das kommende Jahr. Es ist sehr gut, Einfluss auf das nächstjährige Auto zu haben.

2015 scheint für dich ein gutes Jahr zu sein: Die ersten WM-Punkte im ersten Rennen, jetzt die Vertragsverlängerung... Wenn du jetzt mit etwas Abstand auf den Saisonauftakt zurückblickst, kannst du glauben, wie alles damals in Melbourne verlaufen ist unter so schwierigen Vorzeichen?
Es war ganz klar bislang ein sehr gutes Jahr für mich. Im letzten Jahr habe ich mein Debüt mit Caterham gegeben. Das war nicht so einfach. Wir waren meistens am Ende des Feldes anzutreffen. Dann gleich im ersten Rennen mit Sauber zu punkten, war unglaublich. Damit wurde für mich ein Traum wahr: meine ersten WM-Punkte. Darauf bin ich sehr stolz. Danach waren wir im ersten Teil des Jahres sehr stark. Ich kam bis in Q3, habe auch in China gepunktet und sonst stets um Punkte gekämpft. Zuletzt haben wir diesbezüglich ein wenig den Schwung verloren, aber mit den geplanten Updates für den Rest des Jahres sollten wir in der zweiten Saisonhälfte wieder zurück in die Spur finden.

Der Saisonauftakt 2015 stellte für Marcus Ericsson einen Neubeginn dar, Foto: Sutton
Der Saisonauftakt 2015 stellte für Marcus Ericsson einen Neubeginn dar, Foto: Sutton

Melbourne 2015 als Neustart für Ericsson

Natürlich hast du schon letztes Jahr in deiner Rookie-Saison viel gelernt. Aber siehst du Melbourne 2015 vielleicht dennoch als eine Art zweiten Beginn deiner Formel-1-Karriere an?
[lacht] Ein bisschen ist es tatsächlich so. Obwohl ich letztes Jahr schon Formel 1 gefahren bin, waren wir weit hinter den anderen. Dadurch hat man weniger Zweikämpfe, muss nicht so viel über die Strategie nachdenken. Somit habe ich zwar ein Jahr Erfahrung, aber dennoch ist es ein bisschen wie ein weiteres Rookie-Jahr für mich.

Ich frage dich jetzt nicht, was bei Sauber anders ist als bei Caterham. Das ist eine undankbare Frage. Stattdessen frage ich dich lieber: Was hast du in der ersten Hälfte deiner "zweiten Rookie-Saison" Neues gelernt?
In diesem Jahr kämpfe ich viel mehr mit anderen Fahrern. Dadurch muss ich mit dem Team viel mehr über die Strategie sprechen. Auch muss ich im Qualifying eine sehr gute Runde hinlegen, sonst bin ich raus. Bei Sauber ist auch das Reifen-Management viel besser ausgeprägt. So habe ich hier schon viel gelernt, was ich vorher noch nicht gekannt habe.

Du hast das Qualifying angesprochen. Es ist zwar nicht ganz nett, das so zu sagen, aber du kanntest es von Caterham ja gar nicht, bis ins Q2, geschweige denn ins Q3 vorzustoßen...
Richtig, das war im letzten Jahr nie der Fall. In diesem Jahr ist es ein ganz anderes Gefühl, die verschiedenen Abschnitte des Qualifyings zu durchlaufen, noch mal eine Chance zu erhalten, eine gute Runde zu fahren. Das macht schon Spaß.

Die Formel 1 zieht auch die Reichen und Schönen an, Foto: Sutton
Die Formel 1 zieht auch die Reichen und Schönen an, Foto: Sutton

Hoher Glamour-Faktor in der Formel 1

Du hast gesagt, seit du F1-Fahrer bist, hat sich für dich alles verändert, dein ganzes Leben. Was gefällt dir daran, ein Formel-1-Fahrer zu sein? Natürlich abgesehen davon, dass du so coole Interviews wie dieses geben darfst...
[lacht] Es ist fantastisch, ein F1-Auto zu fahren. Der Adrenalin-Kick, den man hat, wenn man diese Autos am Limit bewegt, ist nur sehr schwer zu erklären. So etwas findet man kaum woanders, vielleicht nirgends. Das ist der Thrill, warum man es unbedingt machen will. Es ist aber auch ein ganz besonderer Lifestyle. Man reist um die Welt, trifft viele Menschen. Das ist ein spezieller Bestandteil meines Jobs als Formel-1-Fahrer.

Du hast dieses Jahr schon den König von Schweden getroffen und warst in Monaco als Model auf dem Laufsteg...
Absolut, wir machen viele schöne Dinge. Die Königin und der König von Schweden haben mich in Monaco besucht. Das war für mich schon ein besonderer Moment. Das macht die Rolle als Formel-1-Fahrer noch besonderer.

Lenken dich solche Aktivitäten manchmal etwas von deiner Hauptaufgabe ab? Schließlich bist du ja deshalb hier, um ein F1-Auto richtig schnell zu fahren...
Während deiner Karriere lernst du, wie du mit verschiedenen Dingen abseits der Strecke umzugehen hast. Wenn du dann ins Auto einsteigst, vergisst du alles andere und konzentrierst dich auf deine Aufgabe. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Formel-1-Fahrer besitzen muss. Alle Fahrer haben an den Rennwochenenden und dazwischen so viele verschiedene Dinge zu tun, sie müssen einfach die Fähigkeit besitzen, ins Auto zu steigen und alles andere abzuschalten. Damit muss man klarkommen.

Hilft dir dabei die Erfahrung aus anderen Rennserien?
Man lernt Jahr für Jahr ein wenig dazu. Aber in der Formel 1 ist es natürlich 100 Mal mehr. Selbst bei Caterham habe ich das gelernt. Ich denke, die Topfahrer der Formel 1 sind auch auf diesem Gebiet die Besten. Sie wissen, wie sie alles andere nicht an sich heranlassen und sich nur auf sich konzentrieren können.

Formel 1 Autos sind immer noch nicht einfach zu fahren, so Ericsson, Foto: Sutton
Formel 1 Autos sind immer noch nicht einfach zu fahren, so Ericsson, Foto: Sutton

Es ist nie einfach

In letzter Zeit wurde viel darüber gesprochen, dass Formel-1-Autos zu einfach zu fahren seien. Ich gehe davon aus, dass du da eine ganz andere Meinung hast...
Selbstverständlich will jeder gerne schnellere Autos. Ich würde dazu sicher nicht nein sagen. Aber in den Medien hört es sich manchmal so an, als ob sich die F1-Boliden wie Leihwagen fahren würden. Die Autos sind immer noch äußerst anspruchsvoll. Das Handling ist sehr schwierig. Es ist schwer, damit am Limit zu fahren. Das gibt den Fahrern immer noch einen absoluten Kick. Ich genieße jede Sekunde im Auto. Es ist sehr schwierig, im Rennen eine gute Runde zusammenzubekommen. Denn wenn man immer am Limit fahren muss, entstehen auch mal Fehler. Ich würde also nicht sagen, dass die Autos einfach zu fahren sind. Aber wer weiß? Wenn sie etwas schneller werden, sind sie vielleicht noch besser...

Immerhin musst du nicht nur über die Strategie nachdenken und im Funk reden, sondern "nebenbei" auch noch ein bisschen lenken...
Das ist ein wichtiger Punkt, den man lernen muss. Man muss während der Fahrt mit dem Team kommunizieren. Zudem betätigen wir recht häufig Schalter und Knöpfe am Lenkrad. Das gibt es in anderen Rennserien so nicht.

An Beschäftigung mangelt es dir also sicher nicht...
Genau, wenn mir langweilig wird, lerne ich einfach noch ein bisschen Deutsch.

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